Startschuss für die Wasserstoffwirtschaft
Mit den Gesetzesentwürfen zu Wasserstoff und dekarbonisiertem Gas hat die EU-Kommission im Dezember 2021 den Startschuss für eine tiefgreifende Umwandlung der Energiewelt gegeben. Nachdem Deutschland, die Niederlande und andere europäische Staaten 2020 nationale Wasserstoffstrategien veröffentlicht hatten und die Kommission auch eine europäische Wasserstoffstrategie ausgearbeitet hatte, war klar: Der politische Wille ist vorhanden und öffentliche Mittel zur Förderung des Einsatzes von Wasserstofftechnologien stehen bereit. Allein der passende Rechtsrahmen fehlte.
Die europäische Energieregulierung ruht bislang auf zwei Säulen – der Regulierung des Elektrizitätsbinnenmarkts und der Regulierung des Gasbinnenmarkts. Sie enthält jedoch keine Bestimmungen zur Erzeugung, dem Transport, der Speicherung und dem Vertrieb von Wasserstoff, die es erlauben würden, die für die angestrebte Wasserstoffwirtschaft erforderliche Infrastruktur zu errichten und zu betreiben. Bislang war daher offen, ob die EU-Kommission den bestehenden Strom- und Gasregulierungen eine eigene dritte Regulierungssäule für Wasserstoff an die Seite stellen würde oder ob die Regulierung von Wasserstoffnetzen Teil der Gasregulierung sein würde.
Fundamentaler Umbruch
Nach den nun von der EU-Kommission vorgelegten Entwürfen zeichnet sich ab: Die Wasserstoffinfrastruktur wird als Teil einer Neufassung der Gasbinnenmarktrichtlinie und der Ferngasnetzzugangsverordnung von 2009 reguliert. Dennoch bedeutet der dadurch anzustoßende Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur einen fundamentalen Umbruch in der Energielandschaft. Während sowohl der Elektrizitätssektor als auch der Wasserstoffsektor stark wachsen sollen, ist für den klassischen Erdgassektor und dessen Infrastruktur eine starke Verkleinerung bis 2050 vorgesehen.
Die neue Regulierung sieht sogar vor, dass keine langfristigen Erdgaslieferverträge über das Jahr 2049 hinaus mehr abgeschlossen werden dürfen. Zwar betrifft das Legislativpaket nicht nur Wasserstoff, sondern auch andere Gase, deren Erzeugung und Verbrennung gegenüber Erdgas eine Reduzierung von Kohlenstoffemissionen um mindestens 70% erreichen (z.B. synthetisches Erdgas) und in der bereits bestehenden Erdgasinfrastruktur transportiert werden können. Der Fokus liegt jedoch auf dem Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur.
Dafür sieht die Kommission in ihren Entwürfen vor, dass Genehmigungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb von Wasserstoffpipelines nicht länger als zwei Jahre dauern dürfen. Mitgliedstaaten sollen außerdem Ansprechpartner bei den zuständigen Behörden einsetzen, die Antragsteller kostenlos durch den gesamten Genehmigungsprozess begleiten und diesen insgesamt erleichtern.
Die Kommission legt hierbei Wert auf kooperative Behörden und den Abbau von Hürden beim Markteintritt. Ebenso ist der Kommission der Zugang zur Wasserstoffinfrastruktur nach allgemeinen, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien wichtig. Dieser ist von den Betreibern der Infrastruktur zu gewährleisten. Entscheidend ist außerdem, dass die Netzentgelte veröffentlicht werden und von der zuständigen Regulierungsbehörde – in Deutschland ist das die Bundesnetzagentur – genehmigt werden, bevor sie in Kraft treten.
Alternativ zu diesen Bestimmungen können die Mitgliedstaaten für den Zeitraum bis zum Ende des Jahrzehnts auch ein System individuell verhandelter Netzzugänge vorsehen. Der verhandelte Netzzugang, den es früher auch im Erdgasbereich gab, ist dort jedoch kein Erfolgsmodell gewesen und wird insbesondere mit steigenden Nutzerzahlen der Infrastruktur unpraktisch für deren Betreiber. In keinem Fall aber darf der Zugang zur Infrastruktur verweigert werden, wenn er technisch realisierbar und wirtschaftlich ist oder der künftige Nutzer für die Anschlusskosten aufkommt. Ähnliches ist für die Erdgasinfrastruktur für den Zugang von Herstellern kohlenstoffarmer Gase oder von Gasen aus erneuerbaren Energien vorgesehen.
Entflechtungsregeln
Im Hinblick auf Entflechtungsregeln hat die Kommission zwar erkannt, dass diese den schnellen Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur hemmen können, möchte davon jedoch nicht grundsätzlich abweichen. Nach den geltenden Entflechtungsregeln ist es Betreibern von Netzinfrastruktur untersagt, gleichzeitig in den Bereichen der Energieerzeugung, der Gasproduktion oder des Vertriebs von Strom- oder Gasprodukten tätig zu sein. So soll die Kostentransparenz und diskriminierungsfreie Nutzung von Transportinfrastruktur gesichert werden.
Ausgeweitet auf Wasserstoffnetze bedeutet dies, dass große Energiekonzerne grundsätzlich nicht Errichter oder Betreiber solcher Netze sein dürften, soweit sie diese Betreiberaktivitäten nicht vollständig aus ihren sonstigen Aktivitäten entflechten. Allerdings möchte die Kommission auch hiervon Ausnahmeregelungen bis zum Ende des Jahrzehnts zulassen, wenn beispielsweise innerhalb eines Industriegebietes einzelne Wasserstoffleitungen mit wenigen Anschlusspunkten betroffen sind und dadurch andere Wasserstofflieferanten nicht vom Wettbewerb ausgeschlossen werden.
Ab dem 31. Dezember 2030 soll jedoch das Entflechtungsmodell des unabhängigen Transportnetzbetreibers für Betreiber von Wasserstoffnetzen nicht zur Verfügung stehen. Dieses Modell ist für Betreiber von Gasnetzen möglich und bei Gasnetzbetreibern in Deutschland vorherrschend. Betreiber von Wasserstoffnetzen müssen dann von Energiekonzernen, die ansonsten auch Erzeugungs- oder Vertriebstätigkeiten ausüben, losgelöst sein. Das Eigentum am Netz darf jedoch weiterhin bei einer Gesellschaft eines solchen Energiekonzerns liegen.
Eine wichtige Rolle beim Übergang in die Wasserstoffwirtschaft kommt den Betreibern von Erdgasinfrastruktur zu, denen die Kommission eine Brücke in die neue Zukunft baut. Zum einen dürfen Betreiber von Strom- und Gasnetzen grundsätzlich auch Betreiber von Wasserstoffnetzen sein, jedenfalls soweit dieser Betrieb durch separate Gesellschaften erfolgt. Darüber hinaus werden die Strom- und Gasnetzbetreiber, die derzeit nur separate Netzentwicklungspläne für Strom und Gas erstellen, zusätzlich in die Erstellung eines gemeinsamen Netzentwicklungsplans für Wasserstoff eingebunden.
Meilenstein
In diesem Plan müssen Betreiber von Erdgasinfrastrukturen nicht nur angeben, wo neue Infrastruktur, also insbesondere Leitungen, benötigt werden. Sie müssen auch darlegen, welche Teile der Infrastruktur nicht mehr benötigt oder genutzt werden, um gegebenenfalls eine alternative Nutzung der Erdgasinfrastruktur für Wasserstoff zu ermöglichen. Mitgliedstaaten sollen es außerdem künftig ermöglichen, dass bestehende Genehmigungen für Erdgaspipelines und sonstige Erdgasinfrastruktur auch für die entsprechenden Bestandteile eines Wasserstoffnetzes und bestehende private Nutzungsrechte (z.B. für Grundstücke) auch für Wasserstoffinfrastruktur gelten sollen. Die Vorschläge der Kommission geben einen deutlichen Hinweis darauf, wie der künftige Rechtsrahmen für die Wasserstoffwirtschaft aussehen kann. Zwar müssen die Entwürfe noch das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen und die Mitgliedstaaten müssen die neue Gasbinnenmarktrichtlinie anschließend bis zum 31. Dezember 2023 in nationales Recht umsetzen. Allerdings ist bereits heute klar: Den Betreibern von Erdgasinfrastruktur kommt eine Schlüsselrolle beim Aufbau der neuen Infrastrukturen zu, es wird erhebliche administrative Erleichterungen für die Umsetzung von Investitionen in die neue Infrastruktur geben und die Regulierung der bestehenden Erdgasnetze wird mit einigen Anpassungen weitgehend auf die neue Infrastruktur Anwendung finden. Sicher hätte das Paket weiterreichende Erleichterungen vorsehen können. Dennoch ist es bereits in seiner jetzigen Form ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu den dringend erforderlichen Investitionen mit sicherem Rechtsrahmen.