RECHT UND KAPITALMARKT

Startschuss für die europäische Hauptversammlung

Neue Möglichkeit wird Bedürfnissen von Konzernen gerecht

Startschuss für die europäische Hauptversammlung

Von Hartwin Bungert und Benjamin Leyendecker-Langner *)Die Einführung der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) verfolgte das Ziel, innerhalb der EU grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse, Konzernierungsvorgänge und Kooperationen zu erleichtern. Allerdings musste eine SE mit Satzungssitz in Deutschland auch ihre Hauptversammlung stets hier abhalten. Bei einem grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschluss zwischen zwei ebenbürtigen Partnern (Merger of Equals) kann dieser Gesichtspunkt ein psychologisches Hemmnis darstellen. Denn immerhin präsentieren sich die Gesellschaft und ihre Organe der Öffentlichkeit insbesondere auf der Hauptversammlung. Bahnbrechender EntscheidDer Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Oktober 2014 (Az. II ZR 330/13) eine für die zunehmende Europäisierung des Gesellschaftsrechts bahnbrechende Entscheidung getroffen. Künftig dürfen eine SE und auch eine “normale” AG ihre Hauptversammlung (HV) im Ausland abhalten. Einzige Voraussetzung ist, dass die Satzung einen Hauptversammlungsort im Ausland explizit vorsieht. Aus Sicht der Praxis beseitigt die Entscheidung ein wichtiges Hemmnis bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen und wird den Bedürfnissen europäischer Konzerne gerecht.Bei der Formulierung der entsprechenden Satzungsermächtigung ist allerdings Vorsicht geboten. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs darf die Satzungsbestimmung nicht so formuliert sein, dass dem Vorstand ein freies Auswahlermessen für den Ort der HV zusteht. Dieser Grundsatz galt schon für die inländische Hauptversammlung. Der Senat sah aber in der Satzungsbestimmung der Beklagten, der IMW Immobilien SE, wonach die Hauptversammlung der Gesellschaft unter anderem “in einer Großstadt in der Europäischen Union mit mehr als 500 000 Einwohnern stattfinden” darf, ein solches unzulässiges Auswahlermessen. Denn in der Europäischen Union gebe es über 60 Städte mit mehr als 500 000 Einwohnern. Auch sei die Hauptversammlung deshalb möglicherweise mit einem unzumutbaren Reiseaufwand für die Aktionäre verbunden. Nicht ganz konsistentDiese kleine Einschränkung des Gerichts erscheint nicht vollends konsistent. Sie impliziert nämlich, dass die Aktionäre der Gesellschaft stets aus Deutschland zur HV anreisen. Dies geht insbesondere bei Gesellschaften, die aus grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen hervorgegangen sind, an der Realität vorbei. Für die Praxis darf dieser Punkt aber nicht überstrapaziert werden. Ganz überwiegend wird die Gesellschaft keinen Bedarf haben, in jedem europäischen Land ihre HV abzuhalten. Vielmehr wird es um eine überschaubare Anzahl von Ländern gehen; bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen etwa die Heimatländer der Ursprungsunternehmen. Die Satzung lässt sich ohne Weiteres so fassen, dass sie sowohl den Vorgaben des Bundesgerichtshofs als auch den Bedürfnissen des Unternehmens gerecht wird.Das Hauptversammlungsprotokoll einer börsennotierten Gesellschaft muss beurkundet werden. Findet die HV im Ausland statt, kann diese Beurkundung nicht durch einen deutschen Notar vorgenommen werden, weil dieser nicht im Ausland tätig sein darf. Aus Sicht des Bundesgerichtshofs spricht das Beurkundungserfordernis nicht gegen die Abhaltung im Ausland. Vielmehr kann eine ausländische Urkundsperson die Beurkundung vornehmen, wenn sie mit einem deutschen Notar gleichwertig ist. Für die Gleichwertigkeit soll die – zur Anteilsabtretung von GmbH-Geschäftsanteilen ergangene – althergebrachte Formel gelten, dass ein ausländischer Notar nur gleichwertig ist, wenn er nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt und für die Beurkundung ein dem deutschen Beurkundungsrecht entsprechendes Verfahrensrecht zu beachten hat. Eine Gleichwertigkeit in diesem Sinne ist bislang allein für Notare anerkannt, die in bestimmten Schweizer Kantonen und in Österreich tätig sind.Der Entscheidung ist allerdings nicht zu entnehmen, dass Hauptversammlungen in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien damit per se undurchführbar sind. Im Gegenteil stellt das Gericht klar, dass die Beurkundung des Hauptversammlungsprotokolls in erster Linie dazu dient, Unklarheiten über die Ergebnisse der Tagesordnungspunkte zu vermeiden. Von der Mehrheit erfülltDiese Aufgabe dürfte die Mehrzahl der ausländischen Notare erfüllen, selbst wenn sie im Übrigen mit einem deutschen Notar nicht vergleichbar sind. Es spricht daher viel dafür, das Gleichwertigkeitserfordernis zweckgebunden für die jeweilige Art der Beurkundung zu verstehen. Zweifelsfragen sollten gegebenenfalls vorab mit dem zuständigen Registergericht abgestimmt werden.—-*) Dr. Hartwin Bungert ist Partner und Dr. Benjamin Leyendecker-Langner Senior Associate bei Hengeler Mueller.