RECHT UND KAPITALMARKT

Strukturiert oder nicht

BaFin und FMSA veröffentlichen Auslegungshilfe zur Behandlung von Schuldtiteln - Halbwertszeit jedoch möglicherweise begrenzt

Strukturiert oder nicht

Von Gabriele Apfelbacher, Michael Kern und Valentin Pfisterer *)Am 5. August 2016 haben die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) eine gemeinsame Auslegungshilfe veröffentlicht, um Banken und anderen Marktteilnehmern Kriterien an die Hand zu geben, nach denen sie bestimmte Schuldinstrumente als “strukturiert” oder “nicht strukturiert” einordnen können. Hintergrund ist eine am 1. Januar 2017 in Kraft tretende Änderung des Kreditwesengesetzes.Danach sollen bestimmte Verbindlichkeiten von Banken (Schuldtitel) in einer Insolvenz erst befriedigt werden, nachdem alle sonstigen nicht nachrangigen, unbesicherten Verbindlichkeiten befriedigt worden sind. Die Gesetzesänderung zielt primär auf die Abwicklung von Banken nach dem Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG), das die europäische Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD) umsetzt, und verfolgt hauptsächlich zwei Zwecke: Zum einen soll es der zuständigen Abwicklungsbehörde erleichtert werden, bei Anwendung des durch das SAG eingeführten Instrumentes der Gläubigerbeteiligung (Bail-in) rechtssicher Verbindlichkeiten von in Schieflage geratenen Banken ganz oder teilweise abzuschreiben oder in Eigenkapital umzuwandeln. Zum anderen soll es Banken erleichtert werden, künftigen regulatorischen Anforderungen zu genügen, ausreichend geeignetes Fremdkapital vorzuhalten, um die Bank im Falle einer Schieflage rekapitalisieren zu können.Wendet die Abwicklungsbehörde das Instrument der Gläubigerbeteiligung auf die betroffenen Schuldtitel an, so müssen diese, ihrem Rang in der Insolvenz entsprechend, bei Bedarf vollständig herabgeschrieben bzw. in Eigenkapital umgewandelt werden, bevor die Abwicklungsbehörde sonstige nicht nachrangige, besicherte Verbindlichkeiten der Bank herabschreiben bzw. umwandeln darf. Schuldtitel tragen also ein höheres Verlustrisiko.Schuldtitel im Sinne der Gesetzesänderung sind auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, Orderschuldverschreibungen und vergleichbare Rechte, die auf den Kapitalmärkten handelbar sind, sowie Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschreibungen, die keine Einlagen darstellen. Geldmarktinstrumente und Schuldinstrumente, die nicht dem Instrument der Gläubigerbeteiligung unterfallen (wie Pfandbriefe), sind keine Schuldtitel in diesem Sinne. Zudem gilt die Schlechterstellung in der Insolvenz bzw. bei Anwendung des Instrumentes der Gläubigerbeteiligung nicht für “strukturierte” Schuldtitel. Zahlungshöhe ungewissDas sind zum einen Schuldtitel, bei denen die Rückzahlung überhaupt oder die Höhe des Rückzahlungsbetrages zum Begebungszeitpunkt ungewiss ist oder die Rückzahlung nicht in Geld erfolgt. Zum anderen gelten Schuldtitel als strukturiert, wenn die Zinszahlung oder die Höhe der Zinsen zum Begebungszeitpunkt ungewiss ist, es sei denn, die Zinszahlung erfolgt in Geld und ihre Höhe hängt ausschließlich von einem festen oder variablen Referenzzins ab. Hier greift die Auslegungshilfe ein. Sie soll die Abgrenzung von Geldmarktinstrumenten und die Einordnung von Schuldtiteln als strukturiert (dann keine nachrangige Befriedigung) oder nicht strukturiert (dann nachrangige Befriedigung) erleichtern.Nach der Auslegungshilfe bestimmt sich ausschließlich nach der Ursprungslaufzeit, ob ein Geldmarktinstrument vorliegt. Ist diese länger als ein Jahr, liegt ein Schuldtitel vor. Anders als in anderen Zusammenhängen (etwa im Bilanzrecht) ist nicht die Restlaufzeit entscheidend.Die Ermittlung des Werts von strukturierten Verbindlichkeiten zu einem Stichtag wie der Insolvenzeröffnung oder Abwicklungsanordnung ist oft mit praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. So sind zum Stichtag Bestehen oder Höhe der Verbindlichkeit oft ungewiss und können nur zeitaufwendig ermittelt werden. Ist die Wertermittlung aber zeitkritisch, wie im Zusammenhang mit einer Abwicklung, können Verzögerungen die Abwicklung gefährden oder Gefahren für andere Banken oder die Finanzmarktstabilität bergen. Daher sollen strukturierte Schuldtitel vorrangig befriedigt werden, so dass sie dem Instrument der Gläubigerbeteiligung nur unterworfen werden müssen, wenn die nicht strukturierten Schuldtitel (neben den anderen heranzuziehenden Verbindlichkeiten) zur Rekapitalisierung der betroffenen Bank nicht ausreichen.Nach der Auslegungshilfe gelten zunächst Schuldtitel mit fester Verzinsung als nicht strukturiert. Der Zins kann für die gesamte Laufzeit in einer bestimmten Höhe oder jeweils für bestimmte Zeitabschnitte in unterschiedlicher Höhe festgelegt sein (Stufenzins). Ebenso wenig sind Schuldtitel mit variabler Verzinsung strukturiert, sofern die Zinshöhe an einen üblichen Referenzzinssatz (Euribor oder Libor) geknüpft ist. Der Zinssatz darf mit einem Auf- oder Abschlag oder Multiplikator versehen sein. Auch eine Zinsuntergrenze von 0 % führt nicht zur Einordnung als strukturiert. Schuldtitel können auch auf Fremdwährungen lauten, sofern Verzinsung und Rückzahlung bei Ausgabe feststehen, also insbesondere nicht wechselkursabhängig sind. Ferner führt die Einräumung von Kündigungsrechten nicht dazu, dass Schuldtitel als strukturiert gelten. Diese Merkmale können auch über Zeitabschnitte hinweg kombiniert werden, solange sie nicht von einem Wahlrecht abhängen. Mit derivativen InstrumentenStrukturierte Schuldtitel sind zunächst Schuldinstrumente, bei denen die Berechnung von Zins- oder Rückzahlungsbeträgen derivative Elemente enthält. Dies gilt zum Beispiel, wenn der Rückzahlungsbetrag vom gewichteten Durchschnittspreis einer Aktie oder der Entwicklung eines Indexes (z. B. Rückzahlung zu 100 oder Performance des Dax über Zeitablauf, falls höher) abhängt. Weiter sind davon Schuldtitel umfasst, bei denen die Höhe der Zinsen oder des Rückzahlungsbetrages an die Inflationsrate gekoppelt ist.Ferner gelten Schuldtitel als strukturiert, die auf eine bestimmte Währung lauten, deren Verzinsung oder Rückzahlung aber in einer anderen Währung erfolgt oder sonst wechselkursabhängig ist. Zu den strukturierten Schuldtiteln zählen außerdem Schuldinstrumente mit variablem Zinssatz, wenn dieser zusätzlich mit einer Zinsuntergrenze (Ausnahme: Null-Prozent-Untergrenze), einer Zinsobergrenze oder einer Zinsspanne versehen ist. Auch Schuldtitel, deren Verzinsung von einem Wahlrecht abhängig ist, gelten als strukturiert. Das Gleiche gilt für Schuldinstrumente, die an die Entwicklung eines alternativen Referenzzinssatzes gekoppelt sind (z. B. Constant Maturity Swap). Schließlich gilt ein Schuldtitel schon dann als strukturiert, wenn eines der oben aufgeführten Merkmale auch nur für einen Zeitabschnitt seiner Laufzeit vorliegt. Mit eigenem RangDie Auslegungshilfe klärt eine Reihe von Fragen und Unklarheiten im Zusammenhang mit der Einordnung von Schuldtiteln als strukturiert und nicht strukturiert und damit ihrem Rang in Insolvenz und Abwicklung. Möglicherweise ist die Halbwertszeit der Auslegungshilfe jedoch begrenzt: Die Europäische Kommission überprüft derzeit die Umsetzung der BRRD in den Mitgliedsstaaten einschließlich der Umsetzung des Instrumentes der Gläubigerbeteiligung.Ebenfalls im Blick der Kommission sind geltende und künftige regulatorische Anforderungen, ausreichend geeignetes Fremdkapital vorzuhalten, um Banken in Schieflage rekapitalisieren zu können. Es ist denkbar, dass die Kommission Änderungen der BRRD vorschlägt, die mit dem deutschen Ansatz nicht in Einklang gebracht werden können. So favorisiert die Kommission laut Medienberichten das französische Konzept, nach dem eine neue Klasse von Verbindlichkeiten mit eigenem Rang eingeführt werden soll, die in der Krise speziell dem Zweck der Rekapitalisierung bzw. Gläubigerbeteiligung dienen. Dies weicht von der deutschen Regelung ab, nach der alle nicht strukturierten Schuldtitel vorrangig zur Rekapitalisierung bzw. Gläubigerbeteiligung herangezogen werden können. Sollte sich der französische Ansatz durchsetzen, würde dies wohl mittelfristig zu Anpassungen der deutschen Regelung führen.—-*) Dr. Gabriele Apfelbacher ist Partnerin, Michael Kern Senior Attorney und Dr. Valentin Pfisterer Associate bei Cleary Gottlieb.