Synbiotic fordert „Reinheitsgebot“
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Medizinisches Cannabis gibt es in Deutschland seit 2017 auf Rezept, und auch in Kosmetika und Lebensmitteln werden die nichtpsychotropen, aber beruhigenden Inhaltsstoffe der Pflanze bereits verwendet. Jetzt will die Ampel-Koalition Cannabis auch zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften legalisieren. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es auf Seite 87: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Dadurch werde „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“.
Bei etlichen Unternehmen könnte diese dritte Liberalisierungswelle eine regelrechte Bonanza auslösen. „Die Legalisierung von Cannabis würde Deutschland zum dritten europäischen Land (nach den Niederlanden und Spanien) machen, das Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert und seinen Markt reguliert“, sagte Nikolaas Faes von der Investmentbank Bryan, Garnier & Co der Börsen-Zeitung. „Der deutsche Markt für medizinisches Cannabis hat derzeit einen Wert von etwa 300 Mill. Euro und unsere Schätzung für den gesamten adressierbaren Markt beläuft sich auf 9,5 Mrd. Euro, was darauf hindeutet, dass es für auf dem Markt tätige Betreiber ein erhebliches Potenzial gibt.“
Einer der größten Profiteure der Legalisierung könnte der börsennotierte Cannabis-Anbieter Synbiotic werden, der 2019 als leere Hülle gestartet war und seither zwölf Unternehmen gekauft hat – zuletzt am Mittwoch im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung die Unternehmensgruppe des Hanf-Branchenpioniers Daniel Kruse, der nun 10% der Synbiotic-Anteile hält. Nach eigenen Angaben ist Synbiotic die größte börsengelistete Unternehmensgruppe Europas, die auf den Hanf- und Cannabis-Sektor spezialisiert ist.
Die Marktkapitalisierung hat sich in den vergangenen zehn Tagen bereits auf 150 Mill. Euro verdoppelt, obwohl der Umsatz im laufenden Jahr nur 15 Mill. Euro erreichen wird. Haupteigentümer ist der deutsche Tech-Investor Christian Angermayer, der mit seinem Family Office Apeiron rund 41% der Anteile hält.
Im September hatte Angermayer getönt: „Wie auch immer eine Regierung nach der Wahl aussieht, sie kann es sich nicht leisten, die wissenschaftlichen Fakten zu ignorieren: Alkohol, objektiv die schädlichste aller Drogen, ist frei verkäuflich und darf sogar beworben werden. Cannabinoid-Produkte, risikolos und gleichzeitig mit positiven Effekten für den jeweiligen Konsumenten, sind verboten. Wir müssen die Drogenpolitik endlich den wissenschaftlichen Fakten anpassen.“
Kerngeschäft von Synbiotic war bisher die Erforschung neuer, auf Cannabinoiden – dem nicht psychisch wirksamen Hanf-Wirkstoff – basierender Lösungen für Probleme wie Schmerz, Schlaflosigkeit und Angst. Darüber hinaus beschäftigt sich die Firma mit der Produktion verschiedenster Cannabinoide und entwickelt Nahrungsergänzungsmittel sowie Kosmetik.
Nun will Synbiotic Kapital aus der geplanten Cannabis-Legalisierung schlagen. „Wir streben 75% Umsatzwachstum pro Jahr an“, sagte Synbiotic-Chef Lars Müller der Börsen-Zeitung. Der 31 Jahre alte Allgäuer hält selbst knapp 23% der Firmenanteile. „Wir müssen nun gemeinsam mit der Politik einen Qualitätsstandard, eine Art Reinheitsgebot, entwickeln. Das muss nicht auf dem Niveau für Pharmazeutika sein, aber auch nicht weit darunter.“ Die Legalisierung werde für Synbiotic, die noch Verluste macht, eine Umsatz- und Gewinnexplosion mit sich bringen. Dann werde die Gruppe auch in den Freizeitkonsum einsteigen und „eigene Vergabestellen“ eröffnen. „Wir alle wissen, dass die Party erst in drei bis fünf Jahren losgeht.“
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.“