Tarifpartner setzen auf Flexibilität
Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie haben sich auf einen Tarifabschluss geeinigt. Während Arbeitnehmer flexiblere Arbeitszeiten feiern, sorgt sich die Industrie um kleinere Betriebe.igo Stuttgart – Nach den ganztägigen Warnstreiks der vergangenen Woche haben die Gewerkschaft IG Metall und die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie einen Tarifabschluss in Baden-Württemberg erzielt. Die Einigung für rund 900 000 Beschäftigte im Südwesten gilt als Pilotabschluss für bundesweit 3,9 Millionen Beschäftigte der Branche. In der Regel wird der Abschluss des Pilotbezirks von den restlichen sechs Tarifbezirken übernommen. Die IG Metall Küste sowie der Arbeitgeberverband Nordmetall kündigten diese Absicht am Dienstag bereits an.Der ausgehandelte Tarifabschluss sieht ab dem 1. April eine Entgelterhöhung von 4,3 % sowie eine Einmalzahlung von 100 Euro für Januar bis März 2018 vor. Ab 2019 gibt es zudem einen Festbetrag von 400 Euro plus ein tarifliches Zusatzgeld in Höhe von 27,5 % eines Monatsentgelts. Insgesamt läuft der Abschluss damit, wie erwartet wurde, auf ein jährliches Lohnplus von 3,5 % hinaus.Hinzu kommt bei diesem Abschluss, dass Beschäftigte, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder im Schichtdienst arbeiten, statt des Zusatzgeldes acht freie Tage nehmen können. Zwei dieser Tage finanziert demnach der Arbeitgeber. Außerdem haben ab 2019 alle Vollzeitmitarbeiter nach mindestens zwei Jahren Betriebszugehörigkeit Anspruch auf verkürzte Vollzeit: Sie können ihre Arbeitszeit für sechs bis 24 Monate auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren. Anschließend können sie zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren. Sollte eine Verkürzung betrieblich nicht umsetzbar sein, kann der Arbeitgeber die Reduzierung ablehnen. Die Unternehmen können zudem mit mehr Beschäftigten als bisher 40-Stunden-Verträge abschließen. Der Tarifvertrag läuft bis zum 31. März 2020. In den insgesamt sechs Verhandlungsrunden hatten die Tarifparteien vor allem über die Ausgestaltung flexibler Arbeitszeiten gerungen. Meilenstein und UnsicherheitIG-Metall-Chef Jörg Hofmann bezeichnete den Abschluss als einen “Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen, selbstbestimmten Arbeitswelt”. Die Arbeitszeit könne in diesem Modell “entsprechend den Bedürfnissen beider Seiten sowohl teils verkürzt als auch verlängert werden”, so Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Mit der höheren Flexibilität für beide Seiten sei die Metall- und Elektroindustrie “für zukünftige Herausforderungen durch den demografischen Wandel und die Digitalisierung gut gewappnet”, konstatierte Achim Wambach vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Die Laufzeit von 27 Monaten gebe den Unternehmen zudem Planungssicherheit.Allerdings sind nicht alle Arbeitgeberverbände von der Lösung überzeugt. Mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern tue der Abschluss “richtig weh”, so Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VDMA. “Die komplexen Vereinbarungen und Prüfpflichten zur Arbeitszeit werden im betrieblichen Alltag zu erheblichen Unsicherheiten führen”, sagte Brodtmann weiter. Die “äußerst großzügige Regelung” zur Verkürzung der Arbeitszeit verschlimmere darüber hinaus den Fachkräftemangel, der gerade kleinere Betriebe trifft.Für Anatoli Annenkov, Analyst bei der Bank Société Génèrale, sind zwei vom Arbeitgeber bezahlte freie Tage indes “ein relativ geringer Anreiz”. Er erwartet durch den Abschluss dennoch einen negativen Einfluss auf die Produktivität. Firmen müssten mehr Personal einstellen und anlernen, was die Verwaltungskosten erhöhe. Über die Laufzeit des Tarifabschlusses müssen sich die Firmen auf eine jährliche Steigerung des Personalaufwands von 3,45 % einstellen.Wie stark die Auswirkungen genau sein werden, hängt vor allem davon ab, wie viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit überhaupt verkürzen wollen. Und letztlich ist entscheidend, wie viele Unternehmen dann mit Verweis auf derzeit voll ausgelastete Produktionskapazitäten von ihrem Veto-Recht Gebrauch machen. Speziell die Autoindustrie läuft derzeit auf Hochtouren und muss in Maschinen und Anlagen investieren, um der Nachfrage beizukommen. Umgekehrt haben Unternehmen nun die Möglichkeit, mehr 40-Stunden-Verträge als bisher abzuschließen und darüber das Arbeitsvolumen ihrer Belegschaften zu steuern. “Neue Richtung”Auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber anderer Branchen wollen grundsätzlich mehr Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten. Experten sehen darin das dominierende Thema künftiger Tarifverhandlungen. “Die IG Metall hat da einen Pflock eingerammt und der Tarifpolitik eine neue Richtung gegeben”, so Thorsten Schulten vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert in der laufenden Tarifrunde bei der Deutschen Post etwa eine teilweise Umwandlung künftiger Entgelterhöhungen in freie Zeit. Die Eisenbahngewerkschaft EVG hat bereits die Wahlmöglichkeit durchgesetzt, sich eine Stufe der Lohnerhöhung nicht voll auszahlen zu lassen, sondern mehr Urlaub zu nehmen oder die Wochenarbeitszeit zu verkürzen.