Thyssenkrupp hat viele offene Baustellen
Thyssenkrupp arbeitet an vielen offenen Baustellen
Sonderlasten bescheren auch operativ rote Zahlen – Marktkapitalisierung fällt erstmals unter 2 Mrd. Euro
ab Köln
Nach der Gewinnwarnung vor zwei Wochen war klar, dass Thyssenkrupp im dritten Quartal schwach abgeschnitten hat. Dennoch sorgte der Zwischenbericht abermals für Ernüchterung an der Börse und das nicht nur, weil der Traditionskonzern auch im Zeitraum April bis Juni unter dem Strich rote Zahlen geschrieben hat. Auf Sicht der ersten neuen Monate summierte sich der auf die Thyssenkrupp-Aktionäre entfallende Konzernverlust auf 446 Mill. Euro, fast 400 Mill. Euro mehr als im Vorjahr.
Umsatz und Auftragseingang gingen in fast allen Segmenten zurück. Das bereinigte operative Ergebnis schnurrte im Berichtsquartal um fast 40% auf 149 Mill. Euro zusammen, die Marge rutschte auf 1,7% ab. Nach Sonderposten standen vor Zinsen und Steuern mit 128 (i.V. +84) Mill. Euro bereits rote Zahlen zu Buche. Aus dem operativen Geschäft flossen 350 Mill. Euro ab, der freie Cashflow belief sich auf −602 Mill. Euro.
Zwar beeilte sich der seit Juni dieses Jahres amtierende Finanzchef Jens Schulte, das Bild zurechtzurücken: Eine Förderzahlung für die Direktreduktionsanlage in der Stahlsparte sei erst nach dem 30. Juni eingegangen. Am Gesamtbild ändert das jedoch nichts.
Thyssenkrupp | ||
Konzernzahlen* nach IFRS | ||
9 Monate | ||
in Mill. Euro | 2023/24 | 2022/23 |
Auftragseingang | 24.904 | 28.755 |
Umsatz | 26.231 | 28.723 |
Bereinigtes Ebit | 416 | 615 |
Ebit | -73 | 349 |
Periodenergebnis | -410 | 2 |
dav. Thyssen-Aktionäre | -446 | -64 |
Free Cashflow vor M&A | -983 | -234 |
Nettofinanzposition | 3.191 | 3.238 |
*) Geschäftsjahr zum 30.9. |
Entsprechend gab der Kurs des MDax-Werts in der Spitze um fast 5% nach. Die Marktkapitalisierung hat damit erstmals die Schwelle von 2 Mrd. Euro nach unten durchstoßen. Dennoch vermochte Schulte dem Zwischenbericht auch positive Seiten abzugewinnen. Das im Vorjahr aufgelegte Effizienzprogramm „Apex“ habe dafür gesorgt, dass der Ergebnisdruck abgefedert werden konnte. Gleichwohl gebe es in allen Geschäften Restrukturierungsbedarf. Seit 1. Juli ist Schulte im Vorstand auch für Apex verantwortlich.
Restrukturierungsaufwand
Der Finanzvorstand untermauerte, dass Apex kein Stellenabbauprogramm ist. Doch die von den Segmenten aufgestellten Performancepläne beinhalteten natürlich auch das. Allein im dritten Quartal fielen Restrukturierungsaufwendungen bzw. -rückstellungen von 73 Mill. Euro in den Segmenten Decarbon Technologies und Material Services an. Der Restrukturierungsbedarf für das Gesamtjahr lasse sich noch nicht quantifizieren, sagte Schulte.
Hart treffen wird es in diesem Zusammenhang das Segment Automotive Technology, das erst zum Anfang des Geschäftsjahres neu zusammengesetzt wurde. So wird nach den Angaben für Automotive Body Solutions eine Neuausrichtung geprüft, die in Deutschland den Abbau von bis zu 400 Stellen nach sich zieht. Zugleich sollen Kapazitäten im Ausland ausgebaut werden. Für Spring & Stabilizers werden die Verkaufsgespräche weitergeführt, der Verkaufsprozess für Automation Engineering hat sich dagegen vorerst zerschlagen. Nun werden für die dazugehörige Untereinheit Powertrain verschiedene Optionen „bis hin zu tiefer gehenden strukturellen Maßnahmen“ geprüft, heißt es.
Dass Decarbon Technologies im Berichtsquartal mit 59 (i.V. −16) operativ Verlust schrieb, war im Wesentlichen Einmaleffekten im Anlagenbau (Polysius) geschuldet. Hier waren Mehrkosten aus Altprojekten zu verdauen, Kostenpunkt: 80 Mill. Euro. Im Werkstoffhandel (Material Services) gelang dagegen trotz leicht rückläufiger Erlöse ein kleiner Zuwachs im operativen Ergebnis um 8 Mill. Euro.
Hohe Pensionsverbindlichkeiten
Deutlich schwächer als im Vorjahr schnitt die Stahlsparte ab, deren operatives Ergebnis sich im Berichtsquartal auf 100 Mill. Euro nahezu halbierte. „Aus meiner Sicht hat sich Steel Europa damit gut behauptet“, sagte Schulte. Zugleich betonte er, „größten Respekt“ vor der Arbeit des Stahlvorstands zu haben. Dieser hatte sein Restrukturierungskonzept in der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag vorgelegt. Dennoch gibt es weiterhin Diskussionsbedarf. Der langfristige Finanzierungsbedarf soll nun im Rahmen eines Sanierungsgutachtens ermittelt werden.
„Unser gemeinsames Ziel ist und bleibt eine eigenständige Aufstellung des Stahlbereichs, der sich wirtschaftlich trägt – und zwar aus eigener Kraft.“ Thyssenkrupp sieht sich aber nicht in der alleinigen Pflicht, den Finanzierungsbedarf sicherzustellen. Es gelte, weitere Investoren zu gewinnen, sagte Schulte und spielte damit auf die Finanzierungsmöglichkeiten am Fremdkapitalmarkt an. Das könne gelingen, sei aber ein langer Prozess, sagte der Finanzchef.
Noch nicht geklärt ist auch das Thema der Pensionsverbindlichkeiten. Von den zum 30. Juni im Konzern bilanzierten Pensionsrückstellungen von 5,65 Mrd. Euro entfalle etwa die Hälfte auf die Stahlsparte. Mit Daniel Křetínský, der inzwischen mit 20% an der Stahlsparte beteiligt ist, liefen die Gespräche über den Verkauf weiterer 30%. Thyssenkrupp zielt auf eine 50:50-Partnerschaft ab.
Thyssenkrupp hat ein düsteres Quartal hinter sich. Das operative Ergebnis brach um 40% ein. Unter dem Strich stehen erneut rote Zahlen. Die Prognose für das im September ablaufende Geschäftsjahr hatten die Essener schon Ende Juli zurechtgestutzt. Doch nicht nur die Stahlsparte hat Restrukturierungsbedarf.