Finanzmarkt

Top Gun im EU-Kapitalmarktrecht: Der DLT-Pilot

Der Gesetzgeber will digitalen Akteuren den Weg in den Kapitalmarkt erleichtern. Die Rechnung geht nur auf, wenn die Aufsichtsbehörden mitspielen.

Top Gun im EU-Kapitalmarktrecht: Der DLT-Pilot

„I feel the need (…), the need for speed!“, ruft der von Tom Cruise verkörperte Pilot Maverick im legendären Fliegerfilm Top Gun aus dem Jahr 1986, der gerade seine Fortsetzung in den Kinos findet. The need for speed verspürte auch der EU-Gesetzgeber, als er nach vergleichsweise kurzer Vorbereitungszeit mit der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen (DLT-VO) an den Start brachte. Wie Maverick seine Crew soll das neue Gesetz den europäischen digitalen Kapitalmarkt als DLT-Pilot in eine sichere und prosperierende Zukunft führen.

Der Entwurf der DLT-VO war Teil eines digitalen Finanzpakets vom 24.9.2020, mit dem die EU-Kommission dem digitalen Finanzmarkt einen umfassenden regulatorischen Rahmen geben will. Neben der DLT-VO enthält das Paket eine Rahmen-VO für Kryptowerte (MiCA) und eine VO für digitale Betriebsstabilität (DORA). MiCA und DORA stecken aber noch im Entwurfsstadium, während die DLT-VO vom 30.5.2022 sich bereits in die Lüfte erhoben hat und ab März 2023 vollständig anwendbar ist.

Gesetzgeberisches Ziel des digitalen Finanzpakets ist es, das Wettbewerbs- und Innovationspotenzial des digitalen Finanzwesens zu fördern und gleichzeitig Risiken zu mindern. Gefördert werden sollen Disruption und Disintermediation, d.h. der Wegfall einzelner Stufen der Wertschöpfungskette. Die Stoßrichtung der DLT-VO ordnet sich hier ein. Sie soll dem Markt ermöglichen, die Tokenisierung, d.h. die digitale Darstellung von Finanzinstrumenten (Aktien, Anleihen und Investmentzertifikate), und den barrierefreien Handel mit Token auf der Blockchain (einer Form von DLT) voranzutreiben und technische Standards zu entwickeln.

Als Hürde für die Erreichung dieses Ziels gilt, dass das bestehende Kapitalmarktaufsichtsrecht die Besonderheiten von Token und DLT nicht berücksichtigt und die digitale Entwicklung des Kapitalmarkts deshalb behindert (z.B. dadurch, dass Zugang zu traditionellen Systemen aus regulatorischen Gründen i.d.R. nur über Finanzintermediäre möglich ist). Diese Hürde soll dadurch überwunden werden, dass bestimmte DLT-Marktinfrastrukturen von einigen Anforderungen des Aufsichtsrechts ausgenommen werden. Da jedoch gleichzeitig Anlegerschutz und Finanzstabilität zu wahren ist, gelten diese Ausnahmen nur vorübergehend (bis sechs Jahre).

Zudem werden die regulatorischen Erleichterungen (zu denen der Zugang zu den Systemen für Nichtprofis und Abstriche bei den umfangreichen Transaktionsmeldepflichten für die Systembetreiber zählen) von einer Reihe Kompensationsanforderungen für die Betreiber der DLT-Marktinfrastrukturen begleitet. Die DLT-VO ist mit anderen Worten ein Testflug mit dem Ziel, neue und gleichzeitig sichere Wege zu einem digitalisierten Kapitalmarkt zu finden.

Der regulatorische Ansatz des DLT-Piloten besteht darin, einen neuen Status für DLT-Marktinfrastrukturen zu schaffen, und zwar dergestalt, dass eine Wertpapierfirma, die ein MTF (Multilateral Trading Facility) ausschließlich als DLT-Handelssystem und ein Zentralverwahrer (Central Securities Depository, CSD), der ausschließlich ein DLT-Abwicklungssystem betreiben will, die dafür (eigentlich) erforderliche Genehmigung unter vereinfachten Bedingungen erhält. Die Wertpapierfirma, die über eine diesen Status vermittelnde sogenannte besondere Genehmigung verfügt, wird als multilaterales DLT-Handelssystem (DLT-MTF) bezeichnet und das betreffende CSD als DLT-Abwicklungssystem (DLT-SS).

Darüber hinaus soll es DLT-MTF und DLT-SS auch möglich sein, diejenigen Dienstleistungen anzubieten, die normalerweise dem jeweiligen anderen Akteur vorbehalten sind. Das DLT-MTF soll also in Kombination mit Trading auch Settlement und Custody anbieten können und das DLT-SS in Kombination mit Settlement und Custody auch Trading. Der Inhaber einer solchen Kombi-Genehmigung wird als DLT-Handels- und Abwicklungssystem (DLT-TSS) bezeichnet.

Die regulatorischen Erleichterungen, die die DLT-VO den DLT-Marktinfrastrukturen im Vergleich zu den traditionellen Systemen gewährt, sind erheblich. Im Idealfall erlauben sie einen Handel mit digitalen Finanzinstrumenten (und seine Abrechnung) unter Zuhilfenahme eines einzigen Intermediärs, nämlich der DLT-TSS. Hinzu kommt, dass das Geschäft über eine DLT quasi in Echtzeit abgeschlossen und abgerechnet werden kann, während es für die Abwicklung in traditionellen Systemen in der Regel zweier Tage bedarf.

Digitaler Kapitalmarkt

Der Gesetzgeber will es neuen digitalen Akteuren erleichtern, am Kapitalmarkt Fuß zu fassen und für etablierte Akteure Anreize schaffen, neben den traditionellen auch digitale Handels- und Abrechnungssysteme anzubieten. Ob diese Rechnung aufgeht, wird zum einen davon abhängen, wie liberal die Aufsichtsbehörden (in Deutschland: die BaFin) bei der Erteilung der besonderen DLT-Genehmigung sein werden (wenn die Hürden praktisch zu hoch sind, wird der DLT-Pilot schnell eine Bruchlandung erleiden).

Zum anderen wird entscheidend sein, wie seriös die Betreiber der neuen DLT-Marktinfrastrukturen sind (ein großer Betrugsskandal kann dem Höhenflug des DLT-Piloten schnell ein Ende bereiten). Auch letzterer Aspekt wird wiederum vom Verhalten der Aufsicht stark beeinflusst werden, hier allerdings insofern, dass sie gerade nicht zu liberal sein darf und schwarze Schafe unter den DLT-Marktinfrastrukturen aussortieren muss.

In jedem Fall wird der Erfolg des DLT-Piloten deshalb zu einem Gutteil vom Geschick der Aufsichtsbehörden beeinflusst werden, denen der Autor bei der praktischen Ausübung ihrer DLT-Pilotenüberwachung gutes Gelingen wünscht. Denn eines ist klar: Wenn das digitale Element Erfolg hat, wird der europäische Kapitalmarkt profitieren und die Anleger werden es danken.