Trügerische Ruhe vor dem Sturm bei Insolvenzen
ab Düsseldorf – Das Insolvenzgeschehen hat sich dank staatlicher Stützungsmaßnahmen und der befristeten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht von der tatsächlichen Lage der Unternehmen entkoppelt. Der Rückgang der Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr um 8,2 % auf 8 900 Fälle darf nach Einschätzung von Creditreform jedoch nicht missinterpretiert werden. Im Herbst, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit entfällt, droht eine Insolvenzwelle, wie Volker Ulbricht, Hauptgeschäftsführer im Verband der Vereine Creditreform, vor der Presse erläuterte.Abzuwenden wäre das nur, wenn es zu einer raschen Erholung (V-Szenario) komme. Daran herrschen aber zunehmend Zweifel. Sollte die Aussetzung der Antragspflicht, wie im Covid-19-Gesetz angelegt, bis März 2021 verlängert werden, könnte sich die Antragsflut womöglich nochmals verschieben. “Die Insolvenzwelle kommt”, das steht für Ulbricht außer Frage.Der deutliche Rückgang der Insolvenzzahlen lege zudem den Verdacht nahe, dass es im Zuge der staatlichen Maßnahmen auch zu Mitnahmeeffekten gekommen sei. Offenbar seien vorläufig auch Unternehmen der Insolvenz entgangen, die ohne Viruskrise den Gang zum Amtsgericht hätten antreten müssen.Auf eine konkrete Prognose für das Gesamtjahr will sich die Wirtschaftsauskunftei nicht festlegen lassen. Branchenexperten rechneten allerdings mit einem Anstieg der Firmenpleiten um bis zu 20 %, sagte Ulbricht. 2019 war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nochmals um 3 % auf 18 830 Fälle zurückgegangen, doch hatte sich im verarbeitenden Gewerbe bereits eine Trendwende abgezeichnet. Angesichts des Einbruchs der Weltwirtschaft im Gefolge der Pandemie dürfte sich dieser Trend nun verstetigen. Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Lockdown seien “richtig und notwendig” gewesen, sagte Ulbricht. Aus Sicht der Gläubiger sei es jedoch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits liege es im Interesse der Gläubiger, gesunde Unternehmen nicht in die Insolvenz zu treiben. Andererseits berge die Nichtanzeige der Insolvenz die Gefahr von Anschlussinsolvenzen auf der Lieferantenseite. Von daher komme dem Risikomanagement in diesen Tagen besondere Bedeutung zu. Zwar habe sich die Bundesregierung mit den Warenkreditversicherern auf eine Krisenlösung verständigt, doch verfüge nur gut 1 % der deutschen Unternehmen über eine Kreditversicherung, verdeutlichte Ulbricht.Der Rückgang der Insolvenzzahlen ging allerdings mit einem Anstieg der durchschnittlichen Schadensumme bei einem Gesamtschaden von 12 Mrd. Euro einher. Im Durchschnitt stieg der Schaden je Insolvenzfall auf 1,3 Mill. Euro – einer der höchsten Werte der vergangenen Jahre. Grund dafür war die steigende Zahl von Großinsolvenzen. Das spiegelt sich auch in der Zahl der verloren gegangenen Arbeitsplätze, die mit 125 000 nahezu auf dem hohen Vorjahresniveau von 130 000 verharrte.Dass “die sinkenden Insolvenzzahlen die tatsächliche Lage der Unternehmen verschleiern”, zeigt sich auch in der Branchenentwicklung. Demnach ging die Zahl der Firmenpleiten im Handel in den ersten sechs Monaten 2020 um gut 10 % auf 1 840 Fälle und im Baugewerbe um 9,4 % auf 1 260 Insolvenzen zurück. Auch im Dienstleistungsgewerbe, das für das Gros der Unternehmensinsolvenzen steht, nahm die Zahl der Pleiten um 8,1% ab. Im verarbeitenden Gewerbe blieb die Zahl der Insolvenzen dagegen mit 710 stabil. Ärgste Befürchtungen hat Ulbricht für Unternehmen aus (Textil-)Handel, Tourismus und Gastronomie. – Wertberichtigt Seite 8