Unter Strom
Das jüngste Kursfeuerwerk der deutschen Automobilwerte unterstreicht, wie stark sich die Wahrnehmung der Branche in den Augen der Anleger im laufenden Jahr verändert hat. Denn obwohl die Neuzulassungen in den ersten beiden Jahresmonaten EU-weit äußerst ernüchternd ausgefallen sind, profitieren die Aktien des Sektors von Hoffnungen auf eine baldige Erholung von der Coronakrise, die auch anderen Zyklikern seit Anfang November Auftrieb verliehen haben. So setzen Investoren darauf, dass die aufgestaute Konsumentennachfrage in den kommenden Monaten zu einem starken Aufholeffekt am Automarkt führen wird.
Wichtiger dürfte aus Investorensicht aber der langfristige Blick sein. Dabei wird der Wandel zur E-Mobilität für die Autobauer nicht nur zur elementaren Herausforderung des Jahrzehnts, sondern bietet auch gewaltige Chancen. Renommierte Analysten glauben daran, dass das Segment bis 2025 in allen großen Weltmärkten jährlich um 30% wachsen kann – begünstigt durch politische Unterstützung aus Brüssel und Peking sowie vonseiten der neuen Regierung in Washington. Dementsprechend drücken die deutschen Hersteller bei ihren Elektrostrategien inzwischen mächtig auf die Tube, was auch ihre Aktien unter Strom setzt.
Bei BMW etwa goutieren die Anleger, dass das neue E-Modell i4 drei Monate früher als geplant auf den Markt kommen soll. Zudem wollen die Münchner bis 2030 mindestens die Hälfte des weltweiten Neugeschäfts mit E-Autos erzielen. Auch Volkswagen plant einen radikalen Umbruch – im Jahr 2030 sollen 70% aller in Europa verkauften Fahrzeuge der Kernmarke VW elektrisch betrieben werden.
Die ehrgeizigen Ziele haben nun wohl US-Kleinanleger auf den Plan gerufen, die insbesondere die im Vergleich zu den Vorzügen illiquiden Stammaktien ins Visier nehmen. Das beschert deren Kurs kräftige Sprünge, die laufende Woche ist für die Papiere bisher eine der besten jemals – allerdings drohen bei Verkäufen aufgrund der starren Aktionärsstruktur der Stämme umso kräftigere Rückschläge.
Wie lange VW die Position als wertvollstes deutsches Unternehmen halten kann, muss sich zeigen. Der holprige Start der bisherigen E-Modelle lässt am Erfolg der vollmundig angekündigten neuen Strategie jedenfalls noch vorsichtig zweifeln. Auch wenn Volkswagen und seine Wettbewerber die Anleger derzeit elektrisieren, kann sich ein plötzlicher Spannungsabfall angesichts der hohen Erwartungen an der Börse schnell zum Blackout auswachsen.
(Börsen-Zeitung,