Einzelhandel

Verbraucher werkeln am eigenen „Auenland“

Die Umsatzentwicklung in der Baumarktbranche ist 2020 und bisher auch in diesem Jahr atypisch­ positiv verlaufen – eine Folge der verordneten Anti-Corona-Maßnahmen. Verbraucher nutzten die Zeit zu Hause für Ausbesserungen und Gartenarbeit.

Verbraucher werkeln am eigenen „Auenland“

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

In der Coronakrise haben viele Verbraucher aus der Not heraus eine Freizeitbeschäftigung – manche sogar ein Hobby – entdeckt: Heimwerken. Das machte die Baumarktbetreiber neben den Lebensmittelhändlern zum einzigen Sektor in der Einzelhandelsbranche, der sowohl in physischen Märkten als auch im Online-Geschäft von der Pandemie profitierte.

Do-it-yourself- (DIY) bzw. Home-Improvement-Projekte – also Renovierungen, Ausbesserungen oder Umbauten am und im Haus bzw. der Wohnung – wurden vielfach als Ausgleich für die Mobilitätseinschränkungen im Lockdown angegangen, der Garten als Ersatzurlaubsort begriffen. Das belegt die Umsatzaufteilung nach Sortimenten: Gemäß dem GfK Total Store Report war 2020 das Wachstum bei Anstrichmitteln/Malerzubehör, Gartenausstattung und -möbeln sowie Holz mit Zuwächsen zwischen 24,8% und 27,4% am höchsten.

Katalysator fürs Cocooning

Insgesamt stieg der Bruttoumsatz der Baumärkte in Deutschland 2020 im Vergleich zum Vorjahr laut dem GfK-Report um 13,8% auf 22,14 Mrd. Euro. Das bereinigte Wachstum von 14,1% entspricht fast dem vierfachen Wert von 2019, obwohl schon dieses Plus von 3,8% das höchste seit 2014 war. Mit anderen Worten: Produkte aus dem Baumarkt wurden schon verstärkt gekauft, als die meisten Menschen bei „Corona“ noch an eine mexikanische Biermarke oder ein Automodell von Toyota dachten.

„Das Corona-Jahr wirkte als Katalysator der Cocooning-Trends“, heißt es dazu vom Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB). Unter Cocooning wird die Tendenz bezeichnet, sich vermehrt aus der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen. Der BHB beschreibt das mit Blick auf J.R.R.Tolkiens Fantasiewelt als Wunsch nach dem eigenen „Auenland“.

Inzwischen kommt es allerdings zur schrittweisen Normalisierung des täglichen Lebens. Viele Einzelhändler dürfen ihre Geschäfte wieder ohne Einschränkungen öffnen, erste Großveranstaltungen dürfen – allerdings unter strengen Sicherheitsauflagen – stattfinden. Gemeinhin wird für den Spätsommer oder Frühherbst mit der vollständigen Rücknahme der Maßnahmen gerechnet, die die persönlichen und privatwirtschaftlichen Freiheiten zugunsten der Pandemie-Bekämpfung einschränkten. Dann wird mit einer Gegenbewegung auf das verordnete Cocooning gerechnet. Dazu dürfte es auch höchstwahrscheinlich kommen, wie die wiedereröffneten und an den vergangenen warmen Sonnentagen aus allen Nähten platzenden Gartenlokale und Biergärten zeigten. Für die Baumärkte verheißt das allerdings nichts Gutes.

Verband wagt keine Prognose

Der BHB hatte Ende April auf der Jahrespressekonferenz keine Pro­gno­se für die Branchenentwicklung im laufenden Jahr abgegeben. Der Verband verwies auf die vielen Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Pandemie, betonte aber, dass DIY eine Trendbranche bleibe. Lediglich für die E-Commerce-Sortimente Heimwerken, Garten und Baustoffe, deren Umsätze 2020 um rund 25%, 31% und knapp 18% gestiegen waren, wagte der BHB eine Schätzung, die zwar weiteres Wachstum in allen drei Kategorien, aber mit 11, 5 und 8% auf einem viel niedrigeren Niveau vorsieht (siehe Grafik).

Der einzige börsennotierte deutsche Baumarktbetreiber, das Familienunternehmen Hornbach, war da etwas mutiger: Sowohl für die Holding als auch für die ebenfalls gelistete Baumarkt-Tochter wurde ein Umsatz „etwa auf dem Niveau von 2020/21“ (28. Februar) vorhergesagt. Die operativen Gewinne (Ergebnis vor Zinsen und Steuern, bereinigt um Sondereffekte) werden der Schätzung zufolge im laufenden Geschäftsjahr unter den Vorjahreswerten liegen, aber das Ergebnis von 2019/20 deutlich übertreffen.

Damit zeigt sich Hornbach für die laufende Berichtsperiode vorsichtig. „Insbesondere vom weiteren Fortschritt bei der Bekämpfung von Covid-19 wird es abhängen, wie nahe wir den Rekordwerten des vergangenen Geschäftsjahres kommen werden“, erklärte Hornbach in der Bilanzpressekonferenz (vgl. BZ vom 28. Mai). Nicht zuletzt dank hoher Investitionen in die Digitalisierung – laut Konzernchef Albrecht Hornbach rund 500 Mill. Euro in den vergangenen zehn Jahren – hat Hornbach im Vorjahr den Wettbewerber Hagebau von Platz 4 der umsatzstärksten deutschen Baumarktbetreiber verdrängt (siehe Tabelle).

Wie sich das Geschäft der Baumarktbetreiber mittel- bis langfristig entwickelt, hängt davon ab, ob das Cocooning bzw. Homing seit Ende des ersten Quartals 2020 vor allem eine Folge der Pandemie und der staatlich verordneten Anti-Corona-Maßnahmen war (u.a. Schließung von Gaststätten und Hotels sowie der meisten Einzelhandelsgeschäfte, Verbot öffentlicher Veranstaltungen) oder der Rückzug in die eigenen vier Wände „für die schwindende Lust der Menschen, Neuland zu entdecken, steht, ebenso für das Schrumpfen des eigenen Verantwortungshorizonts und für eine gewisse Gleichgültigkeit, die in der hoch individualisierten Gesellschaft um sich greift“, wie es die US-Amerikanerin Faith Popcorn, die oft als Mutter der Trendforschung bezeichnet wird, schon 1981 formulierte. Im erstgenannten Fall ist etwa bis 2023 mit bestenfalls durchschnittlichen Wachstumsraten in der Baumarktbranche zu rechnen, im zweiten Fall werden sich die Umsatzsteigerungen auf einem höheren Niveau einpendeln, das freilich deutlich unter dem Ausnahmejahr 2020 liegen wird.

Digitalisierung forciert

Ob der Boom in der Baumarktbranche nun abflauen oder auf etwas niedrigem Niveau anhalten wird – die Coronakrise hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass einige Entwicklungen forciert umgesetzt werden. An erster Stelle ist natürlich die Digitalisierung zu nennen, die vom Einkauf bzw. der Produktion bis zur Warenübergabe an den Endkunden keine Schwachstellen mehr haben darf. So muss das Shopping-System auf allen Vertriebskanälen und übergreifend („Click & Collect“) schneller, flexibler und krisensicher werden. Das führt z.B. zur Neudefinition von Flächen und zu Umbauten, etwa zu Abholzonen, weil sich Kunden ans Reservieren von Artikeln im Internet und Abholen im physischen Baumarkt gewöhnt haben.

Zweifelhaft ist dagegen, ob die vom BHB geäußerte Vorhersage zutrifft, dass die stationäre Fläche durch erweiterte Dienstleistungen (Showrooms/Präsentation von Stilwelten, Anleitung von Profis, Gastronomie, Ruhezonen etc.) an Bedeutung gewinne, der reine Warenverkauf aber an Bedeutung verliere. Ähnliche Prognosen zur künftigen Gestaltung von Märkten hat es schon oft gegeben; zumindest in der angekündigten Stärke und Geschwindigkeit trafen sie nie ein.

Die Top-5-Baumarktketten
Deutschland; Bruttoumsatz 2020
           UnternehmenMrd. Euro Wachstum in %
Obi4,6012,2
Bauhaus4,4514,4
Toom/B13,2417,5
Hornbach 3,1521,2
Hagebau3,0911,6
Top 2026,02 12,0
Quelle: Dähne Verlag Börsen-Zeitung