Verdunklungsgefahr

In der Transparenz von Managergehälter drohen deutliche Rückschritte - Investoren hoffen auf klare Informationen

Verdunklungsgefahr

Investoren haben in den vergangenen Jahren die Vorstandsvergütung immer stärker in den Blick genommen. Damit einher geht die Forderung nach hoher Transparenz der Systeme. Mit der Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie droht in Deutschland jedoch ein Rückschritt, weil Unternehmen nicht mehr gezwungen sein könnten, die tatsächlich zugeflossenen Gehälter zu veröffentlichen.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtEs hat in der Vergangenheit viel Zeit und Mühe gekostet, um Transparenz über Managergehälter in Kapitalmarktunternehmen herzustellen. Der Widerstand in der Wirtschaft gegen einen individualisierten Ausweis der Vorstandssaläre war enorm, doch über die Jahre ist dank gesetzlicher Initiativen, Druck von Investoren und den Regeln im Deutschen Corporate Governance Kodex für Einblick gesorgt worden.Den letzten entscheidenden Schritt brachte die Einführung von Mustertabellen durch den Kodex im Jahr 2014. Seitdem wird ausgewiesen, welche Minimal- und Maximalvergütung einem Manager gewährt werden und welcher Betrag ihm in dem Jahr tatsächlich zugeflossen ist. Damit wurde erstmals sichtbar, welche Summen aus aktienbasierten langfristigen Gehaltsbestandteilen auf dem Konto der Führungskräfte landen. Auch die jährliche Zuführung zur Altersvorsorge musste veröffentlicht werden. DivergenzenUnbefriedigend blieb, dass die Vorgaben im Deutschen Rechnungslegungsstandard 17 (DRS 17) über die Entlohnung der Organmitglieder teilweise nicht mit den Kodex-Vorgaben übereinstimmen. Der DRS 17 konkretisiert die Regelungen des Handelsgesetzbuches (HGB) zur Berichterstattung über Vorstandsvergütung im Jahresabschluss. Der Standard verlangt für aktienbasierte Vergütungen einen Ansatz zum Zeitwert bei Gewährung, so dass die am Ende ausgezahlte Summe aus der Ausübung von Aktienoptionen nicht erkennbar wird. Für die Pensionszusagen wird allein die Angabe des Buchwertes für das angesammelte Gesamtpaket vorgeschrieben.Angesichts dieser Gemengelage müssen Unternehmen verschiedene Tabellen für die Pflichten aus HGB und Kodex ausfüllen und veröffentlichen. Da die Angaben für die gewährte und ausgezahlte Vergütung oft nicht unbeträchtlich voneinander abweichen, löst dies teilweise erhebliche Verwirrung aus. So strichen die Vorstandsvorsitzenden im Dax 2018 im Durchschnitt nach HGB-Darstellung 5,7 Mill. Euro ein, während nach Zufluss ein Betrag von 7,5 Mill. Euro verdient wurde – eine Differenz von mehr als 30 % (siehe Grafik).Die über die Mustertabellen hergestellte Transparenz ist in Unternehmen umstritten, weil oftmals hohe Beträge aufleuchten, die in der Regel auf mehrere Jahre zu verteilen sind. So zeigte jüngst der ausgeschiedene ehemalige Beiersdorf-CEO Stefan Heidenreich für sein letztes Amtsjahr eine Gehaltssumme von 23,5 Mill. Euro, weil er aus einem langfristigen Bonusprogramm rückwirkend seit 2012 rund 21 Mill. Euro einstrich. In anderen Fällen wird allerdings auch deutlich, dass hohe Summen aus Aktienoptionsprogrammen mit Wartezeit nicht immer Eintagsfliegen sind, sondern auch jedes Jahr auftauchen können, wenn entsprechend regelmäßig Optionen gewährt werden.Die Mustertabellen haben den Investoren erstmals vollen Einblick in die Gehaltsentwicklung des obersten Managements ermöglicht. Doch damit könnte es bald vorbei sein, weil mit Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) die Karten neu gemischt werden. Mit dem Arug II werden laut Regierungsentwurf die bislang im HGB enthaltenen Vorgaben zum Vergütungsbericht ins Aktiengesetz übertragen. Damit verliert der Vergütungsstandard DRS 17 seinen gesetzlichen Anker, denn der deutsche Bilanzstandardsetzer im Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) ist nur für die Auslegung des HGB legitimiert, er darf aber das Aktiengesetz nicht kommentieren.Das DRSC ist dabei, den DRS 17 anzupassen, indem der dort enthaltene Teil für den Vergütungsbericht für Aktiengesellschaften gestrichen wird, wie DRSC-Präsident Andreas Barckow bestätigt. “Es gibt für uns keinen triftigen Grund, an dem bisherigen Standard unverändert festzuhalten, er wäre nicht mehr gesetzeskonform. Nicht weil wir den Standard inhaltlich für falsch halten, sondern weil es keine rechtliche Grundlage im HGB mehr dafür gibt.”Auch die Kodex-Kommission zieht Konsequenzen. Mit Blick auf die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie hat das Gremium in ihrem neuen Entwurf des Regelwerks die Mustertabellen gestrichen. Zwar hat der Vorsitzende der Kodex-Kommission, Rolf Nonnenmacher unlängst erklärt, er betrachte die Mustertabellen des Kodex “als Erfolg”. Dass der neue Kodex dennoch darauf verzichten möchte, liege allein daran, dass der Gesetzgeber im Arug II die Anforderungen an Vergütungsberichte definieren werde. “Aufgrund der Subsidiarität der Selbstregulierung bedürfen Transparenzregeln für die Vorstandsvergütung im Kodex einer besonderen Berechtigung”, erklärte Nonnenmacher auf einer Governance-Konferenz.Da die Umsetzung des Arug II hierzulande nicht wie ursprünglich erwartet im Juni vollendet wird, sondern sich bis in den Herbst hinein verzögert, ist auch die Veröffentlichung des neuen Kodex erst einmal ausgebremst. Die Kodex-Kommission hat deshalb angekündigt, nun im Mai noch mal einen überarbeiteten Entwurf des Regelwerks vorzustellen. Nach der Welle an kritischen Kommentaren aus der Unternehmenswelt zum ersten Entwurf des neuen Kodex ist zu erwarten, dass die Kommission in einigen Punkten zurückrudern wird. Beobachter halten es dabei auch für möglich, dass die Mustertabellen nun doch erst einmal beibehalten werden.Im Kreis der Beteiligten war erwartet worden, dass auf EU-Ebene Empfehlungen erarbeitet werden, die künftig in Ergänzung der Aktionärsrechterichtlinie die Darstellungen in den Vergütungsberichten harmonisieren. Eine dafür eingesetzte Arbeitsgruppe hat Anfang März ihren Entwurf vorgelegt. Die Empfehlungen sind nun allerdings nicht verbindlich und überraschen mit einer Vielzahl an Tabellen und geforderten Angaben. Sie bleiben in der begrifflichen Definition vage und sorgen nicht für Kontinuität in der bislang in Deutschland geforderten Gestaltung. Die Errungenschaft der Zuflusstabelle wird dort zudem nicht aufgegriffen. Es ist allerdings noch nicht die Endfassung.Nach Einschätzung des Vergütungsexperten Michael Kramarsch, Managing Partner der Unternehmensberatung HKP Group, droht der Rückschritt in eine “Transparenzsteinzeit”. Er hält die Transparenzbestimmungen der EU-Arbeitsgruppe für handwerklich und inhaltlich “deutlich mangelhaft”. “Sie fallen sogar hinter die HGB-Vorschriften zurück”, sagt er. Zudem seien diese Leitlinien mit keiner der bestehenden Ausweispraktiken in Europa vergleichbar, mit Ausnahme von Großbritannien.Für Kramarsch gibt es nur die Lösung, an den Mustertabellen im Kodex erst einmal festzuhalten – zumindest befristet, bis ein anderer Transparenzstandard gleicher Güte gefunden sei. Das Prinzip der Kontinuität könnte auf diese Weise gut und pragmatisch gemeistert werden. “Transparenzbestimmungen für Vorstandsgehälter sollten kein Spielfeld sein”, mahnt der Berater. Die Mustertabellen seien mit viel Aufwand eingeführt worden “und fanden trotz großer anfänglicher Aufregung rasch breite Akzeptanz”. “Soll man nun fünf Jahre später eine Wende von 180 Grad für sinnvoll halten?”, fragt Kramarsch. Die Unternehmen würden die Mustertabellen zwar nicht mögen, “aber noch weniger mögen sie ein erratisches Hin und Her”. Neue AbstimmungspflichtIn ihren Stellungnahmen zum Kodex haben zahlreiche Investorenvertreter ebenfalls gefordert, die Kodex-Tabellen weiterzuführen. Für Investoren sind realitätsnahe Informationen künftig noch wichtiger als in der Vergangenheit, weil sie regelmäßig auf den Hauptversammlungen über Vorstandsvergütung abstimmen müssen. Aus Sicht von Kramarsch haben auch die Unternehmen verstanden, dass ihnen die Mustertabellen “das Leben mit den Investoren deutlich erleichtern”.Kramarsch weist darauf hin, dass ohne Mustertabellen allein für die CEOs im Dax seit 2014 rund 47 Mill. Euro an Vergütung nicht gezeigt worden wären, über alle Vorstandsmitglieder wären Hunderte Millionen nicht in der Öffentlichkeit aufgetaucht. “Wir sprechen vermutlich von einem Wert nördlich von 400 Mill. Euro an Vorstandsvergütung, Altersversorgung und Long Term Incentive, die wir ohne die Kodex-Tabellen nicht gesehen hätten”, sagt Kramarsch, der selbst an der Entwicklung der Tabellen beteiligt war.