IM INTERVIEW: MICHAEL KRAMARSCH, HKP GROUP

"Vergütung darf für Investoren keine Black Box sein"

Der Unternehmensberater über Erwartungen institutioneller Anleger an Managergehälter, die Macht der Stimmrechtsberater und Informationsdefizite

"Vergütung darf für Investoren keine Black Box sein"

Die Diskussion über Managergehälter reißt nicht ab. In der Öffentlichkeit trifft die Höhe der Saläre auf Kopfschütteln, Investoren bemängeln zunehmend Transparenz und Ausgestaltung der Vergütungssysteme und senken in Hauptversammlungen den Daumen. Der Unternehmensberater Michael Kramarsch sieht Anleger und Unternehmen gefordert und kritisiert eine unkontrollierte Macht der Stimmrechtsberater.- Herr Kramarsch, die Hauptversammlungssaison läuft an. Im vergangenen Jahr bekamen Unternehmen, die ihre Vorstandsvergütung zur Abstimmung stellten, viel Gegenwind. Rollt die Protestwelle im laufenden Jahr weiter?Die Diskussion auf Hauptversammlungen über Vorstandsvergütung wird nicht abkühlen. Ohne das Votum von Ankeraktionären wäre im vergangenen Jahr die Mehrheit der vorgestellten Vergütungssysteme abgelehnt worden. Die Themen ESG, also Environment, Social, Governance, haben hohe Relevanz für verantwortliche Investoren. Dazu zählt die Vorstandsvergütung.- Über die Jahre haben Unternehmen auf ihren Hauptversammlungen in dem Thema immer weniger Zustimmung bekommen. Sind die Vergütungssysteme schlechter geworden oder die Ansprüche gestiegen?Die Investoren haben ihre Anforderungen verändert. Es gibt immer mehr passive Investments. Etwa 40 % des Free Float im Dax wird von passiven Investoren gehalten. Diese Anleger können nicht mehr mit den Füßen abstimmen und setzen ihre Stimmrechte ein, um das Management zu beeinflussen. Eine der wichtigsten und direktesten Einflussmöglichkeiten ist die Say-on-Pay-Abstimmung, die mit der EU-Aktionärsrechterichtlinie nochmal gestärkt wird.- Investoren, die gegen Vergütungssysteme stimmen, geht es also nicht primär um Vergütungsthemen?Der Gesetzgeber hat bei Vorstandsgehältern das Thema verfehlt. Der Politik geht es um eine gesellschaftsverträgliche Eingrenzung von Vergütungshöhen. Für Investoren dagegen steht die Ausgestaltung der Vergütungssysteme im Mittelpunkt. Für Anleger ist es entscheidend, die Anreize für das Management so zu setzen, dass die für sie relevanten Ziele erreicht werden. Mit der Say-on-Pay-Abstimmung wird Investoren zum ersten Mal der Hebel auf operative Unternehmensentscheidungen in die Hand gegeben. Es ist eine der zentralsten Interventionen in die deutsche Unternehmensverfassung mit dem Dreiklang von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung.- Wie wirken Investoren über Vergütungsvoten auf operative Unternehmensentscheidungen ein?Für die Vergütung ist festzulegen, an welchen Kennzahlen man sie misst und wie man sich mit Wettbewerbern vergleicht. Derjenige, der Kriterien und Zielniveau auswählt, bestimmt wesentlich über Unternehmensstrategie und Risikoprofil mit.- Ihr Haus hat gemeinsam mit Ipreo das Abstimmungsverhalten und die Empfehlungen von Stimmrechtsberatern unter die Lupe genommen. Die Forderungen der Investoren klingen nachvollziehbar: Sie möchten transparente Informationen über die Zielerreichung, wünschen anspruchsvolle Anreizschwellen, einen gewissen Gleichklang mit Aktionärsinteressen und lehnen willkürliche diskretionäre Gehaltsanpassungen ab. Hier verlangt man doch nicht zu viel von den Aufsichtsräten?Das ist richtig. Wahrscheinlich würden 80 % der Probleme mit Investoren verschwinden, wenn Vergütungsberichte professioneller ausgestaltet wären. Deutsche Unternehmen sind weltweit führend in der Darstellung der Vergütungshöhen. Da gibt es fast ein Zuviel und Nebeneinander von Informationen, was manchmal zu Verwirrung führt. Dagegen wird vollkommend unzureichend darüber berichtet, inwieweit Vorstände die Ziele erreicht haben, wie der Aufsichtsrat diskretionäre Spielräume nutzt oder generell wie die Relation Pay for Performance aussieht. Das sind jedoch für Investoren die entscheidenden Informationen.- Unternehmen erwidern oft, dass man Wettbewerbern zu viel preisgibt, wenn man diese Informationen veröffentlicht.Unternehmen verstecken sich gern hinter dem Deckmäntelchen der Wettbewerbsrelevanz. Investoren fordern ja keine Berichterstattung ex ante, in der Unternehmen ihre zukünftige Planung enthüllen, sie verlangen Informationen ex post. Im Nachhinein über Ziele, Zielerreichung und Beweggründe für Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats zu berichten ist mitnichten zu viel verlangt. Diese Darstellung ist inzwischen international Teil einer professionellen Vergütungsberichterstattung.- Sie schließen aus den Studienergebnissen, dass die Abstimmungssituation für Konzerne unberechenbarer geworden ist, weil unter anderem Stimmrechtsberater ihre Policy von einem zum anderen Jahr ändern können. Die Proxy Advisor veröffentlichen aber ihre aktuellen Guidelines. Insofern ist das doch ein transparenter Prozess?Man sitzt vielfach dem Irrtum auf, dass Aktionäre eine geschlossene Front mit einheitlicher Meinung über Vorstandsvergütung bilden. Das würde es den Unternehmen leicht machen. Fakt ist ein sehr diverses Meinungsbild mit teilweise diametral unterschiedlichen Ansichten. Selbst die führenden Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis, die global ein Duopol bilden, sind sich nur in zwei Drittel der Vergütungsempfehlungen auf deutschen Hauptversammlungen einig. Dieses Bild verstärkt sich im breiten Spektrum der Aktionäre.- Sie fordern von Stimmrechtsberatern “klare Transparenzregeln” zum Abstimmverhalten. Wie sollte das aussehen? Heißt das Klarheit vor der Hauptversammlung?Das Problem mit Stimmrechtsberatern ist vielschichtig. Sie bieten eine sinnvolle Dienstleistung für kleinere Investoren, die von ihren Kapazitäten her nicht in der Lage sind, sich zu allen Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung eine eigene Meinung zu bilden. Der Einfluss der Proxy Advisor geht jedoch weit darüber hinaus. Wir gehen davon aus, dass Stimmrechtsberater fünfmal so viele Stimmen beeinflussen wie der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock, der im Schnitt 6 % an Dax-Unternehmen hält.- Stimmrechtsberater sind halt auch großen Investoren nützlich.Man muss aber kritisch fragen, wie die Spielregeln entstehen. Die Empfehlungen der Stimmrechtsberater werden ohne demokratische Legitimierung aufgestellt und abgegeben. Stimmrechtsberater fragen allein ihre Kunden nach deren Governance-Präferenzen. Damit entsteht faktisch ein Standardsetter, ein Schattenregime der Corporate Governance, das für Unternehmen mächtiger ist als der Deutsche Corporate Governance Kodex. Eine Regierung kann doch nicht dauerhaft akzeptieren, dass ein Schattenregime der Stimmrechtsberater wichtiger ist als Gesetz und Kodex.- Warum sollte denn ein privater Aktionärsdienstleister, der für private Investoren arbeitet, demokratisch legitimiert sein?Er muss legitimiert sein, weil er einen Einfluss auf unser Wirtschaftssystem ausübt, der weit über die Einflussnahme hinausgeht, die ein privater Dienstleister haben sollte. Es stimmt doch in einem System etwas nicht, wenn ISS, wie in vielen Untersuchungen behauptet, 30 % der Stimmen oder mehr auf einer Hauptversammlung mit ihren eigenen Grundsätzen beeinflusst und damit Unternehmen in die Bredouille bringt, die sich an Gesetz und Kodex halten, die sich aber gewissen amerikanischen Spielregeln nicht unterwerfen wollen – auch weil diese nicht in eine deutsche Unternehmensverfassung passen.- Den Investoren steht es nun mal frei, an wem sie sich im Abstimmungsverhalten orientieren.Der Abstimmung über Say on Pay liegt die Logik zugrunde, dass ich den Eigentümern mehr Entscheidungsgewalt gebe. Hier ist die Frage berechtigt, ob alle Aktionäre Eigentümer von Unternehmen sind oder nur flüchtige Besitzer von Aktien. Die durchschnittliche Haltezeit von Aktien in Europa beträgt acht Monate. Damit ist es eine spannende Frage, wem man welchen Hebel auf langfristige Unternehmensentscheidungen überlässt. Eigentum ist mehr als der rechtstechnische Begriff, der Eigentümer übernimmt auch Verantwortung.- Die Komplexität von Vergütung wird zunehmend kritisiert, auch von Aufsichtsräten. Ist eine Umkehr überhaupt möglich?Wenn die Kennzahlen für die Vorstandsvergütung die Realität abbilden sollen, sind die Systeme so komplex wie die Unternehmen. Natürlich kann ich einen Manager ausschließlich mit Aktien bezahlen und Shareholder Value als ultimatives Ziel setzen. Damit wird man den Ansprüchen unterschiedlicher Stakeholder-Gruppen allerdings nicht gerecht. Aber natürlich geht es einfacher.- Wie kann man sinnvoll verschlanken?In der Vergangenheit hat man nach jeder regulatorischen Intervention ein zusätzliches Schleifchen ans Vergütungssystem geheftet. Nun sollte man sich in den Kennzahlen wieder auf die relevanten Erfolgstreiber fokussieren. Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, darf sich der Aufsichtsrat nicht auf mathematisch errechnete Modelle beschränken. Die unternehmerische Verantwortung des Gremiums besteht nicht darin, richtig zu rechnen, sondern das Management aus einem breiten Blickwinkel auf dessen Leistung zu beurteilen.- Institutionelle Anleger stoßen sich an diskretionären Vergütungsanpassungen, zumal diese in der Regel nach oben gehen. Braucht der Aufsichtsrat diesen Spielraum, um den Vorstand zu Höchstleistungen zu animieren?Unbedingt! Kein Plan ist nach 14 Monaten noch so vernünftig und relevant wie in der Zeit, in der er aufgestellt wurde. Wettbewerbsumfeld und gesamtwirtschaftliche Entwicklung verändern sich. Dazu kommen Sachverhalte, die im Verlauf des Jahres unverhofft auftreten. Das muss der Aufsichtsrat entsprechend würdigen können. Die Investoren sehen das im Übrigen nicht nur negativ. ISS spricht sich klar gegen diskretionäre Vergütungselemente aus. Hermes EOS sieht es anders, sofern die Anpassungen transparent gemacht werden. Vergütung darf für Investoren keine Black Box sein.- Der Ruf nach Malus-Regelungen wird von Investoren lauter. Tun sich deutsche Konzerne damit immer noch schwer?Von Banken wird es regulatorisch verlangt. Andere Unternehmen beginnen erst, diese Themen einzuführen. Ich halte es für unbedingt notwendig. Es kann nicht sein, dass ein langfristiger Vergütungsbestandteil an einen Vorstand ausgezahlt wird, dem Verfehlungen nachgewiesen wurden, und der Aufsichtsrat sich die Hände abwischt und sagt: Ich kann nichts tun.” Der Aufsichtsrat muss die Möglichkeit haben, die Vergütung in solchen Fällen zu kürzen oder zu stoppen.- Verfehlung ist aber schon starker Tobak?Die Institutsvergütungsverordnung findet den richtigen Ansatz, indem sie von pflicht- und sittenwidrigem Verhalten spricht. Es muss sich nicht zwangsläufig um eine Verfehlung handeln, die strafrechtlich relevant ist. Auch die Missachtung einer wesentlichen internen Compliance-Richtlinie zum Beispiel fällt darunter.- Es gibt den Vorschlag eines Aufsichtsrats, die Saläre auf Fixum, Vergütung in Aktien und Langfristvergütung zu begrenzen. Ist der Einjahresbonus verzichtbar beziehungsweise durch Vergütung in Aktien mit Haltefrist zu ersetzen?Aus meiner Sicht nicht. Um ein Unternehmen langfristig ertragreich und nachhaltig zu führen, ist die Balance zwischen kurz- und langfristigen Entscheidungen und Entwicklungen entscheidend. Wenn ich mich nur visionär an der Strategie ergötze, wird das Unternehmen genauso an die Wand fahren, wie wenn ich unter Gefährdung meiner Zukunft Forschungs- und Entwicklungsaufwand reduziere, um das Jahresergebnis zu steigern. Im Übrigen haben auch Vorstände ein Recht auf regelmäßigen Cash-flow.- Könnte es zielführend sein, ausschließlich das Fixum noch jährlich auszuzahlen?Im Moment werden viele und auch hoch interventionistische Modelle diskutiert. Es gibt weltweit viele Beispiele, dass eine Detailregulierung oft gegenteilige Wirkung hat. Als die Politik meinte, Bankenvergütung durch Bonusbegrenzung in den Griff zu bekommen, ist bei konstanten Gesamtvergütungen das Fixum gestiegen. Man sollte daran festhalten, Vorstandsvergütung über den Unternehmenserfolg zu legitimieren. Eine zu hohe Festvergütung halte ich für gesellschaftlich schwerer zu rechtfertigen als eine variable Vergütung im nachhaltigen Erfolgsfall.- Verpflichtendes Aktieninvestment mit Haltepflicht ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr propagiert worden. Setzt man Manager damit nicht der Gefahr des Insiderhandels aus, wie Beispiele zeigen?Es gibt keine sinnvollere Vergütung für Vorstände als Aktien des eigenen Unternehmens. Man sollte in der Diskussion deutlich unterscheiden zwischen dem zweckmäßigen Vergütungsinstrument und der ungeschickten Handhabung. Man muss Vorstände davor schützen, nicht in den Verdacht des Insiderhandels zu geraten. Dafür muss man die Investitionsentscheidungen und -durchführungen automatisieren und aus der Disposition des Vorstands herausnehmen.- Ist die deutsche Vorstandsvergütung global wettbewerbsfähig?In der Ausgestaltung ist sie wettbewerbsfähig und nicht von internationalen Entwicklungen abgekoppelt. In der Vergütungshöhe haben deutsche Unternehmen und Aufsichtsräte immer einen maßvollen Weg beschritten, von Einzelfällen abgesehen. In Europa liegt Deutschland als stärkste Volkswirtschaft in der Vorstandsvergütung hinter Großbritannien, hinter der Schweiz – und weit weg von den USA. Damit können wir alle zufrieden sein.- 2016 ist die durchschnittlich ausgezahlte CEO-Vergütung im Dax um 14 % auf 7,1 Mill. Euro gestiegen. Ihr Tipp für den Vergütungsjahrgang 2017, geht es nach der guten Gewinnentwicklung weiter zweistellig nach oben?Wir werden 2017 wahrscheinlich einen Vergütungsrekord sehen. In vielen Unternehmen werden sich die über viele Jahre nun kumuliert guten Ergebnisse auch in überdurchschnittlichen variablen Vergütungen niederschlagen.—-Das Interview führte Sabine Wadewitz.