GASTBEITRAG

Vergütungspraxis muss kritisch hinterfragt werden

Börsen-Zeitung, 5.2.2020 Seit der Publikation des Sir Richard Greenbury Reports im Vereinigten Königreich über die Ausgestaltung der Vergütung von Executives im 1995 hat sich einiges getan. Über die letzten 25 Jahre ist ein regelrechter Markt für...

Vergütungspraxis muss kritisch hinterfragt werden

Seit der Publikation des Sir Richard Greenbury Reports im Vereinigten Königreich über die Ausgestaltung der Vergütung von Executives im 1995 hat sich einiges getan. Über die letzten 25 Jahre ist ein regelrechter Markt für Vergütungsberater entstanden, der sowohl Bedürfnisse befriedigt wie auch geschaffen hat.Mit der hehren Absicht, die Vergütung der Executives unternehmerischer zu gestalten, ist das Ergebnis nach 25 Jahren Vergütungsberatung erstaunlich nüchtern und wenig schmeichelhaft: Die Vergütung ist heute enorm komplex, der Zusammenhang zwischen Leistung und Vergütung trotz verbesserten Vergütungsberichten vielfach wenig nachvollziehbar und die Vergütung der Executives wird als zu hoch empfunden. Zudem besteht der Eindruck, dass sich die Vergütung nur in eine Richtung entwickelt und sich von der Vergütung der normalen Mitarbeiter abkoppelt.Diese Wahrnehmung fußt jedoch vielfach nicht auf belastbaren Datengrundlagen, lässt sich doch die Entwicklung beziehungsweise ein großer Teil davon durchaus objektiv begründen. So haben zum Beispiel Größe und Komplexität von Firmen zugenommen und damit wurde auch die Rolle des CEO für die Aktionäre wertvoller. Bei der Rolle des normalen Mitarbeiters gilt das nicht. So haben Entscheidungen eines CEO eines Einzelhändlers mit 100 Filialen (Konzern A) gegenüber einem CEO mit zehn Filialen (Konzern B) zehnmal mehr Gewicht. Die Entscheide eines jeweiligen Filialleiters bei A und B sind aber vergleichbar.Die Diskussion über die Vergütungshöhe hat aber auch eine gesellschaftspolitische Dimension, die es zu beachten gilt. Die Vergütungshöhe kann man aber nicht losgelöst von der Vergütungsstruktur diskutieren. Ein Kilo Watte fühlt sich gegenüber einem Kilo Stahl auch anders an, wenn es einem auf den Kopf fällt. Höchste KomplexitätDie rasante Entwicklung der Vergütungshöhe seit Mitte der 90er Jahre fand nicht bei der fixen Vergütung statt. Vielmehr erhöhte sich die Gesamtvergütung über die zusehends höheren Anteile variabler Vergütungselemente. Dabei nimmt die langfristige variable Vergütung (Long-Term Incentives, LTI) bei den CEOs der größten börsennotierten Gesellschaften eine Sonderstellung ein. Dieses Vergütungselement stellt mittlerweile den größten Anteil an der Gesamtvergütung dar. Hier liegt zugleich die höchste Komplexität. Mit ausgeklügelten Systemen möchte man den Executive am langfristigen Erfolg beteiligen. Wie eingangs erwähnt, sind diese Systeme über die Zeit so komplex geworden, dass nicht nur die Executives nicht (mehr) verstehen, wie ihr Incentive funktioniert, selbst Vergütungsexperten bekunden oftmals Mühe, diese zu erklären.Damit hängt ein weiteres Problem zusammen: Komplexität reduziert den Erwartungswert. Anders ausgedrückt: Der Executive diskontiert den Wert dieses Vergütungselementes stark. Damit das Vergütungselement eine (Incentivierungs-)Wirkung hat, muss man entsprechend mehr gewähren. Hier befruchten sich dann Komplexität und Vergütungshöhe gegenseitig und die Spirale beginnt sich nach oben zu drehen. Die sich immer rascher wandelnde Welt und die damit verbundene Unsicherheit wirken hier noch als Brandbeschleuniger. Kreislauf durchbrechenDiesen Kreislauf kann man aber durchbrechen. Dazu muss man aber die klassischen LTIs durch die Zuteilung von gesperrten Aktien (oder Versprechen auf zukünftige Aktien) ersetzen. Anstelle der Auszahlung wird hier die Zuteilung von der Leistung abhängig gemacht, die jährlich gemessen wird. Die Jahresziele werden dabei von der mittel- bis langfristen Strategie abgeleitet und somit wird die Umsetzung der Strategie honoriert. Da man den Incentive in Form gesperrter Aktien erhält, ist man als Aktionär eingebunden und von der zukünftigen Aktienkursentwicklung betroffen. Wenn man die richtige Strategie definiert und diese effektiv umsetzt, wird sich das auch im Aktienkurs widerspiegeln. Hier sitzt der Executive dann im gleichen Boot wie die Aktionäre – in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist ein einfach zu verstehendes Konzept und sollte eine dämpfende Wirkung auf die Vergütungshöhe haben. Bonus “getrost streichen” Der LTI funktioniert dann ähnlich der Logik wie der Bonus, der jährlich gemessen wird. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass nicht operative, sondern strategische Ziele fixiert und gemessen werden. Apropos Bonus: Dieser könnte man für CEOs getrost streichen. Erstens sind diese kaum wirklich variable (es wäre ehrlicher das Fixum zu erhöhen und den (kleineren) Zielbonus wirklich variable zu haben) und zweitens sollte man sich grundsätzlichere Fragen stellen, wenn man den CEO über die kurzfristigen Ziele motivieren muss. Nach 25 Jahren ist es Zeit, die aktuell weit verbreitetet Vergütungspraxis bei der Vergütung von Executives kritisch zu hinterfragen. Alternativen gibt es.—-Remo Schmid, Partner von PwC in der Schweiz und Leiter der Vergütungsberatung