RECHT UND KAPITALMARKT

Verletzung des europäischen Arbeitsrechts kann teuer werden

EuGH stärkt Recht auf nachträgliche Auszahlung des Jahresurlaubs

Verletzung des europäischen Arbeitsrechts kann teuer werden

Von Cornelia Marquardt *)Gerichtliche Auseinandersetzungen um die Ausbezahlung von Jahresurlaub sind ein Dauerbrenner. Dabei ist nicht nur strittig, in welchen Fällen der Arbeitgeber zahlen muss, wenn Urlaub nicht genommen wurde. Sondern es geht auch um die Frage, wie lange Urlaubsansprüche fortbestehen. Dies hängt auch vom Verhalten des Unternehmens ab, stellte nun der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) klar. Verweigert ein Arbeitgeber bezahlten Jahresurlaub, dürfen Mitarbeiter nicht ausgeübte Ansprüche über mehrere Jahre ansammeln. Der Arbeitnehmer ist nicht dazu verpflichtet, seinen Urlaub erst ohne Entgeltsicherheit zu nehmen, um später gerichtlich feststellen zu lassen, ob er dafür Anspruch auf Bezahlung hat, entschieden die Luxemburger Richter jetzt (Az.: C-214/16). Vermeintlich selbständigGeklagt hatte der ehemalige Mitarbeiter eines britischen Herstellers für Holzfenster. Das Unternehmen hatte ihm über die gesamte Dauer seiner 13-jährigen, vermeintlich selbständigen Tätigkeit zwar eine Freistellung zu Urlaubszwecken angeboten, sich aber geweigert, diesen Urlaub zu bezahlen. Das Employment Tribunal in Großbritannien hatte entschieden, dass der Mitarbeiter “Arbeitnehmer” im Sinne der britischen Rechtsvorschriften sei und ihm damit alle Rechte der europäischen Arbeitszeitrichtlinie einschließlich eines bezahlten Jahresurlaubs zustehen. Das Berufungsgericht von England und Wales hatte schließlich dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie in diesem Fall vorgelegt. Fraglich war insbesondere, ob der Arbeitnehmer den Urlaub zunächst hätte unbezahlt nehmen müssen, um später die ihm dafür zustehende Vergütung einzufordern.Jeder Arbeitnehmer, der für ein Unternehmen in der EU tätig ist, hat gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Das gilt wie im entschiedenen Fall auch für vermeintlich selbständig tätige Mitarbeiter. Verweigert ein Unternehmen den Mitarbeitern, bezahlten Urlaub zu nehmen, bestehen ihre Ansprüche fort. Die EuGH-Richter sehen darin einen so schweren Verstoß gegen die Grundsätze des Arbeitsrechts, dass sie die rückwirkenden Ansprüche des Arbeitnehmers zeitlich nicht beschränken. Vielmehr kann er diese ansammeln und die Vergütung dafür noch mehrere Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einklagen. Explizit anders sieht der EuGH dies in Fällen, bei denen eine Erkrankung den Arbeitnehmer daran hindert, seinen Urlaub zu nehmen. Hier bleibt es bei der seitens des EuGH bereits früher festgelegten Rückwirkung für nur 15 Monate. Nur wenn die Ursache im Verhalten des Unternehmens begründet ist, können die Ansprüche über Jahre aufaddiert werden. Hohes RisikoDas Urteil hat weitreichende Auswirkungen. Besonders relevant kann es in Deutschland für die Verweigerung eines beantragten Urlaubs aus betrieblichen Gründen werden. Bislang können solche Urlaubsansprüche nur in das nächste Jahr übertragen werden und verfallen jeweils am 31. März des Folgejahres. Mit der vom EuGH gewählten Begründung scheint dieser automatische Verfall nicht mehr vereinbar. In der Urteilsbegründung wurde darauf abgestellt, dass – anders als wenn Urlaub aufgrund Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden kann – ein Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht zwingend notwendig erscheint, wenn ein Arbeitgeber davon profitiert, dass die Tätigkeit bei ihm nicht unterbrochen wird. Verhindert er die rechtzeitige Urlaubsnahme, soll er auch die Folgen daraus tragen.Die Aussage des EuGH, kein Verhalten billigen zu wollen, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem Gesundheitszweck des europarechtlich geschützten Urlaubs zuwiderläuft, lässt sich auf die Nichtgewährung von Urlaub aus betrieblichen Gründen übertragen. Im Einklang mit EU-Recht?Insoweit steht in Frage, ob die deutsche Regelung zur Begrenzung der Übertragung von Urlaubsansprüchen noch im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts steht. Dies verleiht dem noch ausstehenden Ergebnis einer ähnlich gelagerten Anfrage des Bundesarbeitsgerichts an den EuGH zusätzliche Bedeutung (Az.: 9 AZR 541/15). Die Luxemburger Richter müssen darüber entscheiden, ob Arbeitnehmer ihren Urlaub aktiv beantragen müssen, damit dieser nicht verfällt. Der EuGH könnte die Arbeitgeberseite verpflichten, sich darum zu kümmern, dass ihre Mitarbeiter Urlaub nehmen.Das größte Risiko für die Arbeitgeberseite birgt dabei die Rückwirkung, die es erlaubt, entsprechende Forderungen über Jahre hinweg anzusammeln. Es reicht also weit über die Problematik der Scheinselbständigkeit hinaus, die im Urteil nicht im Fokus stand. Personalvorstände und Geschäftsführer sollten vor diesem Hintergrund sicherstellen, dass die Mitarbeiter im Unternehmen ihren Jahresurlaub rechtzeitig nehmen. Die Behinderung der Urlaubsnahme durch den Arbeitgeber kann künftig viel teurer werden.—-*) Dr. Cornelia Marquardt ist Partnerin von Norton Rose Fulbright.