Versandgeschäft treibt Umsätze im Einzelhandel

Größtes je ermitteltes Jahresplus - Online-Geschäft boomt - Genth warnt vor Pleitewelle in den Städten

Versandgeschäft treibt Umsätze im Einzelhandel

rec Frankfurt – Für die deutschen Einzelhändler ist ein denkwürdiges Jahr zu Ende gegangen – und das nicht nur wegen der Zumutungen durch die Pandemie. Sie haben ihren Umsatz 2020 trotz Coronakrise im Rekordtempo gesteigert. Über alle Branchen und Vertriebswege hinweg stand voraussichtlich ein Plus von 5,3 % zum Jahr 2019 zu Buche, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in einer ersten Schätzung mitteilte. Es ist das elfte Jahr mit steigenden Umsätzen nacheinander, doch nie waren die Zuwächse seit Beginn dieser Statistik im Jahr 1994 höher.Diese Schätzungen berücksichtigen den härteren Lockdown in der zweiten Dezemberhälfte mit der Schließung der meisten Geschäfte und die Einzelhandelsumsätze für die Monate Januar bis November 2020, wie es hieß. Allerdings gibt es eine enorme Kluft innerhalb des Handels: Während das Online-Geschäft stärker boomt denn je, musste der stationäre Handel zum Teil heftige Einbußen verkraften. Viele Einzelhändler bangen wegen des wiederholten Lockdowns ums Überleben.Der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE Stefan Genth sagte: “Die herben Verluste vieler Innenstadthändler werden durch gute Geschäfte in den Bereichen Online, Lebensmittel und Möbel ausgeglichen.” Somit ergab sich auch preisbereinigt (real) ein kräftiges Plus, und zwar von 4,1 %. Der Online- und Versandhandel kam in den ersten elf Monaten auf ein Umsatzwachstum von 24,0 %. Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft, rechnet damit, dass dieser Boom sich verstetigt. Er verwies darauf, dass manche Bevölkerungsschichten erstmals im Internet eingekauft hätten und dank positiver Erfahrungen Vorbehalte wie die vermeintliche Anfälligkeit für Betrug oder Probleme bei der Zustellung überwunden haben dürften. “Für den Einzelhandel in den Innenstädten und in Einkaufszentren ist die Krise deshalb auch dann nicht vorbei, wenn das Infektionsgeschehen eigentlich die Rückkehr in die Innenstädte erlaubt”, sagte Felbermayr.Auch der Einzelhandel mit Waren verschiedener Art – darunter Supermärkte und Warenhäuser – schaffte 2020 mit 8,5 % einen Umsatzsprung. Viele andere Einzelhändler wurden dagegen kalt erwischt: So brach der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren von Januar bis November um 21,1 % zum Vorjahreszeitraum ein. Waren- und Kaufhäuser verzeichneten Einbußen von 8,9 %. “Für viele Modehändler war 2020 ein echtes Katastrophenjahr”, sagte Genth. “Wenn die Bundesregierung hier nicht rasch bei der staatlichen Unterstützung nachbessert, werden wir eine nie gesehene Pleitewelle erleben.”Das wichtige Weihnachtsgeschäft lief für die Branche überraschend gut an. Im November, der von Aktionstagen wie Black Friday geprägt ist, kletterte der Umsatz real um 1,9 % im Vergleich zum Vormonat. Von Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Minus von 2,0 % gerechnet. Das unerwartet gute Abschneiden spricht dafür, dass der private Konsum auch im abgelaufenen vierten Quartal die Konjunktur stabilisiert und einen größeren Einbruch aufgrund des Lockdowns verhindert hat. Während es die Textilbranche hart getroffen habe, profitierten Lebensmittel- und Möbelhändler laut Genth von stärkerer Nachfrage.Geringe Impulse für die Kauflaune gingen im zweiten Halbjahr von der vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer aus, wie Studien des Ifo-Instituts anhand von Umfragen unter Konsumenten ergaben. Das habe zwar 6,3 Mrd. Euro an zusätzlichem Konsum gebracht, aber insgesamt wenige Bürger zu größeren Anschaffungen bewegt. Von Juli bis Dezember galten reduzierte Sätze von 19 (statt 16) % und 5 (statt 7) %. Zögern bei MehrwertsteuerSeit 1. Januar gelten wieder die üblichen Mehrwertsteuersätze. Einige große Lebensmittelhändler zögern, die Mehrwertsteuererhöhung im vollen Umfang an die Kunden weiterzugeben. Der Discounter Lidl teilte mit, in den über 3 200 Filialen der Kette blieben “die Preise bei vielen Produkten weiterhin um bis zu 3 % reduziert”, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Die zur Edeka-Gruppe gehörende Discount-Kette Netto wirbt mit dem Verzicht auf eine Preiserhöhung.Das Fachblatt “Lebensmittel Zeitung” sieht indes Anzeichen, dass “in den kommenden Wochen überall die Preise um die gestiegene Mehrwertsteuer erhöht werden”. Der Supermarktkette Rewe zufolge sorgt das Umetikettieren für eine schrittweise Rückkehr zu höheren Preisen “in den ersten Tagen des Januars”. Aldi Süd hat nach eigenen Angaben die Preise nach dem Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung “zu Jahresbeginn entsprechend angepasst”. – Wertberichtigt Seite 6