GASTBEITRAG

Von Legislaturperioden und Bestelldauern

Börsen-Zeitung, 3.9.2020 Warum wird der Deutsche Bundestag eigentlich nicht jährlich gewählt? Eines der Argumente dagegen ist: Die Abgeordneten sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren und längerfristige Gesetzesvorhaben begleiten können und nicht...

Von Legislaturperioden und Bestelldauern

Warum wird der Deutsche Bundestag eigentlich nicht jährlich gewählt? Eines der Argumente dagegen ist: Die Abgeordneten sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren und längerfristige Gesetzesvorhaben begleiten können und nicht nach einem halben Jahr wieder in den Wahlkampf einsteigen müssen. Gilt das Argument, längerfristig ein Thema, eine Aufgabe wahrzunehmen, nicht aber auch für andere Mandatsträger?Wie sieht es beispielsweise bei der Bestellung von Aufsichtsräten aus? Aktuell liegt die traditionelle Bestelldauer von Aufsichtsratsmitgliedern in Deutschland bei fünf Jahren. Diese Bestelldauer ist jetzt in die Kritik geraten. Internationale Investoren werfen deutschen börsennotierten Unternehmen vor, dass die lange Amtszeit ihrer Aufsichtsräte ein Zeichen schlechter Corporate Governance sei. Stattdessen fordern sie, erst einmal dreijährige, perspektivisch sogar einjährige Amtszeiten einzuführen. Dies sei, so die Investoren, international Best Practice.Der Vorwurf schlechter Corporate Governance wegen vermeintlich zu langer Bestelldauern überrascht. Er kommt in einer Zeit, in der selbst in den USA die Vorstellung Raum greift, dass amerikanische Unternehmensleitungen dem langfristigen Interesse des Unternehmens als Ganzem verpflichtet sind. Auch die EU-Kommission fordert seit längerer Zeit, dass Vorstand und Aufsichtsrat langfristiger denken und sich nicht nur am Shareholder Value orientieren sollen. Sie will deshalb die Organe rechtlich stärker auf das Unternehmensinteresse, den Stakeholder Value, verpflichten. Einjährige Bestelldauern, die ohne Zweifel mit einer stärkeren Fokussierung auf den Shareholder Value einhergehen, sollten deshalb in der aktuellen Debatte über “Sustainable Corporate Governance” keinen Eingang finden.Auch bei den Unternehmen steht die langfristige und nachhaltige Wertschöpfung im Fokus. Eine drastische Verkürzung der Amtszeiten der Aufsichtsratsmitglieder, die womöglich zu einem kurzfristigeren Fokus in der Aufsichtsratsarbeit führt, ist deshalb schwer zu vertreten. Auch stellt sich die Frage, wie bei jährlichen Aufsichtsratswahlen eine Evaluierung der geleisteten Arbeit der Aufsichtsratsmitglieder erfolgen soll? Wie soll die Arbeit der Aufsichtsräte beurteilt werden, die zum Zeitpunkt der Evaluation erst ein paar Monate zusammengearbeitet haben?Mit Blick auf das Argument der “Best Practice” muss auch klargestellt werden, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Dies gilt nicht nur für die Unterscheidung monistisches versus dualistisches System, sondern auch für die Mitbestimmung. Bei Rechtsordnungen mit dualistischem oder Hybridsystem, in denen zugleich die Mitbestimmung gilt, sehen Gesetze und Kodizes nach einer Untersuchung der OECD mehrheitlich vierjährige oder längere Amtszeiten vor. Es liegt auf der Hand, dass jährliche Wahlen der Arbeitnehmervertreter kaum möglich sind und auch bei dreijährigen Amtszeiten Kosten und Aufwand außer Verhältnis zum Nutzen stehen.Der Vorwurf internationaler Investoren, dass die längeren Amtszeiten der Aufsichtsräte in Deutschland ein Zeichen schlechter deutscher Corporate Governance sind, kann man so pauschal also nicht stehen lassen. Es gilt stattdessen mit Blick auf die Amtsdauer die richtige Balance zwischen der Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrats und der Bindung seiner Mitglieder an das Aktionariat zu finden. Für lange Bestelldauern sprechen die Stärkung der Langfristorientierung im Aufsichtsrat und die bessere Verzahnung mit dem allgemeinen System der deutschen Unternehmensverfassung. Dagegen kann es unter Umständen ein Vorteil kürzer Amtszeiten sein, die Zusammensetzung des Aufsichtsrats schneller ändern zu können, wenn beispielsweise nach Gewinnung neuer Geschäftsfelder zusätzliche Expertise erforderlich sein sollte. Scharfes SchwertUnd die Aktionäre? Jährlich können sie sich auf den Hauptversammlungen zu Wort melden und über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat abstimmen. Die Verweigerung der Entlastung ist durchaus ein scharfes Schwert. Auch ohne jährliche Aufsichtsratswahlen gibt es also ein regelmäßiges Feedback von den Aktionären zum Aufsichtsrat.All dies spricht dafür, Unternehmen zu gestatten, Vor- und Nachteile von Bestelldauern, angepasst auf die Unternehmensstruktur und -situation abzuwägen. So könnten Unternehmen ihre Satzungen für die Option kürzerer Bestelldauern öffnen, um dann flexibel agieren zu können. Entscheiden sich Unternehmen für die fünfjährige Amtszeit, ist das aber sicher kein Zeichen schlechter Corporate Governance. Christine Bortenlänger, Geschäftsführende Vorständin, Deutsches Aktieninstitut