GASTBEITRAG

Waffengleichheit bei einstweiligen Verfügungen

Börsen-Zeitung, 9.7.2020 Mit Beschluss vom 3. Juni 2020 hat das Bundesverfassungsgericht erneut die Rechte von Antragsgegnern im einstweiligen Verfügungsverfahren gestärkt. Bevor die Gerichte eine einstweilige Verfügung erlassen, soll nun der...

Waffengleichheit bei einstweiligen Verfügungen

Mit Beschluss vom 3. Juni 2020 hat das Bundesverfassungsgericht erneut die Rechte von Antragsgegnern im einstweiligen Verfügungsverfahren gestärkt. Bevor die Gerichte eine einstweilige Verfügung erlassen, soll nun der Antragsgegner hinreichend angehört werden. Was bedeutet diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für Antragsteller, Abgemahnte und Gerichte? Und wie funktioniert das System der einstweiligen Verfügung? Titel binnen Stunden Der Gerichtsstandort Deutschland besitzt im internationalen Vergleich einen entscheidenden Vorteil, wenn es um schnellen, effektiven Rechtsschutz geht. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Jurisdiktionen ist es in Deutschland gang und gäbe, innerhalb weniger Tage einen gerichtlich angeordneten Unterlassungstitel zu erreichen. In besonderen Fällen ist eine Erlangung des Titels sogar binnen Stunden möglich.Möglich ist dieser effektive Rechtsschutz durch das Instrument der einstweiligen Verfügung. In Deutschland entscheiden die Zivilgerichte über entsprechende Anträge im Regelfall im einseitigen Verfahren. Es findet keine mündliche Verhandlung statt. Der Antragsgegner wird nicht angehört, ja noch nicht einmal informiert, dass der Antragsteller eine einstweilige Verfügung beantragt. Stattdessen erfahren die Antragsgegner erst von ihrem (Un-) Glück, sprich dem gerichtlichen Beschluss, wenn das Gericht diesen bereits gefällt hat.Zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch schon im Jahr 2018 fest, dass der Rechteinhaber den Antragsgegner vor Beantragung einer einstweiligen Verfügung im Regelfall zuvor abmahnen muss.Das Bundesverfassungsgericht hat sich im vorliegenden Fall nun ein zweites Mal mit dem Prinzip der Waffengleichheit im einstweiligen Rechtsschutz befasst. Es entschied, die Vollziehung – und damit die Wirksamkeit – einer zuvor durch ein Zivilgericht erlassenen einstweiligen Verfügung vorläufig auszusetzen. Durch den Beschluss des Zivilgerichts werde in das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit eingegriffen. Zugrunde lag ein Streit zwischen Polizeigewerkschaften vor dem Landgericht Berlin. Dabei ging es um Personalratswahlen bei der Bundespolizei.Die beiden Gewerkschaften, der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die Bundespolizeigewerkschaft (DPolG), wollten die Wahl aufgrund der Corona-Pandemie verschieben, was der Hauptwahlvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) allerdings ablehnte. Die eine Partei veröffentlichte dazu einen kritischen Artikel mit der Überschrift “Ohne Rücksicht auf Verluste – DPolG und BDK fassungslos! GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!”.In dem Artikel war unter anderem zu lesen: “Da es keine sachlichen Gründe gegen eine Verschiebung der Wahl gibt und es bei der Ablehnung unserer Initiative offenbar ausschließlich darum ging, Machtspielchen auf dem Rücken der Beschäftigten der Bundespolizei auszutragen, ist es jetzt umso wichtiger, von Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und das Kreuz an die richtige Stelle des Stimmzettels zu setzen.” Nach erfolgloser Abmahnung beantragte die Antragstellerin GdP eine einstweilige Verfügung, gerichtet darauf, dass die Äußerung unterlassen werden müsse. Die Antragstellerin hatte die beklagte Polizeigewerkschaft zwar zuvor abgemahnt und ihr damit die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Das Antwortschreiben auf die Abmahnung lag dem Gericht auch vor. Allerdings änderte die Antragstellerin nach einem Hinweis des Gerichts ihren Unterlassungsantrag und beantragte ein Verbot, das in dieser Form zuvor nicht Gegenstand der Abmahnung gewesen war. Wie üblich beteiligte das Gericht die Antragsgegnerin nicht an dem Verfahren und gab den erstmalig vorgebrachten neuen Anträgen statt, ohne dass die Antragsgegnerin zuvor hierzu hatte Stellung nehmen können. Auf Widerspruch der Antragsgegnerin terminierte das Gericht die mündliche Verhandlung auf Anfang Juli und damit knapp sieben Wochen nach Einlegung des Widerspruchs. Angemessene Frist nötigDurch den Hinweis des Landgerichts und die Umstellung der Anträge sei der Antragsgegnerin die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Entscheidung genommen worden, so das Bundesverfassungsgericht. Auch wenn einstweilige Verfügungsverfahren regelmäßig ohne mündliche Verhandlungen stattfinden könnten, dürfe die Antragsgegnerin nicht aus dem Verfahren vollständig herausgehalten werden. Eine Einbeziehung könne grundsätzlich auch durch eine außergerichtliche Abmahnung erfolgen. Dafür müsse jedoch eine angemessene Frist gesetzt werden, und der Antragsteller dürfe vor Gericht nicht etwas beantragen, was noch nicht Gegenstand der Abmahnung gewesen ist und wovon der Antragsgegner folglich noch keine Kenntnis hatte. Eine neuerliche Anhörung des Antragsgegners könne insbesondere erforderlich sein, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise gebe. Sichtweise beider ParteienDer neuerliche Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Waffengleichheit ist zwar zu einer äußerungsrechtlichen Streitigkeit ergangen. Er ist jedoch auch auf andere Rechtsgebiete wie den gewerblichen Rechtsschutz zu übertragen. Zu begrüßen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an eine notwendige Anhörung im Eilverfahren konkretisiert hat. Auch im Eilverfahren ist grundsätzlich erforderlich und geboten, dass ein angerufenes Gericht die Sichtweise beider Parteien kennt, bevor es eine einstweilige Verfügung erlässt, die nach Zustellung unverzüglich zu befolgen ist.Es bleibt gleichzeitig zu hoffen, dass dieser Beschluss – wie schon die vorherige Entscheidung zur Waffengleichheit aus 2018 – nur geringe Auswirkungen auf die Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes haben wird. Einstweilige Verfügungen helfen nur, wenn sie in kurzer Zeit erlangt werden können. Gleichzeitig können die Gerichte aufgrund der bekannten dünnen Personaldecke und der Vielzahl von Verfügungsanträgen, die jedes Jahr gestellt werden, keine langwierigen Anhörungen der beklagten Seite durchführen. Mit Schreiben, ohne AnhörungStattdessen steht den Gerichten in Einzelfällen auch die Möglichkeit offen, der beklagten Seite eine schriftliche Stellungnahme zu ermöglichen. Hat der Antragsteller den Gegner allerdings ordnungsgemäß zuvor abgemahnt und dem Gericht das erhaltene Antwortschreiben vorgelegt, dürfte dem Prinzip der Waffengleichheit auch ohne weitere Anhörung Genüge getan sein. Morten Petersenn, Partner und Rechtsanwalt im Hamburger Büro der Sozietät Hogan Lovells und Nils Peters, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Hamburger Büro von Hogan Lovells