SERIE: INTERNET DER DINGE (TEIL 6)

Wal-Mart und Amazon erweitern die Kampfzone

Der Wettbewerb im Einzelhandel wird nicht nur im Regal ausgetragen - In der Cloud gibt die Branche immer öfter Microsoft den Vorzug

Wal-Mart und Amazon erweitern die Kampfzone

Bis zu 120 000 Dinge kann man in einem Supermarkt des größten Einzelhändlers Wal-Mart kaufen. Der Internetkonzern Amazon hat gut 500 Millionen Artikel im Sortiment. Kein Wunder, dass der Wettbewerb auch im Internet der Dinge stattfindet.Von Stefan Paravicini, New YorkWenn man vom Internet der Dinge spricht, kommt man kaum an der Branche vorbei, die wohl mit die meisten Dinge im Angebot hat: der Einzelhandel. In einem durchschnittlichen Supermarkt in Deutschland werden nach Angaben des Handelsverband HDE um die 10 000 Artikel angeboten. In den Warenhäusern des größten Einzelhändlers Wal-Mart können es schon einmal 120 000 sein. Der Internetkonzern Amazon, der sich mit der knapp 14 Mrd. Dollar schweren Übernahmeofferte für die Bio-Supermarktkette Whole Foods anschickt, nach dem Start im Online-Buchhandel im Jahre 1994 jetzt auch den Lebensmittelhandel umzukrempeln, hatte Anfang 2016 rund 500 Millionen Produkte im Sortiment. Biotop für DingeDas Warenhaus ist ein natürliches Biotop für Anwendungen aus dem Internet der Dinge. Denn auch wenn Amazon allein anhand des Bestellverhaltens seiner Kunden schon fast alles über die Verbraucher weiß, wäre es doch fantastisch, wenn die verkauften Produkte mit Sensoren ausgestattet dem Kunden mit nach Hause folgen und dort Informationen etwa zum geeigneten Zeitpunkt für eine Nachbestellung oder wenigstens einer zielgerichtete Werbemaßnahme sammeln würden. Noch mag das Zukunftsmusik sein, Wal-Mart hat sich aber schon einmal die notwendigen Patente für genau so ein Szenario gesichert, wie der Informationsdienst CB Insight nach Durchsicht der jüngsten Patentanträge des Konzerns im Mai berichtete.Konkret will Wal-Mart Sensoren an ihren Produkten anbringen, die den Händler über Bluetooth, Radio-, und Infrarotfrequenzen oder Nahfeld-Kommunikation (NFC) auf dem Laufenden darüber halten, welche Produkte wo im Haushalt untergebracht sind, wie häufig sie genutzt werden und wann der Vorrat zur Neige gehen könnte. Mit ein bisschen künstlicher Intelligenz im Rechenzentrum sollen diese Daten unter anderem dazu genutzt werden, Bestellungen automatisch auszulösen, sodass die Zahnpasta schon vor der Tür liegt, bevor der Kunde weiß, dass seine Tube in zwei Tagen nichts mehr hergeben wird. Im Regal und im InternetArtikel, die in Zukunft nicht nur im Regal liegen, sondern mit Sensoren ausgestattet lange vor und nach ihrem Aufenthalt im Warenhaus Teil des Internets der Dinge sind, können außerdem Anknüpfungspunkte für gezieltes Direktmarketing liefern, die Lieferkette auch für den Kunden transparenter machen und als Grundlage für ortsbezogene Dienste das Einkaufserlebnis bereichern (siehe Grafik). Für 70 % der Führungskräfte im Einzelhandel sind das Gründe genug, bis 2021 in das Internet der Dinge zu investieren, wie eine Befragung des Technologieanbieters Zebra Technologies unter 1 700 Managern der Branche weltweit ergeben hat. Gut zwei Drittel wollen bis dahin auch in maschinelles Lernen und kognitive Fähigkeiten im Rechenzentrum investieren. Nur wer die zusätzlichen Daten, die über das Internet der Dinge im Einzelhandel erschlossen werden, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz schnell und verständig auswerten kann, hat am Ende einen Wettbewerbsvorteil.Wie wichtig der Handel den Umgang mit seinen Daten schon heute nimmt, ist ein Aspekt, der bei der Offerte von Amazon für Whole Foods vor lauter Aufregung über den angekündigten Megadeal fast untergangen ist. Geht die Übernahme durch, würde Amazon nämlich nicht nur der Einstieg in den Lebensmittelhandel im großen Stil gelingen. Die Sparte Amazon Web Service (AWS), der Betreiber der größten Infrastruktur von IT-Leistungen aus der sogenannten Cloud, würde wohl auch einen neuen Kunden gewinnen. Azure statt AWSBisher kauft Whole Foods entsprechende Leistungen beim AWS-Konkurrenten Microsoft ein, der mit seiner Cloud-Plattform Azure in diesem Geschäft nach Einschätzung vor Marktbeobachtern noch vor der Alphabet-Tochter Google auf Platz 2 liegt. Für Azure dürfte die bisher größte Akquisition eines Technologiekonzerns im Lebensmittelhandel aber auch positive Auswirkungen haben. Denn Wal-Mart achtet schon bisher penibel darauf, dass die eigenen Daten nicht mit der IT-Infrastruktur von Amazon in Berührung kommen und gehört schon heute zu den größten Kunden von Microsoft in der Cloud. Sollte Amazon mit der Akquisition von Whole Foods auch im Lebensmittelhandel zum unmittelbaren Konkurrenten mit eigenen Supermärkten aufsteigen, dürfte der Konzern in Zukunft noch genauer darauf achten, dass seine Lieferanten und IT-Dienstleister nicht mit AWS in Verbindung stehen.”Es sollte niemanden überraschen, dass es Fälle gibt, in denen wir es vorziehen, wenn unsere sensibelsten Daten nicht auf der Plattform eines Konkurrenten liegen”, erklärt Dan Toporek, ein Sprecher von Wal-Mart. Denn tatsächlich macht der Konzern schon heute nicht nur Druck auf seine eigenen Technologiepartner, wenn es um die Wahl der Cloud-Plattform geht. Ein Beispiel ist Snowflake Computing, deren Data-Warehouse-Service ein Lieferant von Wal-Mart anfragte, dann erst in Anspruch nahm, als die Firma eine Version gestützt auf Azure anbieten konnte. Druck auf Technologiepartner”Sie beeinflussen ihre Zulieferer und das beeinflusst uns”, sagt Snowflake-Chef Bob Muglia. Lofty Labs, die ein cloudbasiertes Vorhersage-Werkzeug für Wal-Mart entwickelt hat, ist dazu ebenfalls und zum bisher einzigen Mal auf Azure umgestiegen. “Jeder weiß, dass Wal-Mart nicht mitspielt, solange du auf Amazon setzt”, sagt Casey Kincey von Lofty Labs trocken. Auch andere große Einzelhandelsketten sind bei ihren Technologiepartnern und Zulieferern bereits vor der Übernahmeofferte für Whole Foods mit der Bitte vorstellig geworden, Abstand zu Amazon Web Services zu halten, wie das “Wall Street Journal” berichtet. So soll verhindert werden, dass sensible Daten zum eigenen Geschäft auf den Servern von Amazon landen. Cash von der ServerfarmDen wirtschaftlichen Erfolg der Sparte AWS, die im ersten Quartal mit 3,7 Mrd. Dollar etwa ein Zehntel zum Umsatz von Amazon beisteuerte, mit fast 900 Mill. Dollar aber knapp 90 % des operativen Ergebnisses lieferte, wird die Branche allerdings kaum schmälern können. Verschiebt sich der Wettbewerb im Handel in Zukunft verstärkt in Richtung Internet der Dinge und in die Cloud, dürfte der Technologiekonzern mit dem Know-how und der Finanzkraft von AWS einen doppelten Vorteil ausspielen können.—-Zuletzt erschienen:- Die Netze stehen, das Geschäft fehlt noch (22.6.2017)- Interesse an “Facebook of Things”(20.6.2017)- Ackerbau und Viehzucht 4.0 (16.6.2017)