ANSICHTSSACHE

Wandel in den Aufsichtsräten muss weitergehen

Börsen-Zeitung, 5.2.2016 Große Dinge bewegen sich oft langsam. In die Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte, des höchsten Aufsichtsgremiums der Kapitalgesellschaft, kehrt maßvolle Erneuerung ein. Grund dafür ist die Geschlechterquote für...

Wandel in den Aufsichtsräten muss weitergehen

Große Dinge bewegen sich oft langsam. In die Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte, des höchsten Aufsichtsgremiums der Kapitalgesellschaft, kehrt maßvolle Erneuerung ein. Grund dafür ist die Geschlechterquote für börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen, die seit Jahresbeginn wirksam ist und für obligatorische Neubesetzungen sorgt. Perspektivisch ist auch damit zu rechnen, dass die im letzten Jahr neu in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommene unternehmensspezifisch festzulegende Regelgrenze für die Zugehörigkeitsdauer zum Aufsichtsrat zu einer größeren Veränderung führen wird. Diese Regelgrenze lässt allerdings Spielraum in der Ausgestaltung, und viele Unternehmen befreien sich explizit davon. Vor allem bei Familiengesellschaftern und Ankeraktionären ist dies naheliegend. Dennoch: Langfristig geht der Trend in Richtung personeller Wandel. Veränderungsschub nutzenEs ist notwendig, diesen Veränderungsschub für eine weitere Stärkung der Gremien zu nutzen. Studien zeigen, dass die Beurteilung von unternehmensbezogenen Sachfragen zu den größten Herausforderungen im Gremium zählt. Das spiegelt sich auch in der anstehenden Anpassung der im Aktiengesetz geregelten persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder wider. Bis Mitte des Jahres sind die Vorgaben der überarbeiteten EU-Abschlussprüfungsverordnung umzusetzen. Ab dann gehört es zu den persönlichen Voraussetzungen für die Aufsichtsratsmitgliedschaft, dass “die Mitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein” müssen. Sie müssen nicht notwendigerweise in einem Unternehmen der Branche gearbeitet haben; auch wer im Beteiligungsmanagement oder als Angehöriger der beratenden Berufe einen tiefgehenden Einblick in den relevanten Sektor gewonnen hat, kommt in Betracht. Nur durch diese Fachkenntnis ist gewährleistet, dass Diskussionen mit dem Management auf Augenhöhe stattfinden können. Eine entsprechende Aufstellung des Aufsichtsrats ist folglich Voraussetzung.Weibliche Aufsichtsräte werden heute nach klaren Kriterien und häufig mit externer Beraterhilfe rekrutiert. Gerade bei männlichen Aufsichtsräten dominiert noch die direkte Ansprache durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates oder die direkte Ansprache durch einen (Groß-)Aktionär bzw. Gesellschafter. Durch eine breitere Suche, auch mit professioneller Unterstützung, besteht die Chance, außerhalb des Netzwerks gezielt Kompetenz ins Aufsichtsgremium zu holen. Die Tätigkeit “Aufsichtsrat” ist kein honoriges Amt, in dem persönlich verbundene Vorstände oder Aufsichtsräte sich gegenseitig unkritisch unterstützen. Für falsch verstandene Solidarität gibt es keinen Spielraum.Das Risiko der Unternehmen – und damit untrennbar auch seiner Organe – ist mit den Compliance-Anforderungen und der zunehmenden Regulierung der Aufsichtsratsarbeit deutlich gestiegen. Die größere Internationalität mit lokalen juristischen Besonderheiten, komplexere technische Prozesse, intransparente Lieferketten sowie allgemein mehr und unbekanntere Geschäftspartner tragen zur gestiegenen Komplexität bei. In diesem Kontext sowie im Hinblick auf bohrende Nachfragen auf Hauptversammlungen und die größere Zahl gerichtlicher Auseinandersetzungen ist zu erwarten, dass das Funktionieren und die Arbeitsweise der Unternehmensgremien zukünftig noch häufiger juristisch hinterfragt werden. Die Business Judgement Rule fordert einen gewissenhaften Einsatz der Mitglieder des Aufsichtsorgans und bietet gleichzeitig Schutz bei Fehlentscheidungen im Rahmen des unternehmerischen Risikos. Dabei liegt die Beweislast beim Aufsichtsrat. Er muss darlegen können, dass der Sorgfaltspflicht Genüge getan wurde. Dies ist nicht nur in Sondersituationen wie in Übernahmen, in Kartell- oder Korruptionsverfahren oder in insolvenznaher Unternehmensverfassung entscheidend, sondern betrifft die generelle Organisation der Gremienarbeit.Das Aufsichtsgremium darf sich in der Ausübung seiner Funktion nicht allein auf die mehr oder weniger großzügige Zuteilung von Informationen durch den Vorstand verlassen. Es muss initiativ werden, sich ein eigenes Vorgehen erarbeiten und seinen Informationsstand gezielt erweitern. Elementar ist ein kritischer Dialog mit dem Vorstand über Identifikation, Analyse, Bewertung, Steuerung, Kommunikation und Überwachung der Risiken sowie über die generelle Prüfung der Geeignetheit, Angemessenheit und Effizienz des Risikosystems. Natürlich benötigt ein solcher Dialog Zeit. Zwar müssen potenzielle Kandidaten die notwendigen Zeitressourcen für diese Aufsichtsaufgabe mitbringen; darauf ist bereits bei der Berufung zu achten. Doch aufgrund des weiterhin eingeschränkten Zeitbudgets in einem Teilzeitgremium ist Effizienz gefordert. Regelmäßiges AssessmentEffizienz ist auch notwendig für die erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, die ebenfalls eigenverantwortlich wahrgenommen werden müssen. Eine regelmäßige eigene Kontrolle (Audit) der Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats findet in der Regel statt und ist sinnvoll. Hier gibt es noch Spielraum für weiter gehende Formate, wie etwa eine stärker vergleichende Evaluation. In vielen Aufsichtsräten wurden bereits in den letzten Jahren die Arbeit und die Interaktion mit dem Management verändert und angepasst.Eine leistungsfähige Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums, verbunden mit einer effektiven Gremienorganisation, und ein systematisches, selbstdefiniertes Vorgehen sowie ein regelmäßiges Assessment der eigenen Leistungsfähigkeit sind gute Voraussetzungen dafür, den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin der Rechtsanwaltssozietät Hengeler Mueller, Heiner Thorborg ist Personalberater.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare führender Vertreter der Wirtschafts- und Finanzwelt, von Politik und Wissenschaft.——–Von Daniela Favoccia und Heiner ThorborgDie Geschlechterquote, die seit Jahresbeginn wirksam ist, sorgt für obligatorische Neubesetzungen in den Aufsichtsräten.——-