RECHT UND KAPITALMARKT

Whistleblowing etabliert sich in Unternehmen

Hinweisgeber-Systeme müssen rechtliche und kulturelle Aspekte berücksichtigen - Präventive Wirkung

Whistleblowing etabliert sich in Unternehmen

Von Timon Grau *)Whistleblowing- oder Hinweisgebersysteme, mit denen Mitarbeiter Fehlverhalten oder Rechtsverstöße im eigenen Unternehmen melden können, etablieren sich in vielen Konzernen zunehmend als Bestandteil einer effektiven Compliance-Organisation. Dabei setzt sich, geprägt nicht zuletzt durch rechtskulturelle Einflüsse aus den USA, wo Whistleblowing seit langem als “salonfähig” gilt und Hinweisgebern sogar hohe finanzielle Belohnungen winken, zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein Whistleblowing-System viele Vorteile bietet. So lässt sich die interne Aufdeckungsquote von Compliance-Verstößen erheblich steigern. Whistleblowing kann einen Beitrag dazu leisten, dass Rechtsverstöße im Unternehmen möglichst frühzeitig entdeckt und abgestellt werden können. Zugleich halten Meldesysteme Mitarbeiter stärker zu einem rechtskonformen Verhalten an und wirken damit präventiv. Schließlich kann ihre Existenz im Hinblick auf eine geeignete Unternehmensorganisation haftungsrechtlich zur Exkulpation des Unternehmens beitragen und damit Bußgelder vermeiden oder reduzieren. Bereitschaft nimmt zuDie gewachsene Bedeutung von Whistleblowing zeigen auch jüngste Ergebnisse einer von Freshfields Bruckhaus Deringer in Auftrag gegebenen und von Censuswide durchgeführten Umfrage, an der 2 500 Führungskräfte in den USA, Asien und Europa teilnahmen. Danach sehen immer mehr Unternehmen Whistleblowing als wesentlichen Bestandteil ihres Compliance-Management-Systems. 47 % der befragten Führungskräfte gaben an, in ihrem Unternehmen mit dem Thema Whistleblowing schon einmal in Berührung gekommen zu sein. Gegenüber einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2014 bedeutet dies einen Anstieg von 13 Prozentpunkten. Nur noch 13 % (2014: 40 %) der befragten Führungskräfte gaben an, dass ihr Unternehmen dem Thema Whistleblowing generell kritisch gegenüberstehe. Angst vor ReputationsverlustWährend die Umfrage einerseits eine prinzipiell gestiegene Bereitschaft zum Whistleblowing weltweit zeigt, scheint die Unternehmenskultur nach wie vor viele Führungskräfte davon abzuhalten, selber als Whistleblower in Erscheinung zu treten. Von den im Jahr 2017 befragten Führungskräften äußerten 55 % die Befürchtung vor einem Karriereeinschnitt oder Reputationsverlust, der sie und ihre Kollegen von Whistleblowing abhalte. Die Mehrzahl der Befragten äußerte zudem die Sorge, dass die Anonymität ihrer Hinweise nicht gewahrt sei und es ihrem Unternehmen wichtig sei, die Identität des Whistleblowers zu kennen.In Deutschland existieren keine umfassenden gesetzlichen Vorschriften zum Whistleblowing. Einzelne Gesetze sehen ausdrücklich ein Recht des Arbeitnehmers vor, sich bei bestimmten Rechtsverstößen beim Arbeitgeber oder nötigenfalls extern bei zuständigen Stellen zu beschweren. Beispielsweise müssen Kreditinstitute als Bestandteil einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation nach dem Kreditwesengesetz einen Prozess etablieren, wonach Mitarbeiter gravierende Verstöße vertraulich an eine Stelle innerhalb des Unternehmens berichten können. Weitere einschlägige Regelungen finden sich etwa im Bereich des Arbeitsschutzrechtes sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Alles in allem sind diese Regelungen nur punktuell und belassen den Unternehmen einen erheblichen Gestaltungsspielraum.In der Politik sind immer wieder Forderungen laut geworden, den Schutz von Whistleblowern vor Benachteiligungen zu verbessern, was im Übrigen auch auf der Agenda der fehlgeschlagenen Jamaika-Sondierungsgespräche stand. Allerdings werden Arbeitnehmer hierzulande bereits durch das in § 612a BGB verankerte Maßregelungsverbot geschützt.Trotz des Fehlens ausführlicher gesetzlicher Regelungen sind Unternehmen in der Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen nicht völlig frei. Anforderungen ergeben sich vor allem aus dem Arbeits- und Datenschutzrecht, wobei vielfältige und zum Teil gegenläufige Belange in Einklang zu bringen sind. Dabei muss sowohl das Interesse an einer effektiven Meldung von Verstößen als auch der Schutz des Hinweisgebers sowie die Persönlichkeitsrechte des von einer Meldung Betroffenen berücksichtigt werden.Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist zunächst festzuhalten, dass Arbeitnehmer grundsätzlich befugt sind, beobachtete oder vermutete Regelverstöße oder Missstände dem Arbeitgeber zu melden, der diesen regelmäßig auch nachzugehen hat. Unterlässt er dies, so läuft der Arbeitgeber Gefahr, dass sich der Mitarbeiter an eine externe Stelle wie z. B. Behörde oder Staatsanwaltschaft wendet. Grenzen für ein solches externes Whistleblowing ergeben sich aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers. Bösgläubige oder verleumderische Meldungen, gleich ob intern oder extern, stellen eine Pflichtverletzung dar und können zu arbeitsrechtlichen Sanktionen führen, was Unternehmen deutlich machen sollten.Zu der erforderlichen verhältnismäßigen Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems gehört es, dass nur Meldungen über hinreichend gravierende Verstöße verarbeitet werden und nicht über Bagatellen, da es nicht um gegenseitige Bespitzelung geht. Es sollte stets transparent sein, welche Regelverstöße oder Missstände überhaupt gemeldet werden können oder sollen. Dabei steht es grundsätzlich im Ermessen des Unternehmens, ob nur bestimmte Gesetzesverstöße oder auch gravierende Verstöße gegen unternehmensinterne Verhaltensrichtlinien aufgenommen und ob nur bestimmte Beschäftigungsgruppen erfasst werden sollen. Letztlich hängt dies immer auch vom Risikoprofil und der Compliance-Kultur des jeweiligen Unternehmens ab. Anonymität gesuchtGeregelt werden sollte ferner, ob Meldungen auch anonym erfolgen können. In der Praxis zeigt sich, dass bei Mitarbeitern die Bereitschaft steigt, Regelverstöße zu melden, wenn sichergestellt ist, dass ihre Anonymität gewahrt wird. Wie auch die erwähnte Studie zeigt, sind Befürchtungen, als Denunziant abgestempelt zu werden oder Karrierenachteile zu erleiden, noch immer weit verbreitet. Auf der anderen Seite steigt mit der Gestattung anonymer Meldungen die Missbrauchs- und Verleumdungsgefahr und es werden Rückfragen erschwert. Die Datenschutzbehörden empfehlen daher, dass anonyme Meldungen nur zurückhaltend akzeptiert werden sollten. Unternehmen haben für diesen Fall ganz besonders sicherzustellen, dass die erhobenen Daten nur für unvoreingenommene Untersuchungen verwendet werden. Ferner sollte auf Garantien für die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers sowie für einen wirkungsvollen Benachteiligungs- und Diskriminierungsschutz jedes gutgläubig Meldenden besonders geachtet werden, um Anreize für anonyme Meldungen zu vermeiden. Klare ZuständigkeitenFestgelegt werden muss auch, an welche interne oder alternativ externe Stelle(n) Meldungen zu erfolgen haben und wie der weitere Prozess der Aufklärung verläuft, einschließlich zu gegebener Zeit einer Information des Hinweisgebers sowie auch des von der Meldung Betroffenen. Hierbei sind wiederum datenschutzrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Sind auch andere Konzernunternehmen oder ein externer Anbieter eingebunden, muss ferner auf die rechtliche Zulässigkeit von Datenübermittlungen und gegebenenfalls notwendige Datenschutzverträge geachtet werden.Besondere Herausforderungen stellen sich bei der Implementierung konzernweiter Whisteblowing-Systeme, die international einheitliche Compliance-Standards unabhängig vom Arbeitsort des Mitarbeiters bieten sollen. Angesichts nach wie vor bestehender rechtlicher und kultureller Unterschiede im Umgang mit Whistleblowing ist die Umsetzung komplex. Dabei spielt auch eine Rolle, dass – wie beispielsweise grundsätzlich in Deutschland der Betriebsrat – in einigen Ländern Arbeitnehmervertretungen bei der Einführung von Whistleblowing-Hotlines beteiligt werden müssen.—-*) Dr. Timon Grau ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer.