„Wir haben noch viel mehr Potenzial, das zu holen ist“
Von Michael Flämig, München
Das Wiener Unternehmen Go Student erhält in einer neuen Finanzierungsrunde 300 Mill. Euro. Aus der Kapitalerhöhung um rund ein Zehntel resultiert eine Bewertung von 3 Mrd. Euro. „Für uns war entscheidend, dass wir Partner an Bord holen, bei denen wir ein langfristiges Commitment spüren“, sagte Felix Ohswald im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der 26-Jährige hatte das Unternehmen, das Online-Einzelnachhilfe per Video organisiert und vermittelt, im Jahr 2016 zusammen mit Gregor Müller gegründet.
Seit dem Start des eigentlichen Geschäftsmodells 2019 wurden mehr als 590 Mill. Euro eingesammelt. Im letzten Jahr überschritt Go Student die Bewertung von 1 Mrd. Euro und gilt seitdem als Einhorn.Der Technologieinvestor Prosus, der Go Student erstmals Mittel gibt und die Runde anführt, passt aus Sicht von Ohswald zur Langfrist-Perspektive. Prosus verkaufe zum Beispiel bei einem IPO nicht unmittelbar nach der Sperrfrist Anteile, sondern stocke teils auf und sende so ein positives Signal an die Märkte, erklärte Ohswald. An der Series D-Finanzierung der Educational-Technologiefirma (Ed-Tech) beteiligten sich darüber hinaus: die Telekom über ihren Fonds Innovation Pool, Softbank Vision Fund 2, Tencent, Dragoneer, Left Lane Capital und Coatue.
Ohswald zielt mittelfristig auf einen Börsengang von Go Student: „Wir haben den aktuellen Fokus darauf, dass wir die Firma so fit machen und so weiterskalieren, dass man in zwei Jahren startbereit ist.“ Dann werde je nach Marktumfeld ein idealer Zeitpunkt gesucht.
50 Mrd. Euro an der Börse
Börsennotierungen von Ed-Techs sind derzeit ein Thema für den Markt, obwohl in China die dortige Entwicklung durch ein Quasi-Verbot derartiger gewinnorientierter Firmen abgewürgt wurde. Aber der indische Bildungs-Onlinegigant Byju’s ventiliert eine Erstnotierung im laufenden Jahr in den USA via eine Spac-Konstruktion. Es ist eine Bewertung von rund 50 Mrd. Dollar im Gespräch. „Das beobachten wir natürlich ganz genau“, erklärte Ohswald. Desto erfolgreicher deren Börsengang verlaufe, desto vorteilhafter sei es für Firmen wie Go Student. Sein Unternehmen wachse allerdings schneller als Byju’s und habe ein rein digitales Geschäftsmodell, strich der CEO heraus.
Go Student bezeichnet sich als wertvollstes Ed-Tech Europas und zählt mehr als 1300 Beschäftigte. 40% arbeiteten im Vertrieb, 30% bis 40% im Marketing samt Datenteam und Produktentwicklung sowie 20% bis 30% in Kundenunterstützung und der Lehrergewinnung, sagte Ohswald. Es gebe zudem gut 15 000 freiberufliche Nachhilfelehrkräfte. Go Student zähle 22 Standorte.
Nachhilfe sei bisher in fast jedem Land eine intransparente und fragmentierte Dienstleistung, so Ohswald – er spricht von „Schwarzmarkt“. Die Nachhilfe werde direkt zwischen Eltern und dem Lehrer vereinbart: „Dies schafft für uns eine gute Ausgangslage. Wir können Qualität und Transparenz in den Markt bringen.“ Go Student habe ein Aufnahmeverfahren für neue Lehrkräfte entwickelt, das extrem gut auch sprachenübergreifend funktioniere. Fachliche Skills würden kontrolliert, ein pädagogischer Test evaluiere die Lehrfähigkeiten, und es gebe einen lokal angepassten Background-Check der Lehrer, weil die Arbeit mit Kindern sensibel sei. Das Spektakuläre sei: „Wir können länderübergreifend nachvollziehen, warum Lehrer A besser als Lehrer B ist.“
Go Student sei preislich kompetitiv, sagte Ohswald. Umsatztreiber sei der virtuelle Einzelunterricht. Es werde eine Mitgliedschaft verkauft, die eine gewisse Zahl von Nachhilfelerneinheiten pro Monat ermögliche. Das Durchschnittspaket umfasse acht Einheiten im Monat für die Laufzeit von einem Jahr. Aktuell verbuche Go Student 1,5 Millionen Nachhilfeeinheiten pro Monat mit einem Durchschnittspreis von 23 Euro. Der Außenumsatz betrage also 30 bis 35 Mill. Euro pro Monat. Er sei von 2020 auf 2021 um 750% gewachsen.
Die Nettomarge von Go Student hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagte der Mitgründer. Über die Firma hinweg werde ein Nettoverlust geschrieben, „weil wir die Expansion und die Produktentwicklung so schnell vorantreiben“. Wichtig für Ohswald: „In den Kernmärkten sind wir bereits profitabel.“ Dies rechtfertige, dass man in anderen Märkten – wo Go Student noch nicht so lange präsent ist – aggressiver vorgehe. In der Regel habe man, eine gute Skalierung vorausgesetzt, zwei bis drei Jahre nach Markteintritt ein „solides Business“, erklärte der CEO.
Sehr kurzfristige Zukäufe
Die Region Deutschland, Österreich und Schweiz stehe noch für rund 30% des Umsatzes, berichtete Ohswald. Aber: „Wir expandieren schnell, um zu zeigen, dass das Modell in anderen Märkten genau so gut funktionieren kann.“ Im laufenden Jahr sollen mindestens sechs Märkte erschlossen werden. In den USA habe man eine Art Soft-Launch gemacht: „Sehr spannend sind Märkte wie Südkorea oder Japan, die historisch gesehen ein sehr kompetitives Schulsystem haben.“ Dort könne Go Student mit einem digitalen Angebot Mehrwert schaffen und günstiger als lokale Konkurrenz anbieten.
Konkurrenten hat Go Student nach Überzeugung von Ohswald zumindest vorerst hinsichtlich Wachstum und Skalierung hinter sich gelassen. Der Vision, die globale Schule aufzubauen, wolle er auch durch Käufe von Bildungsunternehmen näherkommen, so der Firmengründer. Go Student strebe Synergien an: „Es folgen weitere Akquisitionen sehr kurzfristig in den kommenden Wochen.“ Man schaue sich im Markt so ziemlich alles an. Im September war Fox Education – ein Spezialist für die Organisation der Kommunikation zwischen Lehrern in den Schulen und den Eltern – zu einem ungenannten Preis gekauft worden. Im deutschsprachigen Raum nutzen Ohswald zufolge eine Million Eltern das School-Fox-System.
Ob die rasante Expansion Go Student überdehnen könne? „Nein, ganz im Gegenteil, wir haben noch viel mehr Potenzial, das zu holen ist“, lautet die Antwort von Ohswald. Wichtig sei es, die Schlüsselpositionen mit den richtigen Leuten zu besetzen. Branchenüblich würden Go-Student-Anteile in der Größenordnung von 10% bis 15% für Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Müller und er besäßen ohne virtuelle Optionen rund 23% der Firma.