„Wir sind genau auf dem angekündigten Weg“
„Wir sind genau auf dem angekündigten Weg“
Herr Rebellius, welche Auswirkungen hat die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auf die Siemens-Sparte Smart Infrastructure?
Rebellius: Wir erwirtschaften zwar mehr als 40% unseres Umsatzes in Amerika, dies jedoch unabhängig von der jeweiligen Regierung in Washington. Außerdem sind die Entscheidungszyklen oft länger als eine Legislaturperiode. Wir verfolgen also das Tagesgeschehen, aber ziehen daraus keine vorschnellen Schlüsse.
Nachhaltigkeit steht aber sicherlich nicht oben auf der Prioritätenliste von Trump.
Rebellius: Es wird möglicherweise Änderungen in der Nachhaltigkeitsagenda geben. Unsere Kunden, wie zum Beispiel die großen Energieversorger, signalisieren uns aber bereits, dass Projekte wie der Verzicht auf fossile Kraftwerke nicht von Subventionen aus Washington getrieben werden, sondern von den Forderungen ihrer globalen Investoren und Kunden.
Herr Prof. Thomas, was ändert sich für den Gesamtkonzern durch die neue Präsidentschaft?
Thomas: Wir sind auf einem Wachstumspfad. Die US-Wahlen bringen aus aktueller Sicht keine grundlegenden Veränderungen. Es gilt allerdings, und das hat die Geschichte gezeigt: Freier Handel führt langfristig zu Wachstum und Wohlstand.
Herrn Trump scheint dies egal zu sein. Er will Zölle sogar für sachfremde Ziele einsetzen.
Thomas: Wenn er das in die Tat umsetzt, was er angekündigt hat, dann werden wir damit zurechtkommen. Vielleicht kommt er aber auch zu anderen Schlussfolgerungen. Wir sind auf jeden Fall ein etablierter Spieler in den USA mit mehr als 40.000 Arbeitsplätzen. Wir sehen die USA weiterhin sehr positiv.
Herr Rebellius, Sie haben auf dem Kapitalmarkttag der Smart Infrastructure im Dezember die USA als Wachstumsmarkt identifiziert. Was konkret soll getan werden?
Rebellius: Die Sparte Smart Infrastructure hat seit dem Jahr 2020 ihr Geschäft in dem Land beinahe verdoppelt. Die Gebäudetechnik ist mit dem Markt gewachsen, das elektrische Produktgeschäft und die Elektrifizierung hatten dort und auch weltweit überproportionale Wachstumsraten.
Was treibt die Umsätze?
Rebellius: Wir nennen dies „Electrification of Everything“. Das ist der Ersatz fossiler Energieträger durch elektrische Energie. Es geht nicht nur um Elektromobilität, sondern auch um die Nutzung für die industriellen Prozesse oder für Rechenzentren.
Könnte der Boom der Künstlichen Intelligenz auch wieder abbrechen?
Rebellius: Im letzten Geschäftsjahr ist im Geschäft mit Rechenzentren unser Umsatz um über 50% und unser Auftragseingang um mehr als 60% gewachsen. Dieses rasante Wachstum kann man wahrscheinlich nicht so fortschreiben. Wir erwarten eine Normalisierung auf hohem Niveau, also ein prozentuales Wachstum des Data Center Bereichs im mittleren Zehnerbereich. Dies geht übrigens über KI hinaus, es gibt auch viele Rechenzentren für das „Internet of Things“ und für cloudbasierte Applikationen.
In China ist Smart Infrastructure unterdurchschnittlich vertreten.
Rebellius: Das ist im Moment kein Nachteil, wenn man sich die Entwicklung der Märkte anschaut. Aber wir halten die Region nach wie vor für sehr wichtig. Als sehr starken Wachstumstreiber für Smart Infrastructure sehe ich allerdings im Moment Indien.
Der frühere Siemens-Chef Heinrich v. Pierer sagte schon vor mehr als zwei Jahrzehnten: Vergesst Indien nicht. Doch der Schub ist ausgeblieben.
Rebellius: Sicherlich gab es seitdem ein Auf und Ab. Wir haben allerdings unseren Umsatz seit dem Jahr 2020 verdreifacht. Im Moment gibt es Milliarden-Investitionen in nachhaltige Energien und die Stromnetze.
Herr Thomas, die mittelfristigen Margenziele von Smart Infrastructure lagen eher am unteren Rand der Kapitalmarkterwartungen.
Thomas: Meiner Beobachtung nach befand sich die Prognose eines Umsatzwachstums von 6 bis 9% jährlich sogar eher einen Tick über den durchschnittlichen Erwartungen. Dass einige zugegebenermaßen meinungsbildende Analysten das obere Ende des Margenbandes einen Prozentpunkt weiter oben gesehen haben als die kommunizierte Spanne von 16 bis 20%, ist keine echte Abweichung. Matthias Rebellius und sein Team haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass man einen angepeilten Margenkorridor auch übertreffen kann.
Sie klingen da relativ entspannt für einen Finanzvorstand.
Thomas: Bin ich auch. In einem guten Geschäft, das auf einem säkularen Wachstumstrend liegt, ist Wachstum auf jeden Fall der größere Werttreiber. Es wäre falsch, die Strategie einer Margenoptimierung zu wählen. Denn die absoluten Ergebnisbeiträge würden dann immer geringer. Stattdessen muss man reinvestieren, und diese Reinvestitionsquote bildet sich in der Marge ab. Wenn wir die Profitabilität konservativer einschätzen, dann heißt das für mich, dass wir sehr zuversichtlich für die Wachstumsperspektiven von Smart Infrastructure sind.
Das SI-Segment Gebäudetechnik soll aber auch die Marge verbessern, und zwar um 3 oder 4 Prozentpunkte bis zum Jahr 2028. Wie soll dies gelingen?
Rebellius: Wir haben die SI-Marge insgesamt über 16 Quartale in Folge gegenüber dem Vorjahresquartal immer gesteigert, und das wollen wir natürlich fortschreiben. In der Gebäudetechnik haben wir in einem schwierigen Marktumfeld seit dem Geschäftsjahr 2020 rund 410 Basispunkte Verbesserung hingelegt. Nun stellen wir die Vertriebsstruktur um: Wir wollen mehr Produkte, mehr Service und darin einen höheren digitalen Anteil. Dafür gibt es weniger Projektgeschäft.
Sie dampfen also Aktivitäten ein.
Rebellius: Das ist ein kontinuierlicher Umbau. Wenn wir dies innerhalb eines Jahres umstellen würden, würde der Umsatz massiv einbrechen. So bringt es über die Jahre stattdessen eine Margensteigerung um 3 Prozentpunkte.
Benötigt Siemens Infrastructure auch Akquisitionen?
Rebellius: Wir schauen gezielt nach Erweiterungen, sowohl des Portfolios, als auch nach regionalen Erweiterungen.
Thomas: Matthias Rebellius hat, weil er ein bescheidener Mensch ist, nicht erwähnt: Die SI ist auch deshalb so erfolgreich, weil das Management proaktiv an das Portfolio herangeht. Die Frage lautet immer, ob man Teile organisch verbessern kann, oder es vielleicht auch überlegenswert ist, diese loszulassen. Siemens Infrastructure macht dies frühzeitig und daher so erfolgreich.
Ein solcher Desinvestitionskandidat ist die Elektro-Ladeinfrastruktur. Wie sieht der Zeitplan aus?
Rebellius: Der Zeitplan für den geplanten Carve-out wird vor allem vom Markt getrieben. Wir erwarten, dass er sich nach einer Stagnation 2024 im nächsten Jahr normalisiert. Wenn wir dann glauben, dass wir für die nächsten Schritte bereit sind, kündigen wir sie an.
Wie ist das Quartal, das jetzt zu
Ende geht, für Smart Infrastructure gelaufen?
Rebellius: Wir sind zuversichtlich, dass wir die Guidance für das erste Quartal und das Gesamtjahr vollumfänglich erreichen. Es gibt keine größeren Veränderungen in unserem Marktumfeld.
Das erste Quartal sollte mit rund 16,4% auch etwas margenschwächer als das Gesamtjahr mit 17 bis 18% werden.
Rebellius: So ist es. Wir haben auch eine Periodizität in unserem Geschäft, die sich da abbildet. Insofern liegt das im Rahmen der Erwartungen.
Wie läuft das erste Quartal im Gesamtkonzern?
Thomas: Wir sind genau auf dem angekündigten Weg. Noch wichtiger ist: Wir gehen weiterhin davon aus, dass die strukturelle Nachfrage auch im Automatisierungsgeschäft intakt ist. Dies gilt auch für das Thema des bewussten Umgangs mit knappen Ressourcen. Der Trend zur Nachhaltigkeit wird nicht gestoppt, höchstens ein bisschen verzögert.
Wie läuft das Automatisierungsgeschäft in China?
Thomas: Es bleibt bei meiner Aussage aus dem November zur Jahrespressekonferenz: Die Normalisierung der bisher hohen Lagerbestände bei Distributoren bzw. Kunden liegt rechnerisch immer noch am Ende des zweiten Geschäftsjahresquartals. Das hat sich höchstens um eine Woche verschoben.
In welche Richtung?
Thomas: Wir haben uns wohl ein wenig verbessert. Insgesamt haben wir ein bisschen mehr Wind beim Auftragseingang unter die Flügel bekommen. Dies wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterentwickeln, je mehr China die angekündigten Stimulusprogramme in konkrete Aktionen übersetzt.
Wie sieht das Ergebnis der gesamten Sparte Digital Industries aus?
Thomas: Wie angekündigt ist das erste Quartal auf der Umsatzseite immer noch von einer Zögerlichkeit im Markt geprägt. Die Marge bewegt sich, wie wir ebenfalls prognostiziert hatten, eher unterhalb des unteren Endes der Jahresguidance von 15 bis 19%.
Bis zu zwei Prozentpunkte unterhalb, hatten Sie gesagt.
Thomas: Ich vermute, dass wir die bis zu zwei Prozentpunkte am unteren Ende wahrscheinlich nicht ausschöpfen werden. Wie angekündigt, hängt dies aber sehr stark von der Implementierung von Ertüchtigungsmaßnahmen ab. Wenn eine Maßnahme bis zum 31. Dezember bilanziert wird, verändert dies auch den Gewinn, ohne dass es eine operative Ursache hätte.
Ertüchtigung heißt auch Stellenabbau, das ist klar.
Thomas: Das kommt drauf an.
Sie planen 200 Mill. Euro mehr für Abbauprogramme als im vorherigen Geschäftsjahr ein.
Thomas: Es stehen tatsächlich 350 bis 450 Mill. Euro in der Planung. In China müssen wir die Marktsituation einfach zur Kenntnis nehmen und unsere Ressourcen anpassen. Aber wenn wir die Möglichkeit haben, bevorzugen wir immer die Ertüchtigung und Weiterbildung unserer Belegschaft.
Wie wird der Kaufpreis für Altair von 10,6 Mrd. Dollar nun konkret finanziert?
Thomas: Wie angekündigt werden wir die bereits erhaltenen Mittel aus der Veräußerung von Innomotics nutzen, der Enterprise Value beträgt 3,5 Mrd. Euro. Es bleibt außerdem dabei, dass wir Aktien an gelisteten Unternehmen einsetzen wollen.
An welche Größenordnungen denken Sie?
Thomas: Wir haben bereits in der Investoren-Telefonkonferenz zum Altair-Erwerb gesagt, dass wir planen, Aktien an gelisteten Unternehmen einzusetzen. Es könnten ungefähr 5% von Siemens Healthineers und bis zu rund 6% von Siemens Energy sein. Falls es noch eine Lücke gibt, können wir auf den operativen Cash-flow, auf Fremdkapital oder unsere Beteiligung an Fluence zurückgreifen. Allerdings ist die Fluence-Beteiligung nicht so fungibel.
Könnten die Aktienkurse von Healthineers oder Energy unter Druck geraten?
Thomas: In der Vergangenheit haben wir gezeigt, dass wir derartige potenzielle Auswirkungen bedenken. Das Trennen von Anteilen an Siemens Energy hatte bisher keinerlei wesentliche Folgen für die Tages-Bewertung der Aktie im Handel.
Soll der Siemens Pensionsfonds erneut Anteile aufnehmen?
Thomas: Die Stärkung des Pensionsvermögens war auch von strategischen Themen getrieben. Nun ist der Ausfinanzierungsgrad sehr hoch. Das hat unser Pensions-Team sehr gut gemacht. Aber der Kern unserer Vorgehensweise bleibt gültig: Aktienpakete in kleinen Portionen abzugeben.
Siemens muss darüber hinaus fällige Anleihen refinanzieren.
Thomas: Das spielt natürlich immer auch eine Rolle. Die Entwicklung der Leitwährungen hat Implikationen dafür, in welcher Währung wir möglicherweise einen entsprechenden Bond begeben. Aber es wäre jetzt zu früh, dazu Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wie laufen die Vorbereitungen für den Vollzug des Kaufs?
Thomas: Es sind viele kleine Schritte erforderlich, unter anderem ist dies die finale Zustimmung der heutigen Altair-Eigner. Das entwickelt sich alles genau so, wie wir es erwartet haben. Wenn es so bleibt, ist der konkrete Finanzierungsbedarf in der zweiten Jahreshälfte 2025 fällig.
Siemens plant Ende 2025 einen Kapitalmarkttag. Was erwartet die Aktionäre?
Thomas: Wir wollen die strategischen Wachstumsperspektiven aufzeigen und ein neues Financial Framework vorlegen. An diesen Mittelfristzielen lassen wir uns dann gerne wieder messen.
Wir haben auch in Deutschland einen Regierungswechsel vor uns. Welche Erwartungen haben Sie?
Rebellius: Bisher war Deutschland immer für stabile Verhältnisse bekannt. Dies hat besonders im langfristigen Geschäft, in dem Smart Infrastructure tätig ist, Einfluss auf die Investitionsbereitschaft unserer Kunden. Ich wünsche mir also, dass zum Beispiel in der Energiepolitik die richtigen Weichen gestellt werden.
Geht es um Subventionen?
Rebellius: Davon spreche ich nicht. Aktionsfelder wie der Netzausbau oder die Gebäudeeffizienz können sicherlich politischen Rückenwind gebrauchen, benötigen aber vor allen Dingen Klarheit für die Investoren.
Dies fehlt bisher?
Rebellius: Es ist leider unklar, wie die Energiewende genau funktionieren soll. Da erhoffe ich mir schnell die richtigen Signale. Dann hat Deutschland genügend Potenzial und Kraft, das schnell umzusetzen. Aber es ist eine Situation, die man ernst nehmen muss.
Die Energiewende muss also auf den Weg gebracht werden.
Thomas: „Auf den Weg bringen“ reicht aber nicht. Dies alles muss auch zu einem greifbaren Ergebnis geführt werden. Nur so verbessert sich das Investitionsklima bei den vielen Tausenden mittelständischen Unternehmen.
Was muss die Politik hierfür tun?
Thomas: Ich bin kein Politiker, wünsche mir aber, dass die Politik sich jetzt schon mit der Frage beschäftigt, wie sie nach der Wahl schnell die Handlungsfähigkeit der dann neuen Regierung ermöglicht.
Gibt es bei Regierungswechseln nicht immer schleppende Amtsübergaben?
Thomas: Trotzdem: Als Bürger und Siemensianer empfinde ich derartige Verzögerungen in diesen Zeiten als dramatisch. Denn die heutige Welt ist wirklich von großen Herausforderungen geprägt, sie reichen von sich verändernden Schlüsseltechnologien bis hin zum Wettbewerb zwischen den politischen Systemen. Es wäre mein Wunsch, dass sich alle Politiker der Verantwortung bewusst sind, dass der Weg nach vorne nicht durch parteipolitisches Gerangel geprägt oder gar aufgehalten werden darf.
Im Interview: Ralf Thomas und Matthias Rebellius
Die Siemens-Vorstände blicken zuversichtlich
auf den Start in das neue Geschäftsjahr
Eine ruhige Zeit zum Jahresausklang? Das gebrochene Geschäftsjahr beschert Siemens vielerlei Themen in den beiden letzten Monaten, von der Jahrespressekonferenz bis zum Geschäftsbericht. Aktuell kam für die Vorstände Ralf Thomas und Matthias Rebellius noch der Kapitalmarkttag der Sparte Smart Infrastructure hinzu.
Das Interview führte Michael Flämig.