"Wir sind Zeuge der Neuvermessung der Welt"
Die deutsche Industrie will mit themenbezogenen sogenannten “De:Hubs” in der Digitalisierung aufholen. Sie braucht nach Meinung von Politikern und Unternehmenschefs aber vor allem auch einen neuen Umgang mit Daten und entsprechende Geschäftsmodelle.hei Saarbrücken – Für die Aufholjagd Deutschlands in der Digitalisierung setzt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel stark auf die neuen “De:Hubs”, die in fünf deutschen Großstädten – Berlin, Hamburg, München, Dortmund und Frankfurt – entstanden sind. Sie setzen auf ein Konzept, das sich im Silicon Valley seit Jahrzehnten bewährt habe und dort Unternehmen entstehen lassen habe, die wie Google, Apple oder Amazon als Leuchttürme der digitalen Wirtschaft gelten dürften, wie Bitkom-Präsident Thorsten Dirks auf dem IT-Gipfel in Saarbrücken sagte. Die Zusammenführung von etablierten Unternehmen und Start-ups, Forschung, Ideen und Finanzierung sei das Ziel dieser Hubs, mit denen die deutsche Industrie den Anschluss an die Weltspitze auch im digitalen Zeitalter halten wolle, betonte Gabriel auch im Rahmen einer Podiumsdiskussion, an der u.a. auch Telekom-Chef Timotheus Höttges, Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm, Susanne Klatten und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt teilnahmen.Um die Digitalisierung der Wirtschaft mehr zu fokussieren, sind die Hubs “themenzentriert”. So dreht sich zum Beispiel in München alles um Mobilität, in Frankfurt um Fintech, in Berlin um das Internet der Dinge (IoT), Dortmund beschäftigt sich mit Logistik, Hamburg ebenfalls und darüber hinaus schwerpunktmäßig mit Seehandel. Maschinenbau schaltet spätGabriel betonte, der nationale IT-Gipfel, der nun zum 10. Mal stattfand und künftig Digitalgipfel heißen soll, habe die Wirtschaft und Gesellschaft auf diesem entscheidenden Feld vorangebracht. Noch vor drei Jahren habe eine Umfrage im mittelständisch geprägten Maschinenbau ergeben, dass eine Mehrzahl der Unternehmen die Digitalisierung nicht als wichtig für das eigene Geschäft und vor allem mit Abstand betrachtet habe. Im Hinblick auf die Bedeutung des Maschinenbaus für die Exportnation Deutschland sei “so etwas ja lebensgefährlich”, befand der Minister. Er sei damals in Sorge gewesen, dass die Tragweite der Digitalisierung in vielen Unternehmen des Mittelstands nicht erkannt werde. “Wir sind Zeuge einer Neuvermessung der Welt”, so Gabriel.Der Wirtschaftsminister forderte, dass Staat und Unternehmen gemeinsam vorgehen müssten; nur nach staatlichen Fördermitteln zu rufen, reiche nicht aus, sagte er mit einem Seitenblick auf Höttges, der neben ihm auf dem Podium stand. Dieser konterte direkt: “Die Deutsche Telekom ist der Ackergaul des Glasfaserausbaus in Deutschland.” Der Bonner Konzern investiere in Deutschland 5 Mrd. Euro in diesem Jahr, “schwerpunktmäßig im Festnetz”. Mit 430 000 Kilometern hochbitratiger Infrastruktur trage die Telekom die Hauptlast, um das politische Ziel, 2018 alle Haushalte flächendeckend mit 50 Megabit zu versorgen, sicherzustellen. Der Konzernchef betonte zugleich, es gehe aber nicht nur um “Glasfaser”, sondern um maßgeschneiderte Netze. Das Netz der Zukunft werde “Qualitätsklassen” haben und sich “dynamisch” auf die Anforderungen einzelner Kunden und Dienste einstellen, versprach er. “Keine Kleinstaaterei”Darüber hinaus erneuerte er seine Forderung nach einem “Regulierungsumfeld”, das Investitionen fördere. Darin sprang ihm Russwurm bei, der betonte, es müsse eine europaweite Regulierung geben “und keine Kleinstaaterei”, wenn Europa den derzeit digital führenden Regionen der Welt Paroli bieten wolle. Er fand damit Gabriels ungeteilten Beifall, der sich strikt für eine einheitliche Auslegung der europäischen Datenschutzgrundverordnung aussprach. “Nicht dass diese in 28 Ländern unterschiedlich ausgelegt wird.”Dirks stellte die zentrale Bedeutung von Daten als Rohstoff der Zukunft heraus. Er forderte einen “neuen Umgang” mit Daten, es gelte, die Angst vor Big Data abzulegen und die sich bietenden Chancen neuer Geschäftsmodelle zu erkennen. Dies sei notwendig, wenn Deutschland wirtschaftlich auch künftig in der Champions League mitspielen wolle und nicht als “digitale Kolonie oder verlängerte Werkbank” der USA oder Chinas enden wolle. Auch Höttges und Russwurm sprachen sich für eine verstärkte Nutzung von Daten für neue Geschäftsmodelle aus. Russwurm forderte von den Unternehmen generell “mehr Mut, um nicht zu kurz zu springen”, und nannte als Beispiele für entsprechende weitreichende Innovationen jungen US-Firmen wie Uber oder Airbnb.Das gesamte Podium war sich darin einig, dass es für den Erfolg in der digitalen Wirtschaft auf die Zusammenarbeit auf übergreifenden Plattformen ankomme. Dirks betonte, es habe sich gezeigt, dass nicht Unternehmen der Branche disruptive Geschäftsmodelle gefunden hätten, sondern oft Dritte: “Whatsapp wurde nicht von einem Telekomunternehmen erfunden, Uber nicht von einem Automobilkonzern, Spotify nicht von der Musikindustrie …”Für Google-Ceo Sundar Pichai, der sich mit Höttges in einem Kurzauftritt zur Position von Deutschland im internationalen Ranking der Digitalisierung unterhielt, dürfte es einige Genugtuung bedeutet haben, dass nahezu sämtliche Unternehmensnamen, die als leuchtende Beispiele der digitalen Ökonomie von den Podiumsteilnehmern genannt wurden, US-Unternehmen waren. Der gebürtige Inder, der bekannte, dass einst ein Telefon zu einem Quantensprung in seinen Lebensumständen geführte habe, lobte die “hohe deutsche Ingenieurskunst” als das Fundament, auf das die deutschen Unternehmen am ehesten bauen sollten für die Aufholjagd in der digitalen Welt. Ob indes die Autoindustrie als Leitindustrie, “ohne die es Wohlstand in Deutschland nicht geben kann” (Dobrindt), für die digitale Zukunft schon gewappnet ist, ließen die Teilnehmer in der Diskussion offen.