„Wir sind zurzeit sehr aktiv“
Antje Kullrich.
Herr Sackers, Qiagen ist Kandidatin für den Aufstieg in den Dax, doch der Einzug in die erste Börsenliga steht auf der Kippe. Beim Marktwert müssen Sie sich strecken, um Ende August unter den größten 40 Konzernen zu landen. Was bedeutet eine Dax-Mitgliedschaft für Qiagen?
Das wäre mit Sicherheit eine schöne Bestätigung für unseren Wachstumskurs. Auch für unsere Mitarbeiter würde es mich freuen. Dem Dax anzugehören schafft eben schon eine höhere Sichtbarkeit. Und es generiert mehr Aufmerksamkeit – in Deutschland, aber auch international. Wir beobachten das entspannt und werden sehen, wie es ausgeht.
Was tun Sie, um es zu schaffen? Das neue Aktienrückkaufprogramm dürfte nicht zufällig Mitte Juli gestartet sein.
So viel hilft das gar nicht, da die Berechnungsmethodik für die Dax-Mitgliedschaft ja stark auf den Streubesitz abstellt. Ein Aktienrückkaufprogramm hat eher die Zielrichtung, den Unternehmenserfolg ein Stück weit mit den Investoren zu teilen.
Im Dax ist es unüblich, grundsätzlich keine Dividende zu zahlen. Würde der Aufstieg etwas an der bisherigen Ausschüttungspolitik von Qiagen ändern?
Grundsätzlich haben wir eine sehr langfristige Strategie der Kapitalallokation. Die ist seit 2012 unverändert – eine Kombination aus Aktienrückkaufprogrammen, zielgerichteten Akquisitionen und wir hatten auch eine einmalige Dividendenzahlung 2016. Wir haben alle gängigen Varianten bei Qiagen schon gehabt.
Die Ausschüttung 2016 war aber keine normale Dividende, sondern eine Kapitalrückzahlung.
Das hing mit den besonderen steuerlichen Gegebenheiten zum damaligen Zeitpunkt zwischen den Niederlanden, wo wir unseren Hauptsitz haben, und den USA zusammen.
Heißt das, dass Sie sich eine Dividendenzahlung im Dax eher vorstellen könnten?
Grundsätzlich ist es für jedes Unternehmen, das mittelfristig nicht nur von starken, sondern auch von steigenden Cash-flows ausgeht, immer eine Option, Dividenden zu zahlen.
Qiagen gehört geschäftlich zu den Pandemiegewinnern. Sie liefern Reagenzien für Corona-Tests und haben selbst Schnelltests auf den Markt gebracht. Doch das Geschäft ist volatil, wie der im Juli zurückgenommene Ausblick angesichts des Impffortschritts zeigt. Welche Rolle werden coronabezogene Umsätze mittelfristig für Qiagen spielen?
Für uns hat die Pandemie noch tiefere Auswirkungen gehabt. Sie hat dazu geführt, dass Diagnostikfirmen einen ganz neuen Stellenwert bekommen haben. Man hat gemerkt, wie wertvoll eine schelle und akkurate Früherkennung von Infektionen ist. Das hat auf der einen Seite eine sehr starke Nachfrage nach Coronatests ausgelöst und auf der anderen Seite auch grundsätzlich die Nachfrage nach anderen Diagnostikprodukten mittelfristig verändert. Zum Beispiel ist die Anzahl der Laborinstrumente, die wir verkaufen, signifikant gestiegen. Wir haben im ersten Halbjahr 2021 mehr als 1000 Geräte platziert, das entsprach einem Umsatzplus von 21%. Und das sind ja keine Ein-Produkt-Lösungen, sondern Geräte, auf denen die verschiedensten Tests laufen. Gerade in den letzten Wochen und Monaten, als die Covid-Tests rückläufig waren, sind die Tests in anderen Bereichen wieder angestiegen – teilweise auf ein höheres Niveau als vor der Pandemie. Das zeigt, dass die Nachfrage nach präventiven Maßnahmen deutlich zugenommen hat.
Doch nochmal zu den Coronatests. Was erwarten Sie für das Geschäft?
Es ist ein sehr volatiles Geschäft. Wir haben ja gerade auch in den vergangenen drei Monaten sehr gegenläufige Entwicklungen gesehen. Zuerst gab es die durch den Impffortschritt bedingte Verlangsamung der Umsätze. In den letzten Wochen sehen wir wieder, dass die Nachfrage nach Tests insbesondere in den USA steigt. Dort werden mittlerweile wieder eine Million PCR-Coronatests pro Tag ausgeliefert, statt im Vergleich zu 300000 einen Monat zuvor. Das ist die momentane Situation. Wie das in sechs Monaten aussehen wird, ist schwer zu sagen und unter anderem abhängig davon, ob es neue gefährliche Mutationen geben wird. Grundsätzlich ist auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zahl der Impfdurchbrüche zunimmt. Deutschland hat jetzt mehr als 18000 Fälle.
Das volatile Covid-Geschäft generiert natürlich Unsicherheit. Investoren mögen so etwas gar nicht. Wie gehen Sie damit um?
Wir teilen unser Geschäft in der Berichterstattung auf in Umsätze aus dem Covid-Geschäft und Umsätze aus unserem Kerngeschäft, so dass wir hier Transparenz schaffen. Hier war ja auch im zweiten Quartal zu sehen, dass unsere Coronatests zwar einen Rückgang verzeichneten, aber unser Non-Covid-Geschäft wechselkursbereinigt um 52% gewachsen ist. Wir sehen für die zweite Jahreshälfte, dass weltweit die Rückkehr zur Normalität angestrebt wird und damit auch Forschungstätigkeiten in vielen Bereichen wieder aufgenommen werden – gepaart mit einer deutlich stärkeren Sensibilisierung, was Diagnostik insgesamt angeht. Das stärkt unser Kerngeschäft und davon werden wir mittel- bis langfristig profitieren. Die Forschungsausgaben steigen an, sowohl in der Pharmaindustrie als auch von staatlicher Seite. Wann haben wir schon staatliche Forschungsbudgets gesehen, die fast zweistellig wachsen? In den USA soll es im kommenden Jahr um 14% wachsen. Das ist schon eine neue Dimension.
Was sind abseits des Corona-Spektrums die Entwicklungen mit dem höchsten Potenzial im Qiagen-Produktportfolio?
Wir haben fünf sehr gute Wachstumsbereiche identifiziert und versuchen, diese weiter voranzutreiben. Der Bereich, der derzeit am stärksten auf sich aufmerksam macht, ist unser Tuberkulosetest, der im Rahmen der Pandemie vorübergehend einen deutlichen Nachfrageeinbruch erlebt hat. Der wird in vielen Ländern standardmäßig durchgeführt, wenn es um Immigration geht oder das Schuljahr beginnt. Alles das war im vergangenen Jahr gebremst. Jetzt kommt das Geschäft aber sehr schnell zurück, und zwar auf einem Niveau, das über dem von 2019 liegt. Welchen Umsatzanteil hat der Tuberkulosetest bei Qiagen? Wir erwarten für dieses Jahr einen Umsatz von 255 Mill. Dollar. Im vergangenen Jahr waren es 190 Mill. Dollar, die Erlöse 2019 lagen bei 240 Mill. Dollar.
Wie sieht Ihre Test-Pipeline aus?
Wir setzen auf ein breites Portfolio von Testanwendungen auf unseren verschiedenen Plattformen. Wir haben schon vor der Pandemie einen Fokus auf drei neue Geräte gesetzt: unsere digitale PCR-Plattform Qiacuity, unsere Niedrigdurchsatzplattform Qiastat-Dx und unsere Hochdurchsatzplattform Neumodx. Die waren genau zu dem Zeitpunkt marktreif, als die Pandemie losging. Das haben wir natürlich nicht vorhersehen können, aber dadurch sind unsere ursprünglichen Erwartungen an die Nachfrage nach den Geräten erheblich übertroffen worden.
Sie haben dann auch die Produktion erweitert. Wie viel haben Sie investiert?
Wir haben in Deutschland, in den USA und in Großbritannien unsere Kapazitäten ausgebaut, insbesondere auch für unsere Non-Covid-Produkte. Das wird im Wesentlichen am Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Wir haben über 130 Mill. Dollar investiert. So viel wie nie zuvor.
Wie sieht Ihre Investitionsplanung für die F&E-Pipeline aus?
Wir haben unsere Forschungsaufwendungen in diesem Jahr im Vergleich zu 2020 deutlich erhöht. Das wird sich auf diesem Niveau auch 2022 fortsetzen, denn wir sehen eine Nachfrage nach vielen Produkten, die wir insbesondere in unsere Hochdurchsatzplattform integrieren wollen.
Die gescheiterte Übernahme durch Thermo Fisher vor einem Jahr ist keine Garantie für eine langfristige Unabhängigkeit von Qiagen. Wie stark ist das Interesse an dem Konzern von Seiten strategischer oder Finanzinvestoren derzeit?
Grundsätzlich ist die Life-Science-Branche eine Industrie, die konsolidiert – getrieben vom Wunsch der Kunden nach ganzheitlichen Lösungen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Wir haben schon bewiesen, dass wir uns in Übernahmesituationen damit auseinandersetzen. Qiagen wird aber auch in Zukunft eine aktive Rolle spielen und wertorientierte Akquisitionen selbst tätigen.
Forcieren Sie Ihre M&A-Anstrengungen jetzt wieder? Ihre Liquidität beträgt rund 1 Mrd. Dollar, Ihr Leverage ist niedrig. Qiagen war ja in jüngster Vergangenheit mehr mit organischem Wachstum beschäftigt.
Wir beobachten eigentlich kontinuierlich den Markt, sind aber auch sehr wählerisch. Wir sind ein sehr fokussiertes Unternehmen und wollen das bleiben. Es besteht aber die Möglichkeit, mit zusätzlichen Tests oder mit Bioinformatik-Angeboten unser Portfolio zu erweitern und daran haben wir großes Interesse.
Könnte in diesem Jahr noch ein Zukauf gelingen?
Wir sind zurzeit sehr aktiv.
Die Corporate Governance bei Qiagen steht in der Kritik. Ein niederländisches NGO hat Ihnen in einer Studie im vergangenen Herbst aggressive Steuervermeidungsstrategien mit Briefkastenfirmen in Luxemburg und Malta vorgeworfen. Im aktuellen Governance-Ranking von Union Investment sind Sie im MDax weit hinten gelandet. Anlass für Sie, etwas zu ändern?
Zu dem Steuerthema hatten wir damals bereits deutlich gemacht, dass wir unser Geschäft mit höchster Integrität betreiben und uns strikt an das geltende Steuerrecht halten. Das gilt selbstverständlich nach wie vor. Insofern gibt es da auch nichts Neues. Grundsätzlich haben Governance-Themen genauso wie Nachhaltigkeit und ESG insgesamt eine steigende Bedeutung. Dem stellen wir uns bei Qiagen.
Wie wird das in konkretes Handeln umgesetzt?
Indem wir uns intern als auch mit externen Experten konkrete Punkte ansehen und dann auch umsetzen. Wir sorgen regelmäßig für ein Update unserer Policies. Das ist der richtige Weg. Das Wichtigste ist Transparenz. Ich glaube, wir haben in den vergangenen 18 Monaten viel dazu beigetragen, dass Qiagen ein sehr transparentes Unternehmen geworden ist.
Woran machen Sie das fest?
Am Feedback unserer Aktionäre. Unsere Investoren schätzen es sehr, dass wir detailliert über die verschiedenen Umsatzanteile unserer Wachstumstreiber berichten in einer Tiefe, die nicht die Regel ist.
Das Interview führte