Wolken über dem Aktionärsparadies

Die 30 größten Schweizer Publikumsgesellschaften steigern ihre Dividendenzahlungen nur noch minimal

Wolken über dem Aktionärsparadies

Die Eigentümer der 30 größten Publikumsgesellschaften an der Schweizer Börse streichen in diesen Tagen und Wochen Dividenden von insgesamt fast 40 Mrd. sfr ein. Das sind rund 1,7 % mehr als im Vorjahr. Doch die Zunahme der jährlichen Ausschüttungen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verflacht. Von Daniel Zulauf, ZürichWährend die 30 vom Swiss Leader Index (SLI) repräsentierten Gesellschaften ihre Dividendenzahlung in den ersten Jahren nach der Finanzkrise zeitweise um durchschnittlich ca. 10 % erhöht hatten, fielen die Zuwachsraten zuletzt stets ähnlich bescheiden aus wie in diesem Frühjahr. Die Abflachung der Dividendenkurve hat einen einfachen Grund: Um höhere Ausschüttungen vornehmen zu können, müssten die Firmen deutlich mehr verdienen. Doch im Vergleich zu 2012 musste jedes dritte der 30 beobachteten Unternehmen einen Gewinnrückgang hinnehmen. Allein die drei Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis erlitten im Sechsjahresvergleich Gewinneinbußen von insgesamt mehr als 4 Mrd. sfr. In der vorliegenden Auswertung erreicht die sogenannte Ausschüttungsquote mit 98 % einen absoluten Rekordwert. Im Jahr 2010 hatten die Firmen im Mittel lediglich 45 % ihrer Gewinne an die Aktionäre abgeführt. Seither ist die Quote stetig gestiegen. Wie meistens ist freilich auch die aktuelle Statistik nicht ganz frei von verzerrenden Effekten. So lässt die amerikanische Steuerreform insbesondere die Ergebnisse der beiden Großbanken UBS und Credit Suisse deutlich schlechter aussehen, als sie es in Tat und Wahrheit sind. Die Wertberichtigungen auf latente Steuerguthaben aus früheren Verlustjahren sind durch die Steuererleichterung weniger wert geworden und mussten deshalb zulasten der Erfolgsrechnung, aber nicht zulasten des Eigenkapitals teilweise abgeschrieben werden. Dieser Trump-Effekt drückt die Gewinne der Großbanken um mehr als 5 Mrd. sfr, schränkt ihre Dividendenfähigkeit aber nicht ein, weil er ohne Wirkung auf das Eigenkapital bleibt. Auch der Zementkonzern LafargeHolcim und der Backwarenhersteller Aryzta verbuchten hohe Verluste von 1,7 Mrd. bzw. fast 1 Mrd. sfr, die einer außerordentlichen Wertberichtigung von Vermögenswerten geschuldet sind. Umgekehrt haben Firmen wie der Chemie- und Pharmahersteller Lonza, der Versicherer Swiss Life oder der Bauchemieproduzent Sika wie auch die Zürcher Vermögensverwaltungsbank Julius Bär ihren Gewinn seit 2012 vervielfacht bzw. mehr als verdoppelt. Obschon also die Gewinne der 30 Unternehmen zwischen 2012 und 2017 um rund 7,5 Mrd. sfr abgenommen haben, hat sich die Summe der ausbezahlten Dividenden um 7,3 Mrd. sfr erhöht. Allein Roche, Novartis und Nestlé erhöhten ihre Ausschüttungen um mehr als 2 Mrd. sfr. Auch die UBS lässt ihren Aktionären heuer 2 Mrd. sfr mehr zukommen als noch vor sechs Jahren. “Der Dividendensegen ist ein Phänomen, das wir seit der Finanzkrise in allen westlichen Volkswirtschaften beobachten”, sagt Anastassios Frangulidis, Investmentchef bei der Genfer Privatbank Pictet. “Die hohen Ausschüttungen zeugen von der fehlenden Bereitschaft der Unternehmen, ihre Gewinne zu reinvestieren.” Ein Grund dafür sei die mit der Krise gestiegene Unsicherheit sowohl aufseiten der Anleger als auch aufseiten der Manager. Tatsächlich sind die weltweiten Folgen der Krise bis heute nicht ganz ausgestanden, und in etlichen Märkten einschließlich Europas ist nach wie vor von einer Nachfrageschwäche die Rede. Familien sahnen abAus Sicht der Investoren erscheint die Präferenz für hohe Ausschüttungen durchaus rational. “Dividenden sind der sicherere und wertvollere Teil der Gesamtperformance einer Investition”, sagt Frangulidis. “Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Vermögensverwalter versucht, die Dividende im unmittelbaren Interesse seiner Kunden zu maximieren.” Ökonomisch setzt Frangulidis aber “ein paar Fragezeichen” hinter den Dividendenrausch. “Wenn die Investitionen auf den Kapitalstock eines Unternehmens dauerhaft zurückgefahren werden, sinkt längerfristig auch die Rendite”, erklärt der Ökonom. Das wiederum kann kaum im Interesse der Aktionäre sein. Zu diesen zählen auch in den Schweizer Publikumsgesellschaften immer noch zahlreiche Familien, die in den Gesellschaften ihrer Vorväter ein mehr oder weniger großes Gewicht als Eigentümer ausüben. Rund ein Dutzend Familien oder Privatpersonen streichen in den 30 SLI-Firmen Jahr für Jahr mehr als 5 Mrd. sfr oder fast 15 % aller Dividenden ein. Zwei Drittel davon gehen auf die Konten der Familien Hoffmann und Oeri, die Erben der Roche-Gründer. Aber auch die Familien Sandoz und Landolt sind mit ihrem inzwischen nur noch kleinen Novartis-Anteil weiterhin Großverdiener in Sachen Dividenden. Nebst diesen alten Industriellenfamilien, zu denen auch die schwedischen Wallenbergs (ABB) oder die Zentralschweizer Schindler-Bonnard-Dynastie (Schindler) gezählt werden können, ist auch ausländisches Familiengeld prominent in Schweizer Großfirmen vertreten. Besonders auffallend ist die Position des Vermögensverwalters BlackRock, der stellvertretend für seine Fondsinvestoren aus der ganzen Welt 1,3 Mrd. sfr Dividenden aus den 30 SLI-Firmen bezieht. Das Erfolgsmodell von BlackRock sind sogenannte passive Anlagen, bei denen nicht die Selektion einzelner Aktien, sondern vielmehr die Auswahl ganzer Märkte im Vordergrund steht. Erst im vergangenen Jahr ließ BlackRock-Chef Larry Fink die Chefs der größten Unternehmen in einem Brief wissen, dass er die ihm anvertrauten Stimmrechte künftig stärker an den Generalversammlungen zu nutzen gedenkt. Was das bedeutet, wird man erst noch erfahren.