LEITARTIKEL

Zurück auf Los

Die Investmentgesellschaft Pimco wagte dieser Tage eine riskante Wette. Die nächste Rally an den Aktienmärkten werde einen Höhenflug der Papiere aus dem Reise- und Freizeitsektor sehen, sind sich die Experten der Allianz-Tochter sicher. Denn eine...

Zurück auf Los

Die Investmentgesellschaft Pimco wagte dieser Tage eine riskante Wette. Die nächste Rally an den Aktienmärkten werde einen Höhenflug der Papiere aus dem Reise- und Freizeitsektor sehen, sind sich die Experten der Allianz-Tochter sicher. Denn eine wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie werde schnell dazu führen, dass Menschen wieder viel reisen.Dieses Szenario legt im Umkehrschluss nahe, dass derzeit nicht gereist wird, weil die Wirtschaft darniederliegt. Das ist aber nicht der Fall. Es wird vielmehr kaum gereist, weil es an Reisezielen mangelt. Manche Regionen, wie etwa die USA, sind nahezu komplett abgeriegelt, in anderen Ländern sorgen steigende Infektionszahlen und/oder drohende Quarantänemaßnahmen dafür, dass kaum noch jemand dorthin will. Viele schreckt auch die Vorstellung ab, in ein enges Flugzeug oder ein volles Kreuzfahrtschiff eingesperrt zu sein, wo das Abstandhalten schwerfällt. Die Politik hat zudem einiges getan, um auch das letzte bisschen Reiselust abzuwürgen. Mit ihren Reisewarnungen und der Einführung von Quarantäne- statt Testpflicht hat sie das touristische Geschäft erneut nahezu zum Erliegen gebracht. Letzten Zahlen des Airline-Verbandes IATA zufolge ist das Passagieraufkommen alleine im Juli im Vergleich zum Vorjahr um fast 80 % zurückgegangen.Der Reise- und Luftfahrtsektor wird sich erst wieder erholen, wenn ein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden ist. Denn erst dann fallen Reisebeschränkungen und die Unternehmen können ein Angebot vorlegen, das dem von vor der Krise nahekommt. Bis dahin können allerdings noch viele Monate ins Land gehen, Monate, in denen die Unternehmen kaum Einnahmen haben, aber weiter Geld verbrennen. Lufthansa und Tui wurden Milliarden an Staatshilfe bewilligt, um sie durch die Krise zu bringen, viele kleine Reiseanbieter sind dagegen bereits vom Markt verschwunden. Alleine die Luftfahrtindustrie hat in den vergangenen sechs Monaten weltweit 350 000 Arbeitsplätze abgebaut, laut IATA könnte diese Zahl demnächst auf 500 000 steigen. Zahlreiche Firmen werden noch aufgeben müssen und selbst bei den Großen wie Lufthansa ist noch nicht ausgemacht, ob und wie sie die Krise überleben werden.Allerdings bergen diese tiefen Verwerfungen durchaus auch Chancen. Schon im Frühjahr hatte Lufthansa-Chef Carsten Spohr an die Politik appelliert, man müsse sich nun Gedanken machen, wie die Luftfahrtbranche der Zukunft in Europa und in Deutschland aussehen soll. Jetzt, da die Unternehmen quasi auf Los zurückkatapultiert wurden, ist es für solche Überlegungen allerhöchste Zeit. Ein Beispiel: die Branche, die vor der Coronakrise wegen der CO2-Emissionen in Verruf geraten war, braucht dringend Fortschritte bei alternativen Kraftstoffen. Noch stehen diese in zu geringem Umfang zur Verfügung, was auch mit der äußerst spärlichen staatlichen Förderung in diesem Bereich zu tun hat. Auch weitere Fortschritte in der Flugzeugtechnologie könnten die Branche in Sachen Umweltschutz voranbringen, hier kann der europäische Flugzeugbauer Airbus Akzente setzen, zumal Konkurrent Boeing schon vor der Coronakrise weitgehend im Chaos versunken war.Zu den krisenbedingten Aufräumarbeiten muss aber auch gehören, sich von manchen Unternehmen zu verabschieden. Denn wer schon vor der Corona-Pandemie über Jahre in der Verlustzone feststeckte – wie etwa Alitalia oder Norwegian -, dessen Siechtum sollte nicht mit Hilfe des Staates verlängert werden. Auch das künstliche Erzeugen von Nachfrage, indem Flughafengebühren gegen null gedrückt und so Billigtickets möglich gemacht werden, sollte allein schon aus Umweltschutzgründen der Vergangenheit angehören. Zumal diese vor allem an deutschen Regionalflughäfen gängige Praxis am Ende vom Steuerzahler alimentiert werden muss, sind die Airports doch größtenteils in staatlichen Händen.——Von Lisa SchmelzerWird in der Luftfahrt- und Reisebranche nun alle Energie darauf verwendet, um nach der Krise so dazustehen wie vor der Krise, werden Chancen vertan.——