Zwangspause für die Sportartikelindustrie
Von Joachim Herr, MünchenDer Plan, die Fußball-Bundesliga in Stadien ohne Zuschauer fortzusetzen, erwies sich rasch als Irrtum. Das Coronavirus stoppt weder vor dem Spielfeldrand noch vor durchtrainierten Sportlern. Als Erster wurde ein Profi des Tabellenletzten Paderborn positiv getestet, am Dienstag folgte ein Kicker von Hertha BSC. Die Zahl der Infizierten steigt auch im Profisport laufend. Überall ruhen die Bälle: etwa im Basketball oder Handball. Im alpinen und nordischen Skisport wurde die Saison vorzeitig beendet, die neue Formel-1-Rennserie erst gar nicht begonnen.Zwar soll die laufende Spielzeit der Fußball-Bundesliga nicht ab-, sondern nur unterbrochen werden, wie die Deutsche Fußball Liga am Montag auf ihrer Mitgliederversammlung entschied. Doch wie derzeit so vieles ist eine Fortsetzung ungewiss. Vorerst wird bis 2. April nicht gekickt. Wie es weitergeht, soll Ende März beschlossen werden.Der Stillstand im Sport trifft nicht nur Vereine, denen Einnahmen aus Fernsehrechten, Werbung und Sponsoring sowie aus dem Verkauf von Eintrittskarten entgehen. Auch TV- und Streaming-Anbieter kommen in die Bredouille (vgl. BZ vom 17. März). Den Sportartikelkonzernen fehlt als Ausrüster der Vereine ein wichtiges Schaufenster. Die drei Streifen von Adidas auf Trikots des FC Bayern München oder von Real Madrid, der Swoosh von Nike auf den Leibchen des FC Barcelona oder der Puma auf der Spielerkluft von Borussia Dortmund sind vorerst nicht mehr in Livespielen zu sehen. Effekt von Olympia marginalUnd das größte Sportereignis auf der Welt steht auf der Kippe: die Olympischen Sommerspiele. Die für den hiesigen Kontinent bedeutsame Fußball-Europameisterschaft verschob der zuständige Verband Uefa am Dienstag um ein Jahr. Adidas zeigt dafür Verständnis. Allerdings hält sich die Bedeutung dieser Großveranstaltungen für die Sportartikelbranche in Grenzen. Sollten beide 2020 ausfallen, würde Adidas 50 Mill. bis 70 Mill. Euro weniger Umsatz machen, sagt der Vorstandsvorsitzende Kasper Rorsted. “Das ist marginal.” Er setzt die Zahlen in Relation zum Konzernerlös von 23,6 Mrd. Euro im vergangenen Jahr.Den Beginn von Olympia in Tokio plant das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit dem deutschen Präsidenten Thomas Bach nach wie vor für den 24. Juli. Derzeit seien drastische Entscheidungen nicht erforderlich, teilte das IOC am Dienstag mit. Es seien noch mehr als vier Monate Zeit.Einen Verzicht auf die große Bühne in diesem Jahr könnten Adidas, Nike und Co. wohl verschmerzen. Von Olympia und EM habe das Fußballturnier für Adidas die größere kommerzielle Bedeutung, berichtet Rorsted. Doch schon vor zwei Jahren, als die Weltmeisterschaft in Russland stattfand, hatte Rorsted den Rang solcher Wettkämpfe relativiert: “Die Zeit ist vorbei, in der ein einzelnes Ereignis großen Einfluss hat.” Die Analysten von Independent Research erkennen in der Absageflut großer Veranstaltungen allerdings schon ein Risiko für die Sportartikelbranche.Ereignisse wie die Olympischen Spiele und eine Fußball-WM oder -EM schärfen das Profil der Marken. Doch längst sind nicht nur Vorzeigesportler begehrte Werbebotschafter, sondern auch Stars aus der Musik- und Schauspielszene, etwa Beyoncé und Kanye West für Adidas, Rihanna und Selena Gomez für Puma. Aktuell ist vielen Kunden anderes allerdings wichtiger, als sich von Fotos und Videos auf Instagram zum Kauf neuer Sportschuhe für den Alltag oder zum Laufen animieren zu lassen. “Die Leute kaufen nicht Laufschuhe, wenn sie zwei Wochen in der Wohnung sitzen”, sagt Adidas-Chef Rorsted. Milch und Brot seien wichtiger.Zuerst traf die Coronakrise das Geschäft in China, das für gut ein Fünftel des Konzernumsatzes steht. Dort rechnet Adidas etwa mit einer Halbierung des Erlöses im aktuellen Quartal. Das wären 800 Mill. bis 1 Mrd. Euro weniger. Die Analysten der Deutschen Bank nehmen an, dass eine Marktschwäche in Nordamerika und Europa folgt. In beiden Regionen erwarten sie einen Umsatzrückgang von jeweils 15 % im zweiten Quartal. Allerdings sehen sie auch das Risiko, dass die Verkäufe dort wie in Asien-Pazifik um 50 % fallen. Adidas schließt nun bis Ende März alle eigenen Geschäfte in Europa und Nordamerika.Branchenprimus Nike erlebt nach Einschätzung des Analysehauses Cowen gerade ein ganz schwaches Quartal (März bis Mai) mit einem Umsatzrückgang um 34 % und einem Verlust. Nicht nur weil in den nächsten Wochen das Geschäft in den Einkaufszentren ausfalle, sondern weil auch die US-Ligen im Football und Basketball ihre Saison unterbrochen hätten, so die Branchenbeobachter. “Weltweiter Trend bleibt”Adidas-Vorstandschef Rorsted spricht von einer unkontrollierbaren Kraft im Markt, bleibt aber über die Coronakrise hinaus zuversichtlich: “Die Grundlagen für die Sportartikelindustrie sind unverändert.” Da stimmen ihm die Analysten der LBBW zu: “Grundsätzlich sollte der weltweite Trend zu mehr sportlicher Betätigung, einem steigenden Gesundheitsbewusstsein und zu sportinspirierter Bekleidung (Athleisure) bestehen bleiben.” Rorsted glaubt auch, dass die Leidenschaft für den und der Reiz des Sports nicht verloren gehen. Die Sehnsucht der Fans wächst vermutlich sogar, je länger die Zwangspause dauert.