Zweckpessimisten optimistischer

Restrukturierer wollen vorinsolvenzliche Sanierung - Liquiditätshausse übertüncht operative Erfordernisse

Zweckpessimisten optimistischer

Angesichts einer dieses Jahr rekordverdächtig niedrigen Insolvenzzahl und der Liquiditätsschwemme leben Berater von angeschlagenen Unternehmen und Gläubigern zwar nicht schlecht vom anhaltenden “Grundrauschen” am Markt. Doch für 2017 erwarten sie verstärkt Restrukturierungsfälle.wb Frankfurt – Restrukturierungsberater sind von Natur aus Zweckpessimisten. Doch für ihren eigenen Berufsstand wittern sie Morgenluft, wie bei einer Gesprächsrunde im Hause der Anwaltssozietät Latham & Watkins in Frankfurt deutlich wurde. So geht Oliver Kehren, Managing Director von Morgan Stanley, davon aus, dass im nächsten Jahr verstärkt Themen hochpoppen, die schon jetzt spürbar seien. Etwa eine Handvoll größerer Restrukturierungen gebe es schon. Vielfach kämen Fälle, bei denen die Kreditauflagen erst vor wenigen Monaten neu verhandelt worden seien, erneut auf den Tisch, da sich die Ergebnisplanungen als zu optimistisch erwiesen.Zu einzelnen Unternehmen äußern sich die Berater nicht, doch liegen unter anderem Air Berlin oder die Reedereien Rickmers auf der Hand. Um Bartec, Weltmarktführer im Explosionsschutz in Bad Mergentheim aus dem Portfolio des Finanzinvestors Charterhouse, wird schon seit vielen Monaten gerungen.Nach Einschätzung des Wirtschaftsprüfers Tammo Andersch übertüncht die Liquiditätsschwemme die erforderlichen operativen Restrukturierungen. Solche Pläne verschwänden, wenn eine Entschuldung erreicht sei, vielfach in der Schublade. “Liquidität nimmt Druck raus”, bringt es Latham-Partner Frank Grell auf den Punkt. Doch seien die Berater mit dem “Grundrauschen” am Markt gut beschäftigt, sagte sein Kollege Jörn Kowalewski. Laut Jens Alsleben von der Beteiligungsgesellschaft H.I.G. Capital Europe gleicht der deutsche Markt derzeit einer “Insel der Glückseligkeit: Sieben Jahre gute Konjunktur und billiges Geld sorgten für wenige Opportunitäten, in Restrukturierungsfälle zu investieren. Andersch beobachtet “multikausale Einflussfaktoren” wie Länderrisiken, noch immer oftmals fehlende Nachfolgeregelungen und vor allem die Umbrüche in Richtung neuer Geschäftsmodelle durch Digitalisierung und neue Technologien wie 3-D-Druck, die ganze Geschäftsmodelle obsolet machten, aber auch neue Chancen eröffneten. Hinzu kämen regulatorische Einflüsse wie die Energiewende und das diskutierte Aus für Diesel und Benziner von 2030 an. Alles dies erschwere die Planbarkeit für Manager, Gesellschafter und Gläubiger. “Restrukturierung ist schwieriger geworden”, räumt Kowalewski ein.Die neue Rechtsordnung (ESUG) habe sich bewährt – Schutzschirm klingt laut Kehren nun mal mehr sexy als Insolvenz -, doch fehle es eindeutig an einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren. Dies trachteten Insolvenzverwalter zu verhindern, die ohnehin in Zeiten rekordverdächtig niedriger Pleitenzahlen weniger Aufträge bekämen. In der Politik sei die erforderliche Konzentration der Verfahren bei nur wenigen, dafür professionell in diesen Themen arbeitenden Gerichten nach dem Vorbild des High Court in England kaum durchsetzbar. Und die Umsetzung der absehbaren EU-Richtlinie könne sehr lange auf sich warten lassen, sagt Grell. Frühzeitige Restrukturierung sei geräuschloser, koste weniger, sei effektiver und rette mehr, betont Andersch.