Die Chemieindustrie kurbelt den Kreislauf an
Der Übergang zu erneuerbarer Energie und die Reduzierung von Treibhausgasen stehen im Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf der Agenda. Als wesentliches Umweltziel ist aber auch der Umbau zur Kreislaufwirtschaft anzusehen, wie ihn die Europäische Union ebenfalls in ihrer Taxonomie-Verordnung verankert, neben Themen wie dem Schutz der Biodiversität oder der Vermeidung von Umweltverschmutzung. Alle Komponenten sollen ihren Teil zu einem ganzheitlichen Konzept der Nachhaltigkeit beisteuern.
„Recycling ist ein wesentliches Element, um CO2 zu reduzieren“, fasst es Alexander Holst, Leiter des Bereichs Sustainability Strategy & Services der Unternehmensberatung Accenture, zusammen. Dass die Kreislaufwirtschaft in der Öffentlichkeit vermutlich weniger intensiv wahrgenommen wird als der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf grüne Energie, könnte aus Sicht von Holst darauf zurückzuführen sein, dass die klimaschonenden Effekte des Recycling schwieriger zu verstehen sind. „Der Ausbau von Windparks oder Solaranlagen ist zudem in der öffentlichen Wahrnehmung konkreter und für jeden unmittelbarer als die ökologischen Effekte des Recycling.“
Den Recycling-Markt hält der Berater derzeit dennoch für „sehr spannend“ – unter verschiedenen Aspekten. Viele Firmen seien darum bemüht, sich über die Wiederaufarbeitung neue Materialflüsse zu erschließen und Rohstoffe zu sichern. „Die Kreislaufwirtschaft ist nicht nur ein strategisches Instrument im Umweltschutz, sondern auch im Aufbau neuer Geschäftsmodelle und der Erschließung breiterer Kundengruppen“, erklärt Holst. Firmen fokussieren sich dann nicht mehr auf die Herstellung von Produkten, sondern erweiterten ihr Angebot. „Sie können Recycling zum Beispiel außerhalb des Kreises der bisherigen Abnehmer anbieten oder auch durch wiederverwertbare Materialien neue Kunden gewinnen.“
In unterschiedlicher Intensität
Dass etwas recycelt werden kann, heißt noch nicht, dass es auch geschieht. „Wenn in Länder verkauft wird, die keine Strukturen zur Wiederaufarbeitung haben, läuft die Recyclingfähigkeit des Produkts ins Leere“, erklärt der Berater. Die Transparenzanforderungen mit Blick auf die ESG-Debatte werden indes immer anspruchsvoller. „Wenn ein Unternehmen damit wirbt, seine Produkte seien zu 95% recyclingfähig, aber in der Praxis dann nur 10% der Materialien wiederverarbeitet werden, wird das die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.“ Es ist für den Verbraucher indes nicht leicht, sich über die Reichweite der Kreislaufwirtschaft ein Bild zu verschaffen, Recyclingquoten werden für ihn nicht unbedingt transparent.
Welche Branchen vorne dran sind, ist aus Sicht von Holst schwer festzulegen, denn die Intensität der Kreislaufwirtschaft fällt ganz unterschiedlich aus. Die Automobilindustrie weise aufgrund des Stahlrecycling hohe Recyclingquoten auf. Allerdings könne der aufgearbeitete Stahl meistens nicht im selben Produkt wiederverwertet werden, sondern er wird zum Beispiel für die Herstellung von T-Trägern im Bau verwendet. Das sieht bei der Wiederverwertung von Verpackungsmaterialien im Konsumgütersektor anders aus, hier kann das Produkt selbst recycelt werden. Hohe Quoten haben traditionell auch Papier und Glas. Auch hier können beide Materialien recycelt für die Herstellung des Ausgangsprodukts verwendet werden.
Auch die Chemieindustrie verstärkt die Bemühungen zur Wiederverwertung. „BASF strebt den Übergang zu einer kreislauforientierteren Wirtschaft an, indem wir verstärkt recycelte und erneuerbare Rohstoffe einsetzen, neue Materialkreisläufe gestalten und neue Geschäftsmodelle schaffen“, sagt Christoph Gahn, Vice President Circularity & Sustainable Raw Materials Petrochemicals im Konzern. Deshalb habe das Unternehmen ein Kreislaufwirtschaftsprogramm aufgelegt mit dem Ziel, bis zum Jahr 2030 den Umsatz mit Lösungen für die Kreislaufwirtschaft auf 17 Mrd. Euro zu verdoppeln – das wären fast 30% des 2020 ausgewiesenen Konzernumsatzes der BASF von 59 Mrd. Euro. Das sogenannte chemische Recycling bezeichnet der Manager als eine wichtige Säule dieses Programms. Solche Lösungen spielten die zentrale Rolle, wenn es darum gehe, recycelte anstelle fossiler Rohstoffe in der Produktion einsetzen zu können. „Das Ziel von BASF ist, von 2025 an jährlich rund 250000 Tonnen recycelte Rohstoffe zu verarbeiten.“
Als größtes und am weitesten fortgeschrittenes Vorhaben zum chemischen Recycling der BASF verweist Gahn auf das „ChemCycling“-Projekt, das er selbst leitet. „In diesem Projekt arbeiten wir mit Technologiepartnern zusammen, die mit dem thermochemischen Prozess der Pyrolyse Kunststoffabfälle in einen sekundären Rohstoff, das Pyrolyseöl, umwandeln.“ Dieses Öl könne der Konzern am Anfang der Wertschöpfungskette in das chemische Produktionsnetzwerk, den sogenannten Verbund, einspeisen und damit fossile Rohstoffe einsparen.
Zu den auf Pyrolyse spezialisierten Partnern der BASF zählen die norwegische Quantafuel, die saarländische Pyrum Innovations und die ungarische New Energy. Das „ChemCycling“-Projekt konzentriere sich derzeit auf den europäischen Markt. Weitere regionale Projekte seien in der Entwicklung. Da sich recycelte und fossile Rohstoffe im Produktionsnetzwerk vermischten, werde ein von unabhängigen Prüfern auditiertes Massenbilanzverfahren angewendet, um den Recyclinganteil bestimmten im Verbund hergestellten Produkten zuzuordnen, sagt Gahn. Diese Produkte zeigten exakt die gleichen Eigenschaften wie die aus fossilen Rohstoffen hergestellten Produkte. „Unsere Kunden können diese daher auf die gleiche Weise weiterverarbeiten wie konventionell hergestellte Produkte und in Anwendungen einsetzen, die hohe Ansprüche an zum Beispiel Sicherheit und Hygiene haben.“ Seit 2020 seien die ersten kommerziellen Produkte von Kunden auf dem Markt. Dazu zählen Pharmaboxen, Transportschutz- und Lebensmittelverpackungen.
Keine Anrechnung auf die Quoten
„Unser Ziel ist, mit dem chemischen Recycling eine Lösung für Kunststoffabfälle zu bieten, die beispielsweise aus technologischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mechanisch recycelt werden, sondern stattdessen zur Energiegewinnung verbrannt werden oder auf Deponien landen“, erklärt Gahn das Konzept der BASF. Dazu gehörten verunreinigte Kunststoffe, Abfälle aus verschiedenen Kunststoffarten und auch Altreifen. Komplementär angewendet, könnten mechanisches und chemisches Recycling aus Sicht der BASF gemeinsam die Recyclingraten erhöhen und zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe beitragen. In Deutschland sei das chemische Recycling indes nicht als sogenanntes „werkstoffliches“ Recycling im Sinne des Verpackungsgesetzes anerkannt. „Produkte auf Basis von Pyrolyseöl tragen damit derzeit nicht zur Erreichung der Recyclingziele für Kunststoffverpackungen bei“, bedauert Gahn. Das will die neue Ampel-Regierung nun aber ändern.
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt