Die grüne Einhornherde kommt ins Laufen
Berlin hat seit einigen Wochen ein weiteres „grünes“ Einhorn. Der japanische Technologieinvestor Softbank ist Mitte Oktober bei Enpal eingestiegen und hat 150 Mill. Euro in das Berliner Start-up investiert, das Solarzellen und Batterien an Verbraucher vermietet, die ihren Strombedarf ohne hohe Anfangsinvestitionen mit Solarenergie decken können. Die zugrunde gelegte Bewertung liegt etwas oberhalb von 1 Mrd. Dollar, womit Enpal in die Riege der Einhörner – privat finanzierte Nachwuchsfirmen mit milliardenschwerer Bewertung – aufgestiegen ist. Der Rivale Zolar, der ebenfalls in Berlin zu Hause ist, sicherte sich im November in einer 20 Mill. Euro schweren Venture-Runde frische Mittel, die von einem Special Purpose Vehicle der Berliner Volksbank gestellt werden, die sich im Frühjahr schon bei Enpal engagiert hatte. Beide Unternehmen gehören in die Kategorien „Green Tech“ oder „Clean Tech“, die bei Investoren hoch im Kurs stehen, vor allem wenn sie unter der Rubrik „Climate Tech“ einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten können.
Investitionen in Europa verachtfacht
Zum Ende des dritten Quartals 2021 hatten sogenannte Climate-Tech-Firmen nach Angaben des Informationsdienstes Dealroom europaweit schon knapp 8 Mrd. Dollar Risikokapital bei Investoren eingesammelt, während es im Jahr 2020 insgesamt weniger als 5 Mrd. Dollar waren. Seit 2016, dem ersten Jahr nach der Pariser Klimakonferenz, bei der sich die internationale Staatengemeinschaft Ende 2015 auf das Ziel verständigte, die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, haben sich die Investitionen in Climate-Tech-Start-ups aus Europa demnach mehr als verachtfacht. Europa hat damit in den vergangenen sechs Jahren laut Dealroom das schnellste Tempo hingelegt, während sich das Investitionsvolumen in den USA seit 2016 auf 17 Mrd. Dollar versiebenfacht hat und Asien mit etwas mehr als 4 Mrd. Dollar die Investitionen in Climate Tech in den vergangenen sechs Jahren nicht ganz verdoppeln konnte.
Die Beratungsgesellschaft PwC zählt in ihrem Bericht zum „State of Climate Tech“ weltweit bereits 78 klimafreundliche Einhörner, wobei mehr als die Hälfte auf die Sektoren Mobilität und Transport entfallen. Die Investitionen von Risikokapitalgebern in Climate Tech im zweiten Halbjahr 2020 und im ersten Halbjahr 2021 summieren sich demnach auf 87,5 Mrd. Dollar, wie PwC vorrechnet. Im Vergleich mit den 28,5 Mrd. Dollar in den zwölf Monaten zuvor haben sich die Investitionen mehr als verdreifacht. Allein im ersten Halbjahr des laufenden Turnus lagen die Investitionen in dem Sektor bei 60 Mrd. Dollar. „Climate Tech steht mittlerweile für 14 Cents von jedem Dollar Risikokapital“, heißt es in dem PwC-Bericht.
Auch in Deutschland ziehen grüne Start-ups Investorengelder nicht nur mit Solarpanels an. Die Berliner Infarm, die seit 2013 ökologisch erzeugte Kräuter und Gemüsesorten direkt in Restaurants oder in Supermärkten nach dem Prinzip „Vertical Farming“ anbaut und verkauft, hat kurz vor Ultimo 200 Mill. Dollar bei Investoren unter der Führung der Qatar Investment Authority eingesammelt. Die Bewertung liegt weit über 1 Mrd. Dollar, wie das Unternehmen mitteilte. Ein Börsengang über den Zusammenschluss mit einer Special Purpose Acquisition Company (Spac), der noch im Frühjahr im Gespräch gewesen sein soll, dürfte damit erst einmal vom Tisch sein. Zu Grover, die Laptops, Smartphones und Spielkonsolen im Abomodell vermietet und sich deshalb als Vertreter einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft versteht, gibt es bislang keine öffentlichen Angaben zur Bewertung. Die Berliner haben aber allein im zurückliegenden Turnus 1,3 Mrd. Dollar Fremdkapital bei Investoren eingesammelt. Der Elektroroller-Vermieter Tier Mobility dürfte als Anbieter von klimafreundlicher „Mikromobilität“ bei den meisten Investoren als Green-Tech-Unternehmen durchgehen, auch wenn die Berge von E-Rollern auf Bürgersteigen und Fahrradwegen vielen Teilnehmern am Stadtverkehr ein Dorn im Auge sind. Tier hat es mit einer 250 Mill. Dollar schweren Finanzierungsrunde unter Führung von Softbank 2020 auf eine Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar gebracht. Damit gilt es als erstes grünes Einhorn aus der Hauptstadt. Gründer Lawrence Leuschner hat sich im Rahmen der jüngsten Finanzierungsrunde übrigens bei Enpal engagiert. Die Berliner Digitalspeditionen Forto und Sennder, die den Frachtverkehr digitalisieren und effizienter machen, sind im vergangenen Jahr ebenfalls in die Riege der milliardenschweren Start-ups aufgestiegen. Beide sind keine Climate-Tech-Unternehmen im engen Sinn, ihre Software ermöglicht aber die Reduktion der Treibhausgasintensität im Frachtverkehr und trägt so zur Eindämmung der Klimakrise bei. PwC zählt in Berlin mittlerweile 58 Climate-Tech-Start-ups, die Risikokapital bei mehr als 200 Investoren eingesammelt haben. Drei von fünf dieser Unternehmen sind dem Bereich Mobilität und Transport zuzuordnen, 12% gehören in den Bereich Ernährung und Landwirtschaft, 11% entfallen auf Energie, und noch einmal 10% werden von PwC dem Thema bebaute Umwelt zugeordnet. Berlin schafft es bei PwC mittlerweile auf Platz 3 der wichtigsten Standorte für Climate-Tech-Deals hinter dem Silicon Valley und London, aber noch vor New York und Boston. „Von den 180 Climate-Tech-Deals im gesamten Investitionszeitraum von 2013 bis 2021 wurden 25 in den letzten 12 Monaten getätigt, was darauf hindeutet, dass sich das Tempo beschleunigt, mit durchschnittlich einem Deal alle zwei Wochen“, heißt es auf Nachfrage. Im Ranking der größten Climate-Tech-Finanzierungen in Europa von Dealroom schaffen es aus Deutschland allerdings nur die E-Lufttaxis von Volocopter aus Bruchsal mit der 200 Mill. Dollar schweren Series D aus dem März unter die Top 5. Auf Platz 1 lag nach neun Monaten das schwedische Batterie-Start-up Northvolt, das im Juni 2,8 Mrd. Dollar bei knapp zwei Dutzend Investoren eingesammelt hat.
Das Investoreninteresse an mehr oder weniger grünen bis hin zu klimaneutralen Geschäftsmodellen wächst, für das Erreichen der Klimaziele muss aber auch in Deutschland noch viel mehr Kapital mobilisiert werden als zuletzt. Das rechnen die Autoren einer Studie der „Tech for Net Zero Allianz“, die von der Deutschen Energie-Agentur und der von Bill Gates gestarteten Breakthrough Energy initiiert wurde, vor. Demnach liegt der Investitionsbedarf für Climate Tech allein in Deutschland bis 2030 bei rund 23 Mrd. Euro jährlich. Nur so können neue Technologien zur Eindämmung des Klimawandels entwickelt werden, bevor die internationalen Klimaziele außer Reichweite geraten, heißt es in der Studie. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) lassen sich die bis 2030 vereinbarten Klimaziele zwar weitgehend mit heute bekannten Technologien erreichen. Für das Ziel der Klimaneutralität, das Deutschland bereits 2045 erreichen will, müssen aber auch neue Technologien im großen Stil eingesetzt werden, die heute noch in der Pilotphase stecken. Sie müssten schneller als üblich zur Marktreife weiterentwickelt werden, fordert die Tech for Net Zero Allianz, der insgesamt 26 Climate-Tech-Start-ups, Investoren, Forschungseinrichtungen und Thinktanks angehören. Steht ausreichend Wachstumskapital zur Verfügung, lässt sich der Reifeprozess von Climate-Tech-Firmen von den üblichen 25 Jahren auf bis zu zehn Jahre senken, hoffen die Autoren.
Die Investoren haben zum Teil mehr als eine Dekade gebraucht, um wieder reif für Engagements bei Climate-Tech-Unternehmen zu sein. Nach Einschätzung von Marktbeobachtern mussten Risikokapitalgeber etwa die Hälfte der Investitionen in Höhe von rund 25 Mrd. Dollar in den Wind schreiben, die sie zwischen 2006 und 2011 in Clean-Tech-Firmen gesteckt hatten. „Clean Tech war eine noble Art, Geld zu verlieren“, erklärte der damalige Chief Investment Officer des größten US-Pensionsfonds, Joseph Dear, noch im Jahr 2013 dem „Wall Street Journal“. Mittlerweile macht Climate Tech bei arrivierten Venture-Capital-Firmen aus dem Silicon Valley wie Sequoia Capital ein Zehntel der neuen Engagements aus.
Einer der bislang größten europäischen Climate-Tech-Fonds ist im Herbst in Berlin an den Start gegangen. Die Initiatoren des World Fund um Christian Kroll, der auch die ökologische Online-Suchmaschine Ecosia gestartet hat, wollen 350 Mill. Euro für bis zu 40 Investments auf die Beine stellen. Portfolio-Unternehmen müssen nachweisen, dass sie das Potenzial haben, mit ihrer Technologie mindestens 100 Megatonnen Kohlendioxidäquivalent jährlich einzusparen. Das entspricht knapp einem Viertel der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. Der World Fund will mit seinen Investitionen bis 2040 die Reduktion von 2 Gigatonnen CO2-Äquivalenten oder 4% der weltweiten Emissionen erreichen. Andere Berliner Venture-Firmen wie Extantia Capital – die ehemalige Beyond Black –, 1.5° Ventures und Blue Impact Ventures investieren ebenfalls dediziert in Climate Tech.
Gutes Klima für Venture Capital
Insgesamt haben Climate-Tech-Fonds von Venture-Capital-Gesellschaften in Europa nach Angaben von Dealroom bis Ende des dritten Quartals fast 2 Mrd. Dollar eingesammelt, wobei der Impact-Fonds von Lightrock, die Private-Equity-Tochter der fürstlich liechtensteinischen LGT, mit 900 Mill. Dollar und der Urban Sustainability Technology Fund der neu gestarteten britischen Risikokapitalgesellschaft 2150 mit 300 Mill. Dollar allein 60% davon ausmachen. Blue Horizon Ventures aus Zürich steht mit ihrem 200 Mill. Dollar schweren Fonds für Investitionen in Lebensmitteltechnologien in der Rangliste von Dealroom ebenfalls unter den Top 3. Dahinter kommt Norrsken VC, ein Ableger der von Klarna-Mitgründer Niklas Adalberth gestarteten Norrsken Stiftung, die für ihren ersten Fonds knapp 140 Mill. Dollar eingesammelt hat und unter anderem auch bei Northvolt investiert ist. Nicht weit dahinter liegt der vom Hamburger Unternehmer-Spross Benjamin Otto initiierte Berliner Impact-Fonds Revent, der ein Volumen von 60 Mill. Euro anpeilt und unter anderem in Nachwuchsfirmen investieren will, die einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise liefern.
Von Stefan Paravicini, Berlin