Adäquate Orientierungshilfe aus der Wissenschaft
Eröffnet im Mai 2008, stand die Gründung des House of Finance als interdisziplinäres Zentrum für die finanzbezogene Spitzenforschung und Weiterbildung an der Goethe-Universität nicht im Kontext der im gleichen Jahr ausbrechenden globalen Finanzkrise. Doch zeigte diese eindrücklich, wie berechtigt der Ansatz war, am führenden Finanzstandort Deutschlands nicht nur den Ausbau der akademischen Infrastruktur im Bereich Finance voranzutreiben, sondern auch den Wissenstransfer zwischen Forschung einerseits und Finanzbranche, Politik und Administration andererseits zu fördern.
Angesichts der Komplexität der Finanzmärkte beziehungsweise ihrer Instrumente und der Schlüsselrolle leistungsfähiger Finanzinstitutionen sowie eines stabilen Geld- und Währungssystems für die Realwirtschaft bedarf es am Finanzplatz einer adäquaten Orientierungshilfe aus der Wissenschaft. Diese muss in der gesamten inhaltlichen Breite des Themenfelds auf Augenhöhe mit der internationalen Spitzenforschung stehen. Sie sollte zugleich in der Lage sein, eine Brücke in die Finanzpraxis beziehungsweise in die Gesellschaft zu schlagen. Und sie muss sowohl auf Förderung des Wissenschaftsnachwuchses als auch auf Weiterbildung der Akteure ausgerichtet sein.
Inhaltlich gilt dieses Erfordernis nicht nur für den Umgang mit globalen Finanzkrisen und damit verbundene Regulierungen, sondern für alle die Finanzwirtschaft herausfordernden Themen unserer Zeit. Dazu zählen insbesondere der Beitrag des Finanzsektors zur Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen, der Umgang mit dem demografischen Wandel, die Verbreitung von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) sowie die Auswirkungen von Disruptionen wie beispielsweise der Corona-Pandemie.
Das House of Finance entfaltet seit 2008 die ihm zugedachte Wirkung als interdisziplinärer Inkubator für die Finance-Forschung in enger Wechselwirkung mit den universitären Abteilungen „Finanzen“ sowie „Geld und Währung“ – beide sind im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften angesiedelt – sowie mit dem Bereich „Recht der Unternehmen und Finanzen“ der Rechtswissenschaften. Rund 40 Professorinnen und Professoren mit ca. 120 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind im House of Finance tätig. Das Haus integriert seit seiner Gründung bereits bestehende Strukturen wie das 1967 als Institut für Kapitalmarktforschung errichtete Center for Financial Studies (CFS), das seit 2003 bestehende E-Finance-Lab und das im November 2007 ins Leben gerufene, durch die Stiftung Geld und Währung ermöglichte Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS).
Die fruchtbare Zusammenarbeit im Haus bringt zudem neue Forschungsinstitutionen hervor, die ihrerseits das erfolgreiche, fachbereichsübergreifende und auf die Einwirkung auf Politik und Gesellschaft angelegte Konzept des House of Finance weitertragen. Zu nennen ist hier insbesondere das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE (Sustainable Architecture for Finance in Europe), das, nachdem es 2013 als Kooperation der Goethe-Universität und des CFS gegründet worden war, 2020 in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen wurde. Neben seiner Forschung zielt auch die im „Policy Center“ angesiedelte Politikberatung der Denkfabrik SAFE darauf, zu einem nachhaltigen und krisensicheren, zukunftsfähigen sowie dem Allgemeinwohl dienenden Finanzwesen beizutragen.
Bereits 2010 entstand das International Center for Insurance Regulation (ICIR). Die jüngste Gründung ist das 2018 etablierte Center for Advanced Studies on the Foundations of Law and Finance. All diese Einrichtungen zeigen das im Konzept des House of Finance angelegte Potenzial eines interdisziplinären Forschungsclusters, das über die vom Land bereitgestellten Fördermittel hinaus öffentliche Fördergelder erschließt und auch private Geldgeber überzeugt.
Die erfolgreiche Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Praxis im House of Finance basiert auf der beiderseitig verankerten Auffassung, dass die hohe Qualität der Forschung und des Wissenstransfers auch auf ihrer Unabhängigkeit fußt. Die durch die Zuwendungen führender Finanzinstitute ermöglichten Stiftungslehrstühle sowie die mit 12 Mill. Euro Stiftungskapital ausgestattete House of Finance-Stiftung zeigen eindrucksvoll die Bereitschaft der Akteure am Finanzplatz, dessen internationales Renommee durch die Förderung der in Frankfurt stattfindenden Spitzenforschung und -lehre im Bereich Finanzen zu stärken – zweifellos ein wesentlicher Faktor im internationalen Standortwettbewerb.
Der Finanzplatz profitiert nicht zuletzt im Hinblick auf den Führungskräftenachwuchs von den im House of Finance angesiedelten Graduiertenprogrammen. Hierzu zählen die berufsbegleitenden Master-of-Finance- und Executive-Weiterbildungsangebote der Goethe Business School (GBS) ebenso wie das Master- sowie das PhD-Programm der international akkreditierten GSEFM (Graduate School of Economics, Finance and Management), die leistungsstarke Studierende aus dem In- und Ausland anziehen. Stark international gefragt ist auch das Masterprogramm des Institute for Law and Finance (ILF), das eine Praxis und Theorie verbindende Ausbildung im Bereich internationales Recht und Finanzen bietet.
Auf der Forschungs- und Lehrebene sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des House of Finance mit den renommierten Wirtschaftsfakultäten weltweit vernetzt, einhergehend mit einer nachhaltigen Publikationstätigkeit in internationalen Spitzenfachzeitschriften. Für die internationale Anschlussfähigkeit der hiesigen Forschung und auch für die Fähigkeit des Standorts, internationale Spitzenforscherinnen und -forscher zu attrahieren, spielen die Datenkompetenz und entsprechende Ressourcen im House of Finance, insbesondere im Hinblick auf europäische Finanzdaten, eine zentrale Rolle. Das SAFE Data Center stellt nicht nur die einschlägigen Datenquellen zur Verfügung, sondern verfügt darüber hinaus über das Know-how, auf der Grundlage fortlaufend verfeinerter Verfahren beispielsweise im Bereich des Machine Learning eigene Datensätze zu erheben, die die Datenbasis der europäischen Finanzforschung stärken.
Finanzhistorischer Blickwinkel
Damit einher geht das Interesse an der Langfristperspektive im Sinne einer Einbeziehung des finanzhistorischen Blickwinkels sowie historischer Finanz- und Unternehmensdaten. In diesem Zusammenhang ermöglicht die „Stiftungsgastprofessur Financial History“, ein Beispiel für das fruchtbringende Engagement der Finanzwirtschaft im Rahmen von Gastprofessuren am House of Finance, einen inspirierenden Wissenstransfer. Amtierende Gastprofessorin 2021/2022 ist Catherine Schenk von der Oxford University. In diesem Rahmen, in dem das House of Finance mit dem Frankfurter Institut für Bank- und Finanzgeschichte kooperiert, wird eine in Deutschland einzigartige interdisziplinäre Plattform für den Dialog mit der finanzhistorischen Forschung geboten.
Die Forschungs- und Vermittlungsleistungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im House of Finance sind in der Politik gefragt, wie ihre Mitarbeit in den wichtigen Beratungsgremien von Ministerien sowie nationalen und internationalen Behörden dokumentiert (unter anderem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wissenschaftlicher Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Wissenschaftlicher Beirat des Bundesministeriums der Finanzen, Fachbeirat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, Consultative Working Group der European Securities and Markets Authority – ESMA).
Daneben erzielen die Akteure im House of Finance auch große öffentliche Reichweite, insbesondere über die – auch in Pandemiezeiten – zahlreichen Veranstaltungen. 2021 fanden – zusätzlich zum regulären Lehrangebot – rund 180 Seminare, Workshops, Konferenzen und Lectures statt, viele waren allgemein zugänglich.
Die das Fundament des House of Finance bildende Interdisziplinarität ist ein wegweisendes Konzept für die Zukunft. Je stärker die zukünftigen Herausforderungen im Finanzwesen in grundlegende Veränderungen eingebettet sind – und das trifft sowohl für die mit dem Klimawandel einhergehenden Anforderungen als auch für den technologischen sowie für den gesellschaftlichen Wandel zu –, desto wichtiger wird die Vernetzung der Finanzforschung auch über die Grenzen ihrer Kernfächer hinaus. Diese fachübergreifende Zusammenarbeit – nicht zuletzt zwischen Geistes- und Naturwissenschaften – besitzt im Rahmen der Zukunftsstrategie für Forschung und Lehre der Goethe-Universität Frankfurt einen hohen Stellenwert und stärkt die Position des House of Finance im weltweiten Forschungsdialog.
Das House of Finance mit seinen Institutionen und Wissenschaftlern wird auch vor diesem Hintergrund in Zukunft eine gefragte Adresse am Finanzplatz, in der Politikberatung und im internationalen akademischen Austausch bleiben.