Digitale Reise könnte bereits heute angestoßen werden
Mit dem Aufkommen der Blockchain-Technologie sind verschiedene digitale Vermögenswerte wie Kryptowährungen und insbesondere Bitcoin entstanden. Die hohe Volatilität dieser Instrumente hat Aufsichtsbehörden weltweit dazu veranlasst, Anleger vor den Risiken dieser Instrumente zu warnen. Infolgedessen sind weniger volatile Formen digitaler Währungen entstanden, wie zum Beispiel Stablecoins sowie digitale Zentralbankwährungen (CBDCs), die unter anderem von der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) unterstützt werden.
Die Digitalisierung und die Nutzung von Krypto-Vermögenswerten wie zum Beispiel Security-Token haben in den vergangenen Monaten einen Boom erlebt, nicht nur bei alternativen, sondern auch bei traditionellen Investmentfonds. Im September 2020 hat die Europäische Kommission mit dem Paket zur Digitalisierung des Finanzsektors (das Digitalpaket) ein ehrgeiziges Konzept zur Förderung verantwortungsvoller Innovationen zum Nutzen von Verbrauchern und Unternehmen vorgelegt.
Die Strategie des Digitalpakets zielt darauf ab, die Finanzdienstleistungen in Europa digitaler zu gestalten und verantwortungsvolle Innovationen und Wettbewerb zu fördern. Es soll sicherstellen, dass die EU-Vorschriften für Finanzdienstleistungen für das digitale Zeitalter gewappnet sind und auf Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain angewendet werden können.
Parallel dazu tragen mehrere Länder zur Entwicklung von digitalen Vermögenswerten und Security-Token-Lösungen bei. Möglich wird diese Entwicklung insbesondere durch einen Rechtsrahmen, der die digitalen Vermögenswerte anerkennt. Luxemburg ist dabei zweifellos einer der Hauptakteure in Europa, die sich aktiv an der Ausgestaltung und Entwicklung der zukünftigen Landschaft der digitalen Vermögenswerte beteiligen.
Luxemburgs Rechtsrahmen
Bereits 2019 hat Luxemburg seinen Rechtsrahmen angepasst und die Anwendung der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) für die Ausgabe von Wertpapieren über Security-Token anerkannt. Diese Token können als eigenständige Vermögenswerte betrachtet werden, die Rechte auf Eigentum oder die Dividendenzahlungen verleihen.
In Fortführung dieses Rechtsrahmens hat Luxemburg im Jahr 2020 ein neues Gesetz erlassen, das die ursprüngliche Definition des Emissionskontos angepasst hat und die Verwahrung von dematerialisierten Wertpapieren durch gesicherte Distributed-Ledger-Technologie ermöglicht. Das Gesetz erweitert die Rolle des Zentralverwahrers auf alle in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums zugelassenen Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen, sofern sie bestimmte spezifische organisatorische und technologische Kriterien erfüllen.
Um die Möglichkeiten der Distributed-Ledger-Technologie und digitalen Vermögenswerte voll auszuschöpfen, sollte die DLT nicht nur als eine neue Art von Datenbank oder Tabellenkalkulation betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich um eine revolutionäre Möglichkeit, die gesamte Wertschöpfungskette neu zu organisieren, von der Ausgabe von Wertpapieren über Security-Token bis zur Verwahrung und Vermögensverwaltung.
Dieses unkonventionelle Denken ist eindeutig eine der größten Herausforderungen, da man sich vom bisher gewohnten sequentiellen und zentralisierten Wertschöpfungskettenmodell löst und stattdessen ein „Distributed-Ledger“-Modell einführt, bei dem die Teilnehmer zur gleichen Zeit auf die gleichen Informationen zugreifen können. Bereits heute können Wertpapierfirmen und Emittenten Instrumente ausgeben und die DLT nutzen, um die Effizienz zu steigern, das Risikomanagement zu verbessern und um ihre Produkte an einen größeren Anlegerkreis zu vertreiben.
Sowohl das Digitalpaket als auch die Luxemburger Rechtsvorschriften über digitale Vermögenswerte sehen neue Emissions- und Vertriebsmodelle vor. Die DLT wird kurz- bis mittelfristig einige Geschäftsprozesse umgestalten, und das parallel zu fortbestehenden Geschäftsmodellen. Bestimmte Interessengruppen wie Wertpapierfirmen, Marktinfrastrukturbetreiber, Verwahrstellen und Vermögensverwalter werden eine aktive Rolle bei dieser Umgestaltung spielen. Diese werden von Fintech-Unternehmen unterstützt, die Tokenisierung und Digital-Enabler-Lösungen anbieten. Luxemburg beherbergt dabei einige der europäischen Top-50-Fintech-Unternehmen, die an großen Transformationsprojekten in der Finanzindustrie beteiligt sind.
Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche der globalen Wertpapier- und Zahlungsabwicklung, die sich sowohl auf Groß- als auch Kleinanleger auswirkt. Aus heutiger Sicht ist nicht damit zu rechnen, dass alle Wertpapiertransaktionen und -zahlungen kurzfristig auf eine digitale Form verlagert werden. Krypto-Vermögenswerte und die Digitalisierung eignen sich am besten für neue Marktfelder oder Vermögenswerte mit geringem Automatisierungsgrad, wie zum Beispiel „Smart Contracts“, die automatisch Dividenden- oder Zinszahlungen auslösen können. Die Anwendung dieser neuen Technologien könnte auch dazu beitragen, andere illiquide Vermögenswerte in liquidere umzuwandeln.
Aus Sicht der Stakeholder ergeben sich folgende Geschäftsmöglichkeiten dieses neuartigen DLT-Umfelds:
Private Kapitalmärkte und alternative Vermögensverwalter werden versuchen, ihren Kundenstamm auf klassische Investoren zu fokussieren. Hierzu werden neue DLT- und digitale Enabler-Tools entwickelt. Krypto-Vermögenswerte ermöglichen es, Sachwerte in mehrere Token-Vermögenswerte aufzuteilen, so dass die Marktteilnehmer eine größere Bandbreite von Investoren erreichen können. Im Vergleich zu früheren Initiativen werden digitale Vermögenswerte den gesamten Markt in ein einziges und relativ einfach zu verwaltendes Umfeld integrieren.
ESG und nachhaltige Anleihen („Green Bonds“) sind laut Machbarkeitsstudien mehrerer Investmentbanken im Vergleich zum digitalen Zentralbankgeld (CDBC) attraktiver. Gerade im Bereich der Anleiheemissionen besteht ein Vorteil der DLT, da Anleihen aufgrund des relativ großen Handelsvolumens tendenziell nicht sehr liquide sind. Angesichts der steigenden Beliebtheit von ESG-Anleihen (ESG steht für Environment Social Governance) oder Green Bonds können Unternehmen die DLT und den neuen regulatorischen Rahmen nutzen, um ein breiteres Spektrum von Investoren zu erreichen, Kosten zu reduzieren und damit ihre finanzielle Widerstandsfähigkeit zu verbessern sowie spezifische ESG-Anforderungen wie die Rückverfolgbarkeit und Smart Contracting zu erfüllen.
Vermögensverwalter werden sich auf diese neuen Arten von Finanzinstrumenten und Zahlungswegen einstellen müssen, indem sie in neue Technologien investieren sowie entsprechendes Personal einstellen und schulen. Im Gegenzug wird diese digitale Transformation neue Geschäftsmöglichkeiten mit sich bringen, wie die Verwahrung von Krypto-Vermögenswerten, die Bereitstellung von Depot-Wallets für private kryptografische Schlüssel zum Schutz der Integrität digitaler Vermögenswerte und die Verwaltung und Ausführung von „Smart Contracts“. Im Falle der Digitalisierung bestehender illiquider Instrumente werden Finanzdienstleister die Originalkopien der Vermögenswerte aufbewahren.
Marktinfrastrukturbetreiber haben die Möglichkeit, Geschäftsmodelle im Rahmen digitaler Plattformen zu entwerfen, umzusetzen und neu zu gestalten, die den Handel, die Ausgabe und die Verwahrung von Krypto-Vermögenswerten in einer einzigen DLT-Umgebung ermöglichen. Diese neuen Plattformen werden neben den derzeitigen angebotenen regulierten multilateralen Handelssystemen (MTF) und Zentralverwahrern („Central Securities Depository“ – CSD) bestehen. Unter dem neuen EU-Rahmen könnten auch neue Fintech-Unternehmen mit bestehenden Infrastrukturen zusammenarbeiten oder neue Vorschriften nutzen, um in den Markt einzutreten. Diese Fintechs werden in der Lage sein, ähnlichen Kontrollen standzuhalten wie bestehende etablierte Finanzinstitute.
Die digitale Reise, welche durch die zuvor beschriebenen Initiativen erläutert wurde, könnte bereits heute durch Kombination lokaler und EU-weiter Regelungen angestoßen werden. Dies würde den Markt solide auf die bevorstehenden Herausforderungen digitaler Vermögenswerte in der Europäischen Union (EU) vorbereiten. In Verbindung mit den bevorstehenden KI-Vorschriften begeben sich die EU-Märkte und ihre Akteure aller Art auf eine spannende Reise, die viele Möglichkeiten bietet.