Im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit und Rendite
70 Jahre Börsen-Zeitung – das heißt mittlerweile 70 Jahre journalistische Expertise auf dem Gebiet der tagesaktuellen Wirtschafts- und Finanzfragen. Ich sage Dankeschön für diese Stetigkeit und gratuliere sehr herzlich zum runden Geburtstag!
Das Jahr 2022 ist extrem bewegend und turbulent gestartet: Ein Krieg in Europa, explodierende Energiepreise, steigende Inflationsraten und die nach wie vor zu lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank bestimmten maßgeblich das von Unsicherheiten geprägte Bild. Eine Folge: Das mühevoll angesparte Vermögen der Sparerinnen und Sparer unterliegt einem schleichenden Werteverfall, und viele werden sich morgen weniger leisten können als heute.
Ein weniger schönes Bild
Für die Sparerinnen und Sparer zeichnet sich in der Tat ein eher weniger schönes Bild, denn klassische Anlageformen werfen bereits seit mehreren Jahren kaum Zinsen ab. Erhielten Sparbuchinhaberinnen und Sparbuchinhaber im Jahr 1975 noch über 4% und in den Jahren vor der Finanzkrise mit Höhepunkt im Herbst 2008 noch durchschnittlich über 2% Zinsen auf ihre Einlagen, waren es im Jahr 2020 im Schnitt nur noch etwa 0,1%. Mit Blick auf ihre Rendite führt heute kein Weg mehr am Wertpapiergeschäft beziehungsweise Aktienmarkt vorbei. Obwohl bei großen Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine natürlich auch die Kapitalmärkte reagieren, sehen wir langfristig eine kontinuierlich wertsteigernde Entwicklung.
So war das Jahr 2021 trotz Turbulenzen durch die Corona-Pandemie eines der besten Börsenjahre seit 1970. Diese Entwicklung schlug sich auch beim Fondsabsatz nieder – er stieg 2021 in Deutschland ebenfalls auf ein Rekordhoch. Um an der Wertentwicklung zu partizipieren, müssen die Sparerinnen und Sparer umdenken und ihr traditionell verankertes stark sicherheitsorientiertes Anlageverhalten neu justieren oder bestenfalls sogar abstreifen. Die Sparkassen stehen ihnen dabei beratend zur Seite und unterstützen bei einem bedarfsgerechten strukturierten Vermögensaufbau ganz im Interesse ihrer Kundinnen und Kunden.
Für die finanzielle Unabhängigkeit im Alter ist das Aufbauen von Vermögen, in jungen Jahren auch mit kleinen Beträgen, heute wichtiger denn je. Doch der Blick auf die maximale Rendite und das eigene Risikoprofil sind gewiss nicht mehr die alleinigen Kriterien bei der Anlageentscheidung vieler Sparerinnen und Sparer. Die Menschen erwarten von Unternehmen heute in jeglicher Hinsicht verantwortungsvolles Handeln, und diese Erwartung schlägt sich zunehmend auch in ihren Anlageentscheidungen nieder. Die granulare Berücksichtigung der Nachhaltigkeitspräferenzen, die ab August 2022 im Rahmen von Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) von Banken und Sparkassen umgesetzt werden muss, eröffnet für die Anlegerinnen und Anleger jedoch ein neues Spannungsfeld.
Um die erwünschten Schwerpunkte im Detail zu erfragen und im Ergebnis zu berücksichtigen, wird es in der Beratung zukünftig viel Erklärungsbedarf geben. Hier werden die Sparkassenberaterinnen und -berater einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten haben, damit ihre Kundinnen und Kunden zukünftig umfassend informiert sind, um Anlageentscheidungen treffen zu können.
Nachhaltigkeit im Blick
Der voranschreitende Klimawandel führt überall auf der Welt zu tiefgreifenden Veränderungen im Denken und Handeln der Menschen. Aus dem Bewusstsein heraus, auch nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu ermöglichen, haben sich neue Formen der gesellschaftlichen Teilhabe entwickelt. Neben dem dafür notwendigen Klima- und Umweltschutz steht dabei vor allem nachhaltiges Handeln mit all seinen Facetten im Fokus. Die bevorstehenden Aufgaben sind gewaltig: Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden – eine Mammutaufgabe mit Blick auf die Herausforderungen für die Gesellschaft und Wirtschaft. Und: Diese notwendige Transformation muss finanziert werden. Denn, zugängliche Finanzierungsmöglichkeiten bilden den Grundpfeiler für Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz.
Der Kreditwirtschaft kommt hier eine zentrale Rolle zu. Aufgrund des Krieges in der Ukraine sind wir mit Blick auf die vieldiskutierten taxonomischen Vorgaben mit einer veränderten Realität konfrontiert. Diese macht deutlich, dass Nachhaltigkeit mit all seinen Dimensionen auch auf das Thema Sicherheit einwirkt. Welche Finanzierungen sind zukünftig ESG-konform (ESG steht für Environment Social Governance), welche nicht? Das Spannungsverhältnis aus dieser Fragestellung, welches die Kreditwirtschaft ganz konkret betrifft, macht natürlich auch vor den Anlegerinnen und Anlegern nicht halt.
Fördern statt ausbremsen
Die Politik muss hier also den benötigten Rahmen setzen. Eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung der Rolle von Kreditinstituten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn, Sparkassen können ihren entscheidenden Beitrag zum Transformationsprozess nur leisten, wenn sie nicht durch eine Flut von regulatorischen Vorgaben von ihrem Kernauftrag abgehalten werden. Ein aktuelles Beispiel: Der Anfang des Jahres wieder eingeführte antizyklische Kapitalpuffer. Die damit einhergehenden zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen können dazu führen, dass dieses Geld nicht mehr für die notwendige Umgestaltung der Wirtschaft zur Verfügung steht. Genau das darf aber nicht passieren. Hier muss die Politik ansetzen und wie überall gilt – die Verhältnismäßigkeit entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen.
Sparkassen sind sich ihrer Verantwortung bewusst, denn sie sind schon immer für alle Menschen da gewesen. Durch ihre enge Verbindung zum Mittelstand befinden sie sich in einer Schlüsselposition. Ihr Kernauftrag ist und bleibt die Versorgung der Bevölkerung mit kreditwirtschaftlichen Leistungen. Das schließt ein, dass Sparkassen auch zukünftig den Wandel aller Unternehmen in ihrem Geschäftsgebiet hin zu mehr Nachhaltigkeit begleiten können. Davon profitieren die Wirtschaftskraft des Geschäftsgebietes einer Sparkasse und die Menschen in der Region gleichermaßen.
Der Markt muss liefern
Jeder Mensch kann einen Teil zum Transformationsprozess von Gesellschaft und Wirtschaft beitragen. Sich aktiv für eine nachhaltige Geldanlage zu entscheiden, ist eine Möglichkeit der Teilhabe. Das Spannungsfeld der Anlegerinnen und Anleger, welches heute aus dem eigenen Nachhaltigkeitsbewusstsein und der wirtschaftlichen Notwendigkeit von freier Vermögensbildung entstehen kann, ist jedoch komplex, und häufig haben wir es mit einem ambivalenten Kundenverhalten zu tun. Das heißt: Die Kundinnen und Kunden wollen nachhaltig investieren, entscheiden sich aber am Ende eher für die Rendite. Die Frage, ob Nachhaltigkeit oder Rendite im Fokus stehen sollte, lässt sich daher nicht pauschal beantworten, weil es das Verbraucherinnen- und Verbraucherverhalten oft noch gar nicht hergibt.
Die Aufgabe der Sparkassen wird es sein, aufzuzeigen, dass sich eine nachhaltige Geldanlage und eine gute Rendite nicht ausschließen. Der Markt wird hier liefern müssen.