Standards setzen

Nachhaltigkeit – Auftrag für die nächsten Jahrzehnte

Nachhaltigkeit wird uns wohl auch in den kommenden Jahrzehnten begleiten. Umso wichtiger ist es für den Finanzplatz, das Thema wachsam zu begleiten. Nicht zuletzt, da Frankfurt Zentrum für globale Nachhaltigkeitsstandards wird.

Nachhaltigkeit – Auftrag für die nächsten Jahrzehnte

Ratternde Fernschreiber, wild gestikulierende Börsenhändler, Präsenzhandel an acht Handelsplätzen quer durch die Republik. Wie schnell eine Order ausgeführt wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie schnell ein Händler von seiner Kabine bis zur Maklerschranke eilt. Wir schreiben das Jahr 1952: das Geburtsjahr der Börsen-Zeitung.

Schon vor 70 Jahren beschäftigten sich Banker und Börsianer mit Themen, die in der Börsen-Zeitung publiziert wurden und weit über den Tag hinausreichten: Wie lange wird das „Wirtschaftswunder“ anhalten? Welchen Beitrag können die Kapitalmärkte zum wirtschaftlichen Wohlstand leisten? Die heute führende Position Deutschlands in der Welt belegt, dass damals viele Weichen richtig gestellt wurden.

Alles für positives Fazit tun

Ein Chronist, der in 70 Jahren – im Jahr 2092 – Rückschau auf 2022 halten wird, wird feststellen, dass sich dank der Digitalisierung der Handel mit Wertpapieren und Devisen rund um die Uhr und rund um den Globus in Millisekunden vollzieht. Aber wird er auch berichten können, dass Banker und Börsianer entscheidende Impulse für mehr Nachhaltigkeit im Sinne von Um­weltthemen, Sozialem und guter Unternehmensführung (ESG) ge­setzt haben, um die Klimaziele zu erreichen? Wir sollten am Finanzplatz Frankfurt alles dafür tun, dass der Chronist in dieser fernen Zukunft ein positives Fazit ziehen kann.

Nachhaltigkeit ist als Zukunftsthema mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit verankert. Es ist auch das Zukunftsthema für die Finanz­indus­trie. Der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit verlangt nach einem Schulterschluss zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn Staat, private und öffentliche Banken sowie Kapitalmärkte gewaltige finanzielle Mittel für die notwendigen Investitionen aufbringen und zugleich Wertpapierbörsen – ebenso wie Research- und Marktinfrastrukturdienstleister – die notwendigen Analysen und Daten zur Verfügung stellen.

Trotz oder vielleicht sogar wegen einer Vielzahl an Initiativen gibt es gegenwärtig Umsetzungshindernisse. So nannten die Fondsgesellschaften in Deutschland in einer aktuellen BVI-Umfrage zu 84 % fehlende Standards bezüglich Nachhaltigkeitskriterien, zu 82 % die Datenverfügbarkeit und zu 75 % die Datenqualität als größte Hindernisse. Es fehlen internationale Normen, wie wir sie zum Beispiel bei elektrischen Geräten kennen, die wir weltweit – wenn auch manchmal nur mit einem Stromadapter – einsetzen können.

Wettstreit gewonnen

Auf diesem Feld der Normierung nimmt Frankfurt global eine Spitzenposition ein. Auf Initiative der Value Balancing Alliance gemeinsam mit Frankfurt Main Finance und der Wirtschaftsförderung Frankfurt hat sich der Finanzplatz um den Sitz des International Sustainability Standards Board (ISSB) beworben. Im Wettstreit mit anderen Finanzplätzen konnte sich Frankfurt dank großer Unterstützung durchsetzen. Bei der COP26 in Glasgow gab die IFRS-Stiftung Anfang November bekannt, dass in Frankfurt der Sitz des ISSB und das Büro des Vorstandes angesiedelt werden. Büros in Montreal, San Francisco, London und einem asiatischen Finanzzentrum werden zusätzliche Aufgaben wahrnehmen.

Projekt hat schon begonnen

Diese Entscheidung ist von überragender Bedeutung: Es handelt sich nämlich nicht mehr nur um eine Idee – das Projekt hat bereits begonnen. Mitte Dezember wurde bereits Emmanuel Faber zum Vorsitzenden des ISSB-Vorstandes berufen. Faber war fast 25 Jahre lang für einen französischen Nahrungsmittelkonzern tätig und zuletzt im Club of Rome und in der G7 Impact Task Force tätig. Ende 2022 sollen bereits 80 Mitarbeitende in Frankfurt tätig sein.

Die IFRS-Stiftung, in deren „Foundation Monitoring Board“ die IOSCO, die Europäische Kommission sowie Wertpapieraufsichtsbehörden der USA, Chinas, Südkoreas und Brasiliens vertreten sind, möchte mit dem ISSB einen unabhängigen, aber komplementären Standard zu den internationalen Bilanzierungsregeln des International Accounting Standards Board (IASB) etablieren. Mit der Entscheidung werden zugleich zwei Nachhaltigkeitsorganisationen in das ISSB integriert. Ebenso wurden bereits „Prototypen“ für Standards vorgestellt, die eine hochrangige „Technical Readiness Working Group“ erarbeitet hatte.

So wie die IFRS-Bilanzierungsregeln in 144 Ländern verpflichtend sind – in der Europäischen Union (EU) seit 2005 für kapitalmarktorientierte Unternehmen –, sollen die ISSB-Regeln weltweit eine umfassende Basis für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen gegenüber Investoren bilden. Für Erkki Liikanen, den Vorsitzenden der IFRS-Stiftung, können die Kapitalmärkte ihren wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz nur leisten, sofern Investoren über Informationen gleicher Genauigkeit, Qualität und internationaler Vergleichbarkeit wie bei der Bilanzierung ver­fügen.

Standards aktiv mitgestalten

Es wird sicher einiger Überzeugungsarbeit bedürfen, bevor die Texte zum globalen Standard werden. Kritische Stellungnahmen mit Überschriften wie „Die Schlacht um die Nachhaltigkeitsstandards“ sollten deshalb niemanden entmutigen. Die Entscheidung für Frankfurt sollte insbesondere die Europäische Union veranlassen, nicht auf Sonderlösungen zu setzen und sich nicht von den USA oder Asien abzukoppeln, sondern die globalen Standards aktiv mitzugestalten. Die Europäische Union sollte auf eine einseitige Vertiefung innereuropäischer Lösungen verzichten und, statt Details feinzusteuern, sinnvolle Rahmen setzen.

Das Umfeld für Frankfurt als globalem Zentrum für Nachhaltigkeit ist günstig: „Mainhattan“ konkurriert zwar mit Paris um die Position als führender Finanzplatz innerhalb der Europäischen Union. Als Sitz der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank und weiterer Aufsichtsbehörden, als Finanzzentrum der führenden Volkswirtschaft in Europa und als exzellenter Wissenschaftsstandort verfügt der hiesige Finanzplatz aber über eine Ausstrahlung weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Die Bundesregierung hat im Mai 2021 zudem die erste deutsche Strategie für nachhaltige Finanzierung beschlossen. Diese verfolgt das Ziel, Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu mobilisieren, und adressiert zugleich die zunehmenden Klimarisiken für das Finanz­system. Die Deutsche Bundesbank hat das Network for Greening the Financial System (NGFS) mitgegründet, ein Forum von mittlerweile über 120 Zentralbanken, Aufsichtsbehörden und internationalen Institutionen.

Nachhaltigkeit in Zahlen

Das Green and Sustainable Fi­nance Cluster Germany skaliert seit 2018 wiederum Initiativen der Deutschen Börse und des Hessischen Wirtschaftsministeriums, um konkrete Handlungsansätze für die Zukunftsfähigkeit nationaler und internationaler Finanzmärkte zu formulieren und umzusetzen. Das Cluster unterstützt privatwirtschaftliche Initiativen, wie die Net Zero Banking Alliance Germany.

Nachhaltigkeit ist zudem in Zahlen fassbar. Das Volumen emittierter Green Bonds in Deutschland erreicht immer neue Spitzenwerte. Von ersten zaghaften Ansätzen steigerte sich das Emissionsvolumen gemäß Daten von Bloomberg und der Deutschen Bundesbank auf rund 36 Mrd. Euro im Jahr 2020. Im September 2020 startete die Finanzagentur des Bundes mit grünen Bundesanleihen. Ende 2021 waren bereits 24 Mrd. Euro platziert.

KfW ganz vorn dabei

Die KfW ist schon seit 2014 aktiv. Mit einem Volumen von 47,1 Mrd. Euro bis Ende November 2021 ist sie die zweitgrößte Emittentin der Welt. Allein von 2020 auf 2021 verdoppelte die KfW ihre grünen Neuemissionen von 8,3 auf 16,2 Mrd. Euro, das sind rund 20 % ihrer gesamten Refinanzierung. In 13 verschiedenen Währungen notieren diese Anleihen.

Auch die Anleger engagieren sich: Ende März 2019 waren Gelder von rund 100 Mrd. Euro in Fonds angelegt, die die damaligen BVI-Wohlverhaltensregeln einhielten. Die neue EU-Offenlegungsverordnung löste seit März 2021 einen wahren Schub aus: Ende des dritten Quartals 2021 waren laut BVI nunmehr über 450 Mrd. Euro in nachhaltigen Publikums- und Spezialfonds investiert. Inzwischen ist mehr als jeder achte Euro, den deutsche Kunden in Fonds investieren, nach nachhaltigen Kriterien angelegt.

Verlässlich, seriös und präzise

Trotz aller öffentlichen Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit: Es bedarf der Medien im Allgemeinen und der Börsen-Zeitung im Besonderen, um das Thema wachsam zu begleiten. Die Börsen-Zeitung berichtet nicht nur über das tägliche Geschehen am Markt, sondern zeigt auch die langfristigen Trends ebenso wie die Schwachstellen auf. Niemand wäre besser geeignet, die Schlüsselrolle der Finanzwirtschaft bei der Transformation zur Nachhaltigkeit journalistisch zu begleiten. In der gewohnten Qualität: verlässlich, seriös, umfassend und präzise. Gäbe es die Börsen-Zeitung nicht bereits, müsste man sie spätestens jetzt erfinden. Sie wird für die Teilnehmer an den Finanzmärkten so unverzichtbar bleiben, wie sie es in den vergangenen 70 Jahren war.

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