Wissenschaft – starker Begleiter in einer Welt im Wandel
In Frankfurt am Main wurde vor mehr als 100 Jahren die erste deutsche Stiftungsuniversität gegründet. Ein Zufall? Kaum. Wilhelm Merton, der Gründer der Metallgesellschaft und einer der zentralen Wegbereiter der Goethe-Universität, war wie viele Frankfurter Unternehmer davon überzeugt, dass zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Wohlstand eine unzertrennliche Verbindung besteht. Aus einer vergleichbaren Motivation heraus, wenn auch pragmatischer dem Geist und der Notwendigkeit der Zeit folgend, hat sich in den Jahren des Wirtschaftswunders die Vorgängerin der Frankfurt School of Finance & Management gegründet. Damals wie heute ist es der Anspruch wissenschaftlicher Einrichtungen, Gesellschaft und Wirtschaft durch Erkenntnisgewinn weiterzuentwickeln und Impulse zu setzen.
In Hochschulen wird durch Forschung und Lehre die Grundlage für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, für Innovation und Zukunftsfähigkeit gelegt. Hier werden Talente, Fach- und Führungskräfte aus- und weitergebildet. Damit sind Hochschulen der zentrale Katalysator – oder neudeutsch Enabler –, der Staaten, Unternehmen und handelnden Personen das nötige Rüstzeug an die Hand gibt, in einer Welt im Wandel nicht nur zu bestehen, sondern Wettbewerbsvorteile zu erlangen und neue Wachstumspotenziale zu erschließen.
Und im Wandel stehen die Finanzbranche und der Finanzplatz Frankfurt heute allemal; der Anpassungsdruck ist hoch. Drei wesentliche Transformationsthemen sind in diesem Zusammenhang Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Regulierung. Diese Themen bestimmen über Erfolg oder Misserfolg von Geschäftsmodellen und Unternehmen.
Digitalisierung
Hand aufs Herz, welcher Vorstand am Finanzplatz Frankfurt hätte vor zehn Jahren gedacht, dass es Start-ups gelingen wird, die Branche aufzumischen und in kürzester Zeit Milliardenbewertungen zu erzielen? N26? Gab es vor zehn Jahren noch nicht. Heute liegt die Unternehmensbewertung des Fintechs bei rund 8 Mrd. Euro und damit in Schlagdistanz zum Dax40-Mitglied MTU Aero Engines.
Geschäftsmodelle, die voll auf Digitalisierung setzen, verändern den Markt tiefgreifend. Und die etablierten Banken müssen sich anpassen. So wundert es nicht, dass in der Börsen-Zeitung im Dezember 2021 die folgenden zwei spannenden Schlagzeilen zu lesen waren: „DekaBank mit Premiere bei Kryptowertpapieren“ und „Sparkassen erwägen Kryptohandel per App“.
Worauf will ich hinaus? Digitalisierung verändert fundamental, wie Unternehmen arbeiten, welche Geschäftsmodelle sie anbieten und wie sie sich organisieren. Wir werden Unternehmen in zehn Jahren anders finanzieren und lenken als heute. Zwei Technologien werden dabei eine zentrale Rolle spielen – künstliche Intelligenz (KI) und die Blockchain.
KI besitzt ein enormes Potenzial, die Automatisierung von Prozessen und Entscheidungen voranzutreiben. Und Distributed-Ledger-Technologien (DLT) wie die Blockchain können innovative Unternehmen des Finanzsektors fördern und auch den Euro als Zahlungsmittel stärken. Beispielsweise können aktuelle Zahlungsinfrastrukturen wie Sepa die Anforderungen neuartiger Geschäftsmodelle nicht optimal abbilden, da komplexe Datensynchronisationen zu Systembrüchen führen und Kontrahentenrisiken, die durch die zeitliche Asynchronität zwischen Leistung und Gegenleistung entstehen, bislang nicht gänzlich vermieden werden können. Eine blockchainbasierte Währung kann hier Abhilfe schaffen, wie eine aktuelle Studie des Frankfurt School Blockchain Center aufzeigt.
Nachhaltigkeit
Bei allen Vorteilen, die die Blockchain besitzt, wird zu Recht darüber diskutiert, wie ihr Energieverbrauch mit dem anderen Transformationsthema, mit Nachhaltigkeit, vereinbar ist. Denn selbstverständlich muss Digitalisierung im ESG-Sinne – also hinsichtlich ökologischer und sozialer Kriterien sowie aus Governance-Gesichtspunkten – nachhaltig sein. Hier spielt die Finanzbranche eine zentrale Rolle, denn sie besitzt eine Katalysatorfunktion, um grüne Technologien zu stärken. Green Finance ist über die Finanzierung erneuerbarer Energien in der Lage, auch die Blockchain im Umweltsinne, dem E in ESG, nachhaltig zu machen.
Und Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor im internationalen Finanzplatzgefüge. Der Finanzplatz Frankfurt zeigt bereits heute ein breites Engagement in diesem Bereich. Wenn die Unternehmen es konsequent weiterverfolgen, bieten sich ihnen gute Entwicklungsmöglichkeiten. Die Frankfurt School ist in Sachen Nachhaltigkeit – übrigens über alle drei Bereiche E, S und G hinweg – hervorragend aufgestellt mit einer in Deutschland einzigartigen Kombination aus Forschungsexzellenz, Beratung und engen Kontakten zu Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft. Sie fungiert als neutrale Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, aber auch als Moderator für den Austausch zwischen Unternehmen.
Ein wesentliches Feld ist dabei die EU-Taxonomie. Sie ist ein zentraler Bestandteil des European Green Deal, mit dem die Europäische Union (EU) bis 2050 klimaneutral werden will. Die EU-Taxonomieverordnung ist ein viele Hundert Seiten langes Werk, das genaue Kriterien für Unternehmen (fast) aller Branchen festlegt, wie nachhaltiges Wirtschaften im Sinne der EU aussieht. Womit das dritte Transformationsthema samt seinen Herausforderungen angesprochen ist, das für den Finanzplatz Frankfurt und die Finanzindustrie insgesamt von elementarer Bedeutung ist – Regulierung.
Regulierung
Nachdem die Finanzbranche mit Basel III und Co. am Ende einer Regulierungswelle angekommen ist, folgt nun eine neue Regulierungsrunde mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit. Dabei führen die Erfahrungen aus der Vergangenheit wie auch jetzt wieder aus der EU-Taxonomie zu der Frage, wie Regulierung ausgestaltet sein muss, damit sie ihre Ziele erfüllt. Denn die Janusköpfigkeit von Regulierung ist offensichtlich: Einerseits schränkt sie Unternehmen ein, andererseits kann sie Innovationsfähigkeit und kreative Zerstörung des privaten Unternehmertums fördern. Die zentrale Frage, von der sich Regulierung leiten lassen muss, ist, welche unternehmerischen und gesamtwirtschaftlichen Kosten und welcher Nutzen durch sie entstehen.
Dazu ist eine wissenschaftliche Analyse von Regulierungskonsequenzen vor der Einführung von Regulierungen wichtig. Und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, wie Good Regulation – in Anlehnung an Good Governance – aussehen kann. Dabei geht es im Kern darum, allgemeine Grundsätze herauszuarbeiten, die übergreifend für jede Form von Regulierung bezüglich Verfahren, Anspruch und fortlaufender Bewertung gelten.
Aus diesen Grundsätzen lassen sich dann konkrete Regulierungen für einzelne Anwendungsgebiete ableiten, jeweils modifiziert auf die spezifischen Bedürfnisse. Anpassungsprozesse benötigen Freiheiten, Regulierung muss daher Leitplanken bieten, ohne die Handlungsspielräume der Akteure unnötig einzuschränken.
Gezielt positionieren
Der Finanzstandort Frankfurt kann durch gezielte Positionierung und Weiterentwicklung in den genannten Transformationsthemen an Profil gewinnen und seine weltweite Wettbewerbsposition verbessern. Zentraler Bestandteil ist dabei eine auch im internationalen Ver-gleich hochklassige Forschungs- und Bildungslandschaft, die Unternehmen intellektuell und lösungsorientiert für den Wandel und den Veränderungsdruck rüstet.
Deutschland, Frankfurt und die Frankfurt School bieten sehr gute Voraussetzungen. Wenn wir sie gemeinsam nutzen und weiterentwickeln, tragen wir dazu bei, den Finanzplatz Frankfurt zu stärken. Genauso wie die Börsen-Zeitung den Finanzplatz seit 70 Jahren mit ihrer ausgewogenen Berichterstattung in einem nicht zu unterschätzenden Maße fördert. Wie der Wissenschaft geht es auch dem seriösen Journalismus um eine Entemotionalisierung und Versachlichung gesellschaftlich relevanter Zukunftsthemen in einer Welt im Wandel.