Allianz-Chef Bäte vermisst Strategie für Standort
mic München
Die Allianz fordert eine Art konzertierte Aktion, damit eine Strategie für den Standort Deutschland erarbeitet werden kann. „Wir müssen uns als Deutsche endlich mal zusammensetzen und über unser Geschäftsmodell nachdenken“, sagte Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte anlässlich der Feier des 70. Jubiläums der Börsen-Zeitung in München. Es gehe darum, wie das Land ohne günstige Energie wirtschaften könne. Auch aus Sicht eines Versicherers wie der Allianz sei in einer globalen Welt die Frage des Standorts wichtig, betonte er. Das Interessante sei: „Wir haben für diesen Standort keine Strategie.“
Bäte wies darauf hin, dass sich der US-Präsident in jedem Jahr mit der Frage beschäftige: Wie wird man die erfolgreichste Finanzdienstleistungsindustrie der Welt? Er habe Vergleichbares als Vorstandsvorsitzender der Allianz in den letzten Jahren – Bäte amtiert seit 2015 – versucht, doch bis vor kurzem habe in Berlin niemand darüber sprechen wollen. Mittlerweile gebe es sehr gute Diskussionsplattformen mit Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz: „Da kommen erstmals, seitdem ich denken und hören kann, die richtigen Themen auf den Tisch.“
Die Priorisierung finde allerdings noch nicht statt, wie man sie brauche, setzte Bäte hinzu: „Wir haben leider immer weniger Kompetenz in der Verwaltung.“ Man benötige mehr hochkompetente Beamte. Projekte nützten nichts, wenn niemand sie in die Tat umsetze.
Grundsätzlich zeigte sich Bäte optimistisch, dass Kooperation möglich sei. Deutschland sei eines der wenigen Länder, wo der Austausch zwischen Politik, Unternehmen und Verwaltung gelingen könne, denn diese wollten die Gesellschaft noch zusammenführen. Dies sei in den USA nicht mehr der Fall, sagte Bäte. Jene Abgeordneten und Senatoren, die dort am radikalsten tweeteten, hätten nicht nur die größten Follower-Zahlen, sondern auch die besten Wahlergebnisse: „Da muss man sich schon fragen, ist Demokratie wirklich das beste System, was es geben kann, wenn es solche Art von Methoden benutzt.“ Bäte plädierte dagegen für Ausgewogenheit und Fairness zur Stabilisierung von Gesellschaften (siehe Bericht auf dieser Seite).
Treiber Übernachfrage
Der Allianz-Chef warnte davor, einen schnellen Rückgang der hohen Inflation zu erwarten. Er verwies auf die 1970er Jahre, die eine Dekade mit Preissteigerungen von mehr als 5 bis 7% gebracht hätten. Heutzutage prophezeiten dagegen die meisten Ökonomen, dass die Inflation bis spätestens Ende nächsten Jahres von gut 8% wieder auf 2 bis 3% sinke, sagte Bäte. Er wies darauf hin, dass die Akteure in den Institutionen nie Inflation und ihre Auswirkungen erlebt hätten. Diese Unkenntnis dürfe man den Leuten gar nicht vorwerfen. Nach einer Pause fügte er hinzu: „Na ja, vielleicht doch.“
Der Allianz-Chef wandte sich dagegen, dass die angespannten Lieferketten als Erklärung für die Lage dienen: „Es ist einfach nicht wahr.“ Es sei zwar richtig, dass es Unterbrechungen gegeben habe. Außerdem existiere ein Angebotsschock bei Rohstoffen. Aber: „Der Hauptgrund für Lieferprobleme und für den Inflationsschock ist Übernachfrage.“
Die Verbraucherausgaben in den USA seien im Vergleich zur Zeit vor Covid um 30% gestiegen und lägen circa 20% über dem Trend, rechnete Bäte vor. Apple habe beispielsweise im Jahr 2021 rund 30% mehr iPhones verkauft als 2019.
Die Übernachfrage sei von nie dagewesenen fiskalischen und monetären Anreizen angeheizt worden, erklärte Bäte. Diejenigen, die dies getan hätten, läsen jetzt sehr gerne von Lieferkettenunterbrechungen: „Es gibt eine wunderbare Entschuldigung für die Tatsache, dass man nicht erklären muss, was man für einen Unsinn gemacht hat.“
Warum die Preise gerade nun steigen? Jahrelang seien die geldpolitischen Anreize vor allem den Wohlhabenden wie ihm zugute gekommen, deren Konsumbereitschaft gering sei, sagte Bäte: „Wenn man drei oder vier Anzüge im Schrank hat und ein paar Schuhe, dann ist irgendwann mal voll.“ Die Konjunkturschecks dagegen, die während der Pandemie verteilt worden seien, würden die Bürgerinnen und Bürger ausgeben.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe ökonomische Gründe, wie der Allianz-Chef betonte. Der Wert der Mineralien, die im Boden des Donbass lägen, sei immens. Das Regime von Wladimir Putin versorge im Wesentlichen 10000 Menschen in Russland mit besonderen Renditen aus der Förderung von Rohstoffen und deren Export. Die Bevölkerung sehe davon relativ wenig. Nun werde das Geschäftsmodell ausgedehnt. 90% der ukrainischen Rohstoffe lägen im Donbass. Der Wert entspreche ungefähr 20 Jahren Bruttosozialprodukt von Russland: „Deshalb sind die da und aus keinem anderen Grund.“
Das Scheitern der Politik des „Wandels durch Handel“ kann aus Sicht von Bäte nicht überschätzt werden: „Die wirtschaftlichen Folgen sind für uns verheerend.“ Die Konsumausgaben der ärmsten Haushalte würden im laufenden Jahr voraussichtlich um ein Drittel sinken. Europa werde ebenfalls getroffen. In der Vergangenheit habe Deutschland in Krisen über Zuwendungen oder Kredite sehr stabilisierend auf die EU eingewirkt: „Das wird nicht mehr so leicht möglich sein.“ Die Bundesschuldenverwaltung habe leider nicht intelligent über die Duration ihrer Schulden angesichts eines Zinsanstiegs nachgedacht. Dies beeinträchtige den nächsten Bundeshaushalt.
Förderung von Unternehmern
Bäte erwartet aber nicht das Ende der Globalisierung: „Denn wenn wir die Inflation zügeln wollen, brauchen wir Zugang zu ausländischen Arbeitskräften.“ Dabei werde man bei der Wahl der Handelspartner hoffentlich die Abhängigkeit von totalitären Regimen überprüfen.
Als wichtige Themen der Gesellschaft, an denen auch die Medien dranbleiben müssten, nannte Bäte: bezahlbare Wohnungen, bezahlbare Altersvorsorge und ein bezahlbares Gesundheitssystem. „All das läuft im Moment bei uns aus dem Ruder“, sagte er. Darüber hinaus brauche Deutschland mehr Förderung von Unternehmern. Es gebe zu wenig Menschen, die morgens aufständen und sagten, sie wollten Arbeitsplätze schaffen. Wenn Deutschland keine Unternehmer mehr habe, dann fehlten Arbeitsplätze, infolgedessen gebe es keine Gewinne mehr und man nehme weniger Steuern ein: „Dann können wir uns den ganzen Verein nicht mehr leisten.“