GASTBEITRAG

Anforderungen an Aufsichtsräte steigen

Börsen-Zeitung, 1.3.2017 Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) haben gemeinsam einen Leitlinienentwurf zur Eignung von Mitgliedern der Geschäftsleitung und des Aufsichtsorgans...

Anforderungen an Aufsichtsräte steigen

Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) haben gemeinsam einen Leitlinienentwurf zur Eignung von Mitgliedern der Geschäftsleitung und des Aufsichtsorgans in Kreditinstituten vorgelegt. Dieser führt vor allem im Bereich der Verwaltungs- und Aufsichtsräte zu einer deutlichen Erhöhung der Anforderungen an die persönliche Unabhängigkeit und fachliche Eignung der Organmitglieder. Vor dem Hintergrund der disruptiven Veränderungen im Bankenbereich ist dies überfällig; die im Entwurf ebenfalls vorgesehenen bürokratischen Besetzungs- und Beurteilungsverfahren sollten jedoch kritisch hinterfragt und angepasst werden. Ursache für BankenkriseDefizite in der Überwachung durch Aufsichts- und Verwaltungsräte gelten als eine der wesentlichen Ursachen für die Bankenkrise und zahlreiche Complianceverfehlungen. Die Stärkung der Unternehmensüberwachung in den Verwaltungs- und Aufsichtsorganen steht daher seit einigen Jahren im Fokus der (europäischen) Regulatoren. So wurden bereits im Rahmen des CRD-IV-Paketes die Anforderungen an die sogenannte Internal Governance von Kreditinstituten deutlich erhöht, indem etwa die Aufgaben von Verwaltungs- und Aufsichtsräten ausgeweitet, eine jährliche Evaluierung von Geschäftsleitung und Aufsichtsorgan eingeführt, die Ausschusstätigkeit gestärkt oder die zulässige Zahl von Aufsichtsratsmandaten begrenzt wurde.Am 28.10.2016 haben ESMA und EBA nun gemeinsam den Entwurf einer Leitlinie zur Eignung von Mitgliedern der Geschäftsleitung, des Verwaltungs- und Aufsichtsorgans sowie von Schlüsselfunktionsträgern vorgelegt. Der insgesamt 89-seitige Leitlinienentwurf beinhaltet umfangreiche Detailregelungen, die als Reaktion auf die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise eine kompetente und unabhängige Leitung und Überwachung der Institute gewährleisten sollen. Dabei ist es weniger der Umfang der Regelungen sondern vielmehr ihr Detaillierungsgrad, der über das bisherige Regulierungsniveau hinausgeht. Ziel der europäischen Regulatoren ist es, dass die Leitlinie nach einer Konsultationsphase bis Mitte 2017 durch die nationalen Gesetzgeber umgesetzt wird.In der Leitlinie werden fünf Dimensionen unterschieden, die insgesamt die Eignung einer Person und eines Gremiums ausmachen: zeitliche Verfügbarkeit; Höchstmandatszahl; Aufrichtigkeit, Integrität und Unvoreingenommenheit (“indepence of mind”); Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung; Diversität des Gremiums. Jede dieser Dimensionen wird in der Leitlinie detailliert beschrieben, so dass insgesamt ein umfangreicher Kriterien- und Anforderungskatalog vorliegt. Auch wenn die Deutsche Kreditwirtschaft, der Spitzenverband der deutschen Bankenverbände, das Ziel der Leitlinie grundsätzlich unterstützt, werden durch die Bankenverbände vor allem der hohe Umsetzungsaufwand (gerade für kleinere Institute) sowie die fehlende Berücksichtigung der Besonderheiten bei der Besetzung von Aufsichtsorganen öffentlicher Institute bemängelt.Die Kritik insbesondere an der Besetzung der Aufsichtsräte öffentlicher Unternehmen macht sich an zwei Aspekten fest: Zum einen wird seitens der Regulatoren politischen Interessenvertretern die notwendige persönliche Unabhängigkeit abgesprochen, um ihr Mandat eigenverantwortlich und mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit wahrnehmen zu können. Zum anderen werden die fachlichen Anforderungen durch die Leitlinie deutlich verschärft, so dass einige wenige Schulungstage nicht mehr ausreichen werden, um sich für ein Mandat fit zu machen. Die gerade im Sparkassenbereich übliche Besetzung der Verwaltungsräte mit Vertretern der Kommune und des Stadtrates würde so erschwert oder sogar gänzlich unmöglich gemacht. Doch die Kritik greift zu kurz. Mehrwert verstehenUm den eigentlichen Mehrwert der Leitlinie zu verstehen, muss der Blick abgewendet werden von den Ursachen der Bankenkrise hin zu den vor der Branche liegenden Herausforderungen:1. Die dauerhaften Niedrigzinsen bewirken eine nachhaltige Belastung der Ertragskraft, wodurch sowohl Anpassungen in den Kostenstrukturen als auch in den Geschäftsmodellen erforderlich werden.2. Die Digitalisierung verschärft diesen Druck, da Banken und ihre Produkte immer transparenter und austauschbarer werden und gleichzeitig ein immenser Investitionsdruck besteht.3. Der demografische Wandel entwertet bestehende Kundenbeziehungen und erhöht den Druck zu einer Digitalisierung von Produkten und Geschäftsmodellen.4. Die verschärften regulatorischen Anforderungen führen zu einer deutlichen Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen sowie zu erheblichen administrativen und damit Kostenbelastungen. Kurz: Jedes einzelne der knapp 2 000 Institute in Deutschland steht vor einem erheblichen Veränderungsprozess. Keine PatentrezepteFür die notwendigen Veränderungen gibt es keine einfachen Patentrezepte. Umso mehr sind die Leitungs- und Überwachungsorgane gefordert, um “ihre” Institute in den kommenden Jahren erfolgreich durch den Veränderungsprozess zu steuern – frei von Beeinflussungen einzelner Interessengruppen und begleitet von einem hohen Sachverstand der Aufsichtsorgane. Hier liegt der eigentliche Mehrwert der Leitlinie, da sie zu einer deutlichen Qualifikationsverbesserung in zahlreichen Gremien beitragen kann.Neben den inhaltlichen Anforderungen an die Eignung der Organmitglieder beinhaltet die Leitlinie detaillierte Regelungen zu den Besetzungs- und Beurteilungsprozessen und -verfahren. Hier scheint die Kritik der Bankenverbände angebracht zu sein, dass die administrativen Anforderungen teilweise zu weit gehen. Bei der Anwendung der Leitlinie sollte daher durch die Institute und die Aufsichtsbehörden das Proportionalitätsprinzip beachtet werden: Die Ausgestaltung der Governance-Regelungen soll konsistent sein mit dem Risikoprofil und dem Geschäftsmodell eines Instituts. Zudem soll unterschieden werden, ob es sich um eine Geschäftsleitungs- oder eine Aufsichtsfunktion handelt. Auch die Auswirkungen in den öffentlichen Instituten sollten bedacht werden. Die Lösung kann vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen jedoch nicht darin bestehen, diese ganz von der Leitlinie zu befreien. Stattdessen sollte eine (Mindest-)Quote unabhängiger Fachexperten eingeführt werden, die in öffentlichen Aufsichtsräten vorhanden sein müssen. Hierdurch könnte gewährleistet werden, dass zumindest eine angemessene Komplementärkompetenz im Gesamtgremium vorhanden ist.Unabhängig davon ist jedoch auch für die weiteren Aufsichtsratsmitglieder das Vorhandensein der erforderlichen Mindestkompetenzen zu gewährleisten. Denn eine funktionsfähige Überwachung setzt voraus, dass sich ein Aufsichtsrats- oder ein Verwaltungsratsmitglied ein eigenes Urteil bilden kann und gegebenenfalls kritisch nachfragt. Stärkere ÜberwachungVor dem Hintergrund der epochalen Veränderungen in der Finanzindustrie kann der vorliegende Leitlinienentwurf einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Überwachungskompetenz in Aufsichts- und Verwaltungsräten leisten. Bei den betroffenen Instituten besteht jedoch bereits heute häufig der Eindruck, von der Vielzahl der regulatorischen Vorgaben erdrückt zu werden. Dies liegt im Bereich der Internal Governance auch daran, dass bei der Umsetzung der Regelungen häufig deren formale Erfüllung im Vordergrund zu stehen scheint. Daher ist gerade in den Aufsichtsräten ein Umdenken erforderlich: Die Aufsichtsratsmitglieder sollten sich dem notwendigen Rollenwandel stellen und eine deutlich offenere Diskussions- und Feedbackkultur entwickeln.—-Peter Ruhwedel, Professor FOM Hochschule Duisburg