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Anpassungsfähigkeit verhindert Unternehmensinsolvenzen

Börsen-Zeitung, 12.9.2020 Die Diskussion um die wirtschaftliche Lage in Deutschland dreht sich momentan stark um die Befürchtungen einer großen Insolvenzwelle. Mit Blick auf die im Durchschnitt sehr solide Ausgangslage der Unternehmen vor und die...

Anpassungsfähigkeit verhindert Unternehmensinsolvenzen

Die Diskussion um die wirtschaftliche Lage in Deutschland dreht sich momentan stark um die Befürchtungen einer großen Insolvenzwelle. Mit Blick auf die im Durchschnitt sehr solide Ausgangslage der Unternehmen vor und die Entwicklungen in der Krise bisher halte ich die Wahrscheinlichkeit einer Überschuldung des Unternehmenssektors in der Breite für eher gering und gehe von einem nur begrenzten Anstieg der Insolvenzen aus. Ein Thema, das hingegen eine größere Aufmerksamkeit verdient, ist der in der Coronakrise weiter gestiegene Kostendruck für Unternehmen und die möglichen Auswirkungen auf die Beschäftigung vor allem in Branchen, die schon vorher vom Strukturwandel betroffen waren.Die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen vor der Krise war im Schnitt sehr solide. Im Durchschnitt ist die Eigenkapitalquote im Mittelstand zwischen 2002 und 2018 um 13 Prozentpunkte auf 31 % gestiegen. Selbst die Unternehmen im traditionell schlechter mit Eigenkapital ausgestatteten Bau konnten ihre Eigenkapitalquote auf 25 % deutlich steigern. Der hohe Bestand an Eigenkapital hilft in der aktuellen Krise, Verluste über eine längere Zeit bilanziell zu verkraften, und unterstützt durch einen niedrigeren Schuldenstand beim Kreditzugang.Dennoch hat der Coronaschock die Unternehmen hierzulande hart getroffen. Laut unserer repräsentativen Umfrage waren 61 % der deutschen Mittelständler im Mai von coronabedingten Umsatzeinbußen betroffen und verloren im Schnitt 46 % ihrer monatlichen Umsätze. Im Gastgewerbe hält der Schock an, dort lag der Umsatz im Juni noch fast 30 % unter dem Stand vom Februar.Das hat zu einer angespannten Liquiditätslage geführt, die sich im frühen Sommer allerdings wieder leicht entspannt hat. Der Anteil von Mittelständlern, die angaben, Liquiditätsreserven bei gleichbleibender Umsatzlage nur noch für zwei Monate zu haben, war im Juni bereits merklich auf 45 % zurückgegangen. Immerhin gab ein Viertel der Unternehmen sogar an, über genug Liquiditätsreserven zu verfügen, um Umsatzeinbußen unabhängig von der Dauer des Schocks zu überbrücken. Zusammen mit der Erwartung einer gleichbleibenden oder sogar steigenden Eigenkapitalquote in der Krise bei fast der Hälfte der Unternehmen und nur einem Drittel, das von einer sinkenden Quote ausgeht, deutet auch dies auf die eher geringe Gefahr einer Überschuldung des Unternehmenssektors in der Breite hin.Dass der Coronaschock bislang nicht noch stärkere Spuren in der Wirtschaft hinterlassen hat, liegt unter anderem an der Anpassungsfähigkeit der deutschen Unternehmen. 43 % der Mittelständler hatten etwa bereits im Frühling ihr Geschäftsmodell oder die Produktpalette angepasst. Dazu kommt, dass der Bankensektor, unterstützt durch das entschiedene Handeln von Bundesregierung und EZB, die Unternehmen weiter mit Krediten versorgt hat.Das Geschäftsklima und die Wirtschaftsaktivität haben sich bereits merklich erholt, wenn auch das Tempo der Erholung allmählich nachlässt, es starke Unterschiede zwischen den Branchen gibt und das Vorkrisenniveau noch weit entfernt liegt. Die weltweit wütende Pandemie und die rekordhohe Unsicherheit belasten besonders die deutsche Exportindustrie durch eine Flaute bei der Nachfrage nach Investitionsgütern. Die Bandbreite der Wirtschaftsaktivität zeigt der Vergleich der Einzelhandelsumsätze, die ihr Vorkrisenniveau bereits leicht übertreffen, mit der Produktion in der Automobilindustrie, die zwar wieder merklich angezogen hat, aber zur Jahresmitte noch gut 20 % niedriger als im Februar war.In der Summe bedeutet das, dass nur ein begrenzter Anstieg von Insolvenzen wahrscheinlich ist, wenn es gelingt eine zweite, starke Infektionswelle zu vermeiden. Manche Branchen werden stärker betroffen sein. In unserem konjunkturellen Basisszenario für 2020 gehe ich von einem Wirtschaftseinbruch von rund 6 % aus, also ähnlich tief wie in der Finanzkrise 2009. Damals gab es zwischen 2007 und dem Höchststand der beantragten Insolvenzverfahren 2009 einen Anstieg von 12 % auf fast 32 000. Wenn wir die damalige Entwicklung als Leitschnur einer Abschätzung heranziehen, so würde ein ähnlicher Anstieg umgerechnet auf die deutlich niedrigere Basis des Jahres 2019 mit fast 19 000 Insolvenzanträgen einen Anstieg auf rund 21 000 Fälle bedeuten. Da aktuell auch der große Dienstleistungssektor stärker betroffen ist, könnte die Zahl auch etwas höher ausfallen. Selbst dann jedoch blieben die Insolvenzen deutlich hinter 2009 zurück – und ihr Anteil im Verhältnis zu den über 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland weiter gering.Stärkere Aufmerksamkeit verdient das Thema der Beschäftigung, denn Unternehmen in einigen Branchen geraten durch die Krise unter enormen Kostendruck. Im Schnitt waren die Umsatzrenditen 2018 im Mittelstand mit über 7 % solide. Allerdings blieb in Branchen wie Handel und verarbeitendem Gewerbe mit rund 4 und 5 % weit weniger vom Umsatz hängen. Branchen mit niedrigen Umsatzrenditen sind verletzlicher, bei Umsatzeinbrüchen in die Verlustzone zu rutschen, und geraten deshalb schneller unter Kosteneinsparungsdruck. Im Einzelhandel zum Beispiel hilft die schnelle Erholung, und beim verarbeitenden Gewerbe liefern die überdurchschnittlichen Eigenkapitalquoten vor der Krise einen gewissen Puffer. Allerdings wird der Kostendruck in diesen Branchen steigen, wenn die Zuschussprogramme der Bundesregierung wie beispielsweise die Kurzarbeit auslaufen, solange die Umsätze unter dem Vorkrisenniveau liegen.Deshalb ist auch in Deutschland keineswegs sicher, dass alle von Kurzarbeit Betroffenen später tatsächlich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Aus meiner Sicht ist es daher entscheidend, dass möglichst viele die Kurzarbeitsphase zur Weiterbildung nutzen und beispielsweise ihre digitalen Kompetenzen stärken – oder auch zur Gründung eines Unternehmens. Fritzi Köhler-Geib ist Chefvolkswirtin der KfW. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Fritzi Köhler-GeibEs ist daher entscheidend, dass möglichst viele die Kurzarbeitsphase zur Weiterbildung nutzen – oder zur Gründung eines Unternehmens.