Im GesprächAbwicklung von Lebensversicherungsbeständen

Athora will im deutschen Run-off-Markt wachsen

Der deutsche Markt für die Abwicklung von Lebensversicherungbeständen (Run off) stagniert. Vor dem Hintergrund des Verkaufs eines Wettbewerbers will Athora wachsen.

Athora will im deutschen Run-off-Markt wachsen

Im Gespräch: Immo Querner

Athora will im deutschen Run-off-Markt wachsen

Deutschlandchef Immo Querner stellt erfolgreiches Anlagegeschäft und Kapitalstärke heraus – Wettbewerber Viridium steht vor Verkauf

Von Thomas List, Frankfurt
Von Thomas List, Frankfurt

Der deutsche Markt für die Bestandsversicherungen (Run-off) scheint in eine gewisse Schockstarre verfallen zu sein. Denn in den vergangenen Monaten sind – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – zwei große Transaktionen gescheitert.

Fragliche Zuverlässigkeit

Beim Zurich-Deutschland-Deal gilt als sicher, dass die BaFin den Kauf von Lebensversicherungsbeständen blockiert hat, weil sie die Zuverlässigkeit des Großaktionärs Cinven, eines Private Equity Investors, infrage stellt.

Das letzte größere Projekt, die Übernahme von Beständen der Axa Deutschland, ist erst vor wenigen Monaten geplatzt – nach Aussagen beider Seiten insbesondere an der im Laufe des zweijährigen Verhandlungsprozesses grundlegend veränderten Zinslandschaft. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung legte Immo Querner, seit September 2023 CEO von Athora Deutschland, Wert auf die Feststellung, dass das Abblasen der Transaktion nichts mit Widerständen der BaFin zu tun hatte, sondern eine Entscheidung beider Vertragsparteien war.

Hoffen auf den großen Deal

Querner hofft jetzt auf einen großen Deal, um den Markt wieder in Gang zu setzen. Einerseits würde dies die Genehmigungsfähigkeit solcher Transaktionen belegen, andererseits böte eine Transaktion die Chance, die aufsichtsrechtliche „Bietfähigkeit“ eines großen Marktteilnehmers wieder herzustellen. „Als Veräußerer eines Lebensversicherungsbestands hofft man natürlich auf möglichst viel Nachfrage und möchte nicht, dass ein wichtiger Player als möglicher Erwerber faktisch ausgeschlossen ist.“

Viridium soll hierzulande nach dem gescheiterten Zurich-Deal ganz oder teilweise zum Verkauf gestellt sein. Nach Angaben von Bloomberg sollen zu den Unternehmen, die bei Viridium bereits ihre Interessen deponiert haben, namhafte Adressen gehören: ein Konsortium aus Mubadala Capital’s Fortress Investment Group und Blackrock, Blackstone, DWS, Partners Group, Sixth Street, Generali und auch Athora. Die Unternehmen wollten gegenüber Bloomberg dazu keine Stellung nehmen. Auch Querner hat dazu im Gespräch mit der Börsen-Zeitung nichts gesagt. Als Unternehmenswert stehen laut Bloomberg etwa 3 Mrd. Euro im Raum.

Komplexe Bestandsübertragung

Die verhaltene Entwicklung des deutschen Run-off-Markts schreibt der Manager auch der Komplexität des Bestandsübergangs zu. „Zunächst muss ein Bestand in den meisten Fällen in eine eigene Gesellschaft ausgegründet werden. Im Rahmen der Bestandsübertragung wird jedem Versicherten mitgeteilt, er habe einen neuen Vertragspartner – ein im deutschen Recht eher ungewöhnliches Vorgehen.“ Die BaFin prüft das daher sehr genau, was Querner auch für vollkommen richtig hält.

Ausgründung, Bestandsübertragung und Verkauf der Gesellschaft brauchen Zeit. „Bei unserem letztlich nicht vollzogenen Geschäft mit der Axa hat allein die rechtliche Verselbständigung des Bestandes, um den es ging, knapp eineinhalb Jahre gedauert.“

Zersplitterter Markt

Auch der zersplitterte deutsche Markt mit rund 80 Lebensversicherern hemmt das Wachstum eines Run-off-Markts. „Die Bestandsübertragung zu einem Abwicklungsspezialisten ist bei einer kleinen Gesellschaft mit vielen Tarifen sehr teuer.“ Außerdem bestehe mitunter bei Konzernen mit einem großen und erfolgreichen Schaden/Unfallgeschäft die Sorge, die Kundschaft und Vertriebe nicht durch den Verkauf eines vielleicht nur kleinen Lebensversicherungsbestandes zu beunruhigen. Dies gelte wahrscheinlich ganz besonders für nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften wie Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.    

Nicht an der Börse notiert

Die Athora Holding auf den Bermudas ist nicht an der Börse notiert. Größter Aktionär ist einer der weltgrößten Assetmanager, Apollo, der zusammen mit der Tochter Athene 25% (30% der Stimmrechte) hält. Internationale Staatsfonds, inklusive der Abu Dhabi Investment Authority (Adia), halten 42%, Pensionsfonds 18%. Wichtig ist Querner, dass allen Aktionären eines gemeinsam ist: „Dies ist kein kurzfristiges Private Equity, sondern permanentes Kapital.“ Querner dürfte sich damit vom Wettbewerber Viridium abgrenzen, dessen Haupteigner eine Beteiligungsgesellschaft ist.

Die Athora Deutschland Gruppe, zu der neben dem Lebensversicherer auch noch eine Pensionskasse gehört, betreute Ende 2023 mit 120 Mitarbeitern etwa 150.000 Versicherte mit 165.000 Verträgen und verwaltete ein Vermögen von 3,7 Mrd. Euro. Die Beitragseinnahmen lagen bei 123 Mill. Euro.

Operatives Outsourcing

Angesichts der überschaubaren Unternehmensgröße und des dem Abwicklungsgeschäft inhärenten Abschmelzens der Volumina setzt Athora stark auf operatives Outsourcing. Bei der Kapitalanlage arbeitet Athora mit dem globalen Assetmanager Apollo zusammen. „Hier wollen wir den zentralen Vorteil des deutschen Lebensversicherungsgeschäfts, die langfristige und gut kalkulierbare Verfügbarkeit von Geld, systematisch nutzen.“

Dann könne man Vermögensgegenstände kaufen, die nicht jeden Tag liquide sein müssen. „Ich kann also Anlagen mit einer Illiquiditäts- oder Komplexitätsprämie eingehen, um so die Rendite für den Kunden zu erhöhen und natürlich auch die spezifischen Vermögensverwaltungskosten zu verdienen.“ Solche Anlagen müssten allerdings gut gemanagt und in einem gesunden Verhältnis zum Gesamtportfolio stehen. Denn solche Wertpapiere weisen zumeist eine eher kurze Zinsduration auf. Dem steht auf der Passivseite nach Solvency II eine 14- oder 15-jährige Duration (der Verpflichtungen) gegenüber.

Sichere Staatsanleihen bilden Basis

„Deshalb muss ein nennenswerter Teil des Vermögens das Durationsthema gut abbilden.“ 65 bis 75% der Assets hält Athora daher in erstklassigen Staatsanleihen, Wohnhypotheken mit niedrigem Beleihungsauslauf, Euro-Zinsderivaten und Liquidität. „Hier steht das Management der Bilanzvolatilität über Marktzyklen hinweg im Zentrum.“

Die restlichen 25 bis 35% der Assets bilden für Athora das Return-Seeking-Portfolio. Dafür wurde eine Partnerschaft mit Apollo eingegangen. „Über unseren Großaktionär erhalten wir zuverlässig und in hoher Qualität Zugang zu solchen Private Assets.“ Bei den alternativen Anlagen setzt Athora auf private Kredite und andere illiquide Assetklassen (in vielen Fällen über exklusive Plattformen). Zentral sei hier ein kompetentes Risikomanagement. So habe sich Athora bewusst gerade von großvolumigen prominenten Immobilienkrediten, die zuletzt in die Schlagzeilen geraten waren, ferngehalten.

Besser als der Markt

Apollo nimmt bei seinen Engagements in private Vermögenswerte für sich in Anspruch, besser als der Markt zu sein. Das gilt für die Zahl der Ausfälle bei Unternehmenskrediten, aber auch die realisierten Verluste bei einem Ausfall. Von ihrer Gründung 2018 bis Juni 2023 hat die gesamte Athora Gruppe etwa 10 Mrd. Euro in private Kredite investiert. Die durchschnittlichen realisierten Verluste lagen bei etwa nur zehn Basispunkten. „Daran sieht man: Private Credit ist eben nicht Junk. Im Investment-Grade-Bereich kann man mit geringeren Ausfallraten und -quoten sogar besser laufen.“ Die erwirtschafteten Renditen kämen vor allem den Kunden zugute.

Für die Athora-Kunden hat sich die Kapitalanlagestrategie bisher gut ausgezahlt. Die Gesamtverzinsung lag die letzten Jahre in Folge bei 4% – 3% Garantiezins und 1% Schlussüberschuss. „Damit gehören wir zur Spitze des deutschen Marktes.“ Auch die Kundenbetreuung scheint gut zu funktionieren, geht man nach der niedrigen Beschwerdequote.

Solvenzquote hat sich mehr als verdreifacht

Die gute Entwicklung der Vermögenswerte, ein verfeinertes Aktiv-Passiv-Management und die Einführung eines neuen stochastischen Bewertungsmodells haben nach Meinung von Querner dazu geführt, dass sich die Solvenzquote ohne Übergangsmaßnahmen von 2015 bis 2023 auf 168% mehr als verdreifacht hat.

Athora setzt auf nachhaltiges Wachstum, sowohl organisch als auch anorganisch. „Da hätten wir in der Rückschau in Deutschland sicherlich erfolgreicher machen können.“ Querner will in Zukunft mehr machen, sofern die Bedingungen stimmen. Für den Ausbau der Präsenz in Europa und in Deutschland stünden derzeit ausreichend Mittel zur Verfügung, auch jenseits des zugesagten, aber nicht abgerufenen Eigenkapitals.

Deutlich erfolgreicher

Der Wettbewerber Viridium war bei der Übernahme von Beständen in Deutschland deutlich erfolgreicher – zumindest bis zum gescheiterten Zurich-Deal. Er kommt mit 3,4 Mill. Verträgen auf 67 Mrd. Euro Kapitalanlagen. Nimmt man ganz Europa, ist Athora mit ihren Erstversicherungstöchtern in Belgien und den Niederlanden allerdings größer. So lag dort das verwaltete Vermögen Ende 2023 bei 73,3 Mrd. Euro.

Ist mit der Zinswende das Run-off-Geschäft tot? „Ich glaube das nicht“, sagt Querner. Lebensversicherer stünden weiterhin vor zahlreichen operativen Herausforderungen. So müssten viele alte Tarife und IT-Systeme gepflegt werden. „Das wird von Jahr zu Jahr schlimmer, je mehr Cobol-Programmierer in Rente gehen.“ Athora nimmt für sich in Anspruch, große und komplexe Portfolios mit mehr als 1.000 Tarifen verwalten zu können. „Das ist der Hauptkostentreiber jeder Migration.“

Keine Kapitalmarktrisiken

Querner hat ein weiteres Argument für den Aufschwung des deutschen Run-off-Markts. Der Solvenzbedarf der Lebensversicherer sei stark von Kapitalanlagerisiken dominiert. Viele börsennotierte Gesellschaften hätten ihre Equity-Story auf ein Geschäftsmodell ausgerichtet, bei dem der Kapitalbedarf von Risiken abhänge, die bewusst nicht kapitalmarktgetrieben sind. Denn Anleger suchen aus Diversifikationsgründen eben gerade solche Anlagemöglichkeiten.

Lebengeschäft belastet

„Unter diesem Gesichtspunkt ist für einen Mehr-Sparten-Versicherungskonzern das Lebensversicherungsgeschäft eine Belastung, weil der Kapitalbedarf stark vom Kapitalmarktrisiko abhängt.“ Querner sieht seine These gestützt durch die Tatsache, dass die meisten Run-off-Transaktionen einen kapitalmarktorientierten Abgeber hatten. „Das Kalkül, die eigene Bilanz von kapitalmarktrisikoreichem Solvenzkapital zu entlasten, ist durch die Zinswende nicht verschwunden.“

Erschwerend kommt für Querner hinzu, dass das Kapitalmarktrisiko unter Solvency II erheblichen, auch regulatorischen Änderungsrisiken ausgesetzt ist. Beispiele sind die Volatilitätsanpassung oder der Fortfall von Übergangsmaßnahmen bei der Berechnung der Solvenzquote. „All das hat mit dem eigentlichen Versicherungsgeschäft nichts zu tun.“ Durch die Veräußerung von Beständen werde Kapital frei, das dann in andere Bereiche wie das Schaden/Unfallgeschäft investiert werden könnte.

Der deutsche Markt für die Abwicklung von Lebensversicherungsbeständen (Run-off) stagniert. Ein Wettbewerber steht zum Verkauf, der andere, Athora, hat schon länger nicht mehr zugekauft. Athora will aber wachsen, anorganisch und organisch, sagt Deutschlandchef Immo Querner im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.