BANKER IN DER KRISE - SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (12)

Auch Frankfurt verliert nun Arbeitsplätze

Bankbeschäftigung in der Stadt folgt negativem Bundestrend - Helaba-Chefvolkswirtin Traud: Corona ändert Rahmenbedingungen

Auch Frankfurt verliert nun Arbeitsplätze

Frankfurt ist keine Oase in der deutschen Bankenlandschaft mehr. Wurden hier über die Jahre gegen den Trend mehr Stellen geschaffen als verschwanden, so ist es mit dem Sonderweg ab sofort vorbei – Zuzug von Brexitbankern hin oder her. Die Zahl der Stellen in den Kreditinstituten der Stadt schwindet, sagt die Chefvolkswirtin der Helaba, Gertrud Traud. Von Tobias Fischer, FrankfurtVorbei sind die Zeiten, in denen der Bankenstandort Frankfurt vom negativen Beschäftigungstrend im Rest der Republik entkoppelt war. Hat über Jahre hinweg die Zahl der Mitarbeiter von Finanzinstituten in der Stadt entgegen dem Trend in der Branche zugelegt (s. Grafik), so kann sich inzwischen auch Frankfurt der bundesweiten Entwicklung nicht mehr entziehen, berichtet die Chefvolkswirtin der Helaba, Gertrud Traud, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.Das hatte ihr Haus zwar erwartet, jedoch nicht zu einem so frühen Zeitpunkt. “Die Bankbeschäftigung hat in der Stadt bereits Ende vergangenen Jahres den Höchststand erreicht, den wir erst für Ende 2021 prognostiziert hatten”, sagt sie. “Da es seitdem außer dem Brexit-Effekt fast nur noch negative Faktoren gibt, ist davon auszugehen, dass die Bankbeschäftigung in Frankfurt schon jetzt nicht mehr steigt.” Zenit überschrittenWaren die Experten der Landesbank bis vor Kurzem davon ausgegangen, dass dank eines brexitbedingten Beschäftigungsschubs Ende nächsten Jahres mit insgesamt 64 500 Mitarbeitern “der Zenit der Bankbeschäftigung in Frankfurt” erreicht sein werde, so ist dieser den neuen Erkenntnissen zufolge schon überschritten. Bereits zum Jahreswechsel arbeiteten Traud zufolge laut jüngsten verfügbaren Zahlen 64 700 Banker in der Stadt – so viele wie seit mindestens 2013 nicht und wie möglicherweise niemals wieder. “Hier ist eine Zäsur. Corona ändert die Rahmenbedingungen gänzlich”, sagt die Chefvolkswirtin der Helaba.Für die lange vor Ausbruch der Pandemie verbreitete Einschätzung, dass unterm Strich bis Ende nächsten Jahres Stellen geschaffen werden, spielten zwei Gründe eine Rolle: Der Zustrom von 3 500 Bankern, die bis 2022 wegen des Brexits nach Frankfurt gehen, sowie die Bündelung von Tätigkeiten in der Finanzmetropole, die sich schon geraume Zeit vor dem Brexit-Effekt bemerkbar machte. Die Bankbeschäftigung in Hessens größter Stadt werde begünstigt “durch den sich in der Fläche vollziehenden Filialabbau, so dass es zu einer Konzentration in den hiesigen Konzernzentralen kommt”, stellte die Helaba etwa in ihrer im vergangenen Oktober veröffentlichten Finanzplatzstudie fest.Bisher mündeten die gegenläufigen Entwicklungen, Brexit- und Konzentrationsprozess einerseits, Konsolidierung, Digitalisierung, Regulierung andererseits, in Frankfurt unter dem Strich in einem Stellenaufbau, der die Streichungen unter dem Strich leicht überkompensierte. Zwischen dem Jahr 2013, in dem der Bezirk der Agentur für Arbeit Frankfurt neu zugeschnitten wurde, und 2019 ist die Zahl der Bankmitarbeiter in der Stadt von 62 200 um 3 % auf 64 100 gestiegen, bundesweit jedoch von 682 700 auf 628 800 geschrumpft – d. h., bald jede zehnte Stelle ist verloren gegangen. In den Zahlen sind nur Mitarbeiter von Kreditinstituten berücksichtigt, nicht aber von Versicherungen und Fondsgesellschaften. Lokalmatadore kürzenDiese Zeiten haben sich geändert: So wie seit Jahren schon bundesweit sinkt nun im Trend die Beschäftigtenzahl auch in der Mainmetropole. Allein die beiden größten deutschen Privatbanken bauen global rund 28 000 Stellen ab, was am Standort Frankfurt nicht spurlos vorübergehen wird. Die Deutsche Bank will bis Ende 2022 die Zahl der Vollzeitstellen im Konzern um rund 18 000 auf 74 000 verringern, teilte sie vor gut einem Jahr mit, und bei der Commerzbank steht bis 2023 offenbar jede vierte der 40 000 Arbeitsplätze auf der Kippe. Überall DruckDarüber hinaus hat die Helaba im Februar erklärt, bis 2023 knapp 400 Stellen abzubauen. So viele sollen es auch bei der Deka in den nächsten Jahren sein, wie sie im April 2019 berichtete. Sollte es tatsächlich zu einer Fusion der beiden Frankfurter Institute kommen, wie sie sich Sparkassenpräsident Helmut Schleweis wünscht, stünden weitere Stellen auf dem Prüfstand. Der Konsolidierungsdruck verschärfe sich und wirke sich mittlerweile auch in Frankfurt überall aus, sagt Traud. Corona beschleunigt diesen Prozess noch, da die Folgen der Pandemie den Druck auf die Institute erhöhen.An ihrer Prognose für die Brexitbanker will Traud aber festhalten. “Unsere noch vor Corona abgegebene Schätzung von insgesamt 3 500 Brexitbankern halten wir nach wie vor für realistisch. Wir gehen davon aus, dass bis im vergangenen Jahr rund 1 500 Banker nach Frankfurt gekommen sind und 2020, 2021 und 2022 weitere 2 000 folgen.” Dabei hatte die Helaba ihre anfängliche Prognose von vor drei Jahren mit rund 8 000 Brexitbankern, die es nach Frankfurt ziehen werde, schon vor einem Jahr mehr als halbiert.Relativ betrachtet, ist der Bedeutungsverlust der Banken schon seit Jahren sowohl in Frankfurt als auch auf Bundesebene an den Statistiken ablesbar. Lag der Anteil der Bankbeschäftigten an der Gesamtbeschäftigung vor sieben Jahren deutschlandweit noch bei 2,4 %, so waren es Mitte vergangenen Jahres nur noch 1,9 %. In der Stadt Frankfurt rutschte die Quote in diesem Zeitraum von 12,1 % auf 10,6 %. Brexit-Verschiebung erwartetEinen harten Brexit erwartet die Volkswirtin nicht, vielmehr eine erneute Verschiebung. Die nötige Einigung bis zum 31. Oktober, um den harten Brexit nach dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 zu verhindern, sei unrealistisch, sagt Traud. Und es sei unwahrscheinlich, dass Premierminister Boris Johnson das inmitten einer schweren Rezession steckende Großbritannien weiteren Belastungen durch einen gänzlich ungeregelten Abschied aussetzen wolle. Wegen Corona ließen sich ihr zufolge sicherlich Möglichkeiten finden, um eine erneute Verschiebung zu begründen und zu regeln.Stärken wie Internationalität und Drehscheibenfunktion könne der Finanzplatz Frankfurt in Zeiten von Corona nicht mehr ausspielen, sagt Traud. Messe, Flughafen und Bahnhof erwiesen sich nicht als vorteilhaft gegenüber den Wettbewerbern. Auch mit der Stärke der Volkswirtschaft sei es derzeit nicht ganz so weit her, wenngleich sich die Lage im Direktvergleich nicht so schlecht wie andernorts darstelle, etwa in Frankreich, Italien oder Spanien.Was bleibt, sind relativ günstige Mieten und Lebenshaltungskosten, die Finanzinfrastruktur mit Banken und Börse, Institutionen der Finanzforschung und -bildung, Zentralbank und Aufsehern. Ein für Frankfurt charakteristisches, in den bisherigen Finanzplatzstudien positiv ins Feld geführte Kriterium, die kurzen Wege, können Traud zufolge in Coronazeiten Fluch und Segen sein. Nähe ist einerseits zu vermeiden, anderseits lässt sich vieles auch zu Fuß oder mit dem Rad statt mit der Bahn erledigen, und wem es in der Stadt zu eng wird, der kann schnell in den Taunus flüchten. Mit der Nähe zur Aufsicht könnte es irgendwann vorbei sein, gibt sie zu bedenken. Sollte eines Tages die Bankenaufsicht der EZB nach Paris verlagert werden und sie im Verbund mit der Bankenregulierungsbehörde EBA, die wegen des Brexits von London in die französische Hauptstadt gezogen ist, sowie der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zur Aufsichtshauptstadt avancieren, käme Frankfurt schwer zu Schaden, geht sie auf frühere Warnungen ein.”Alle Finanzplatzakteure Frankfurts sollten in Habachtstellung bleiben. Auch bei der Frankfurter Bewerbung für die Ansiedlung der EBA wurde für Synergien durch Zusammenlegung von Aufsichtsbehörden geworben. Ich rechne schon damit, dass auch Paris irgendwann damit wirbt bzw. vermeintlich uneigennützig auf die potenziellen Interessenkonflikte hinweist, die sich aus der Doppelfunktion der EZB als geldpolitischer Institution und als Aufsichtsbehörde der Großbanken ergibt”, sagt Traud.Wenn die Aufsichtsfunktion der EZB nach Paris verlagert würde, wäre dies ihrer Ansicht nach mehr als ein Nackenschlag für den Finanzplatz: “Deshalb muss dieses Risiko gerade auch in Berlin adressiert werden.” Zwar bestehe aktuell kein akuter Anlass zur Sorge, doch hält die Helaba-Chefvolkswirtin, insbesondere angesichts der starken Bande von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit EZB-Chefin Christine Lagarde, vieles für möglich. Wirecard-Skandal verkraftbarDie Diskussion über den Wirecard-Betrug und die Rolle von Kontrollinstanzen wie Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfern und Aufsehern wird ihrer Ansicht nach das Ansehen des Finanzplatzes nicht nachhaltig beschädigen. Allerdings müsse sich ein Finanzplatz im Wettbewerb souverän zeigen. Glaubten die Akteure selbst nicht an sich, sei das kein Aushängeschild. Für unabdingbar hält Traud es deshalb, dass die Aufsicht klare Pflöcke einrammt und klarmacht, dass Vergleichbares nicht mehr vorkommt. “Ich würde mir mehr von der amerikanischen Mentalität wünschen, als für den Rest aller Tage in Sack und Asche zu gehen: Ja, es ist enttäuschend, dass dies geschehen ist. Jetzt müssen jedoch die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen zügig angepasst werden, damit der Finanzplatz Deutschland zukunftsweisend bleibt.” Zuletzt erschienen: Madrid will die City Südeuropas sein (21. August) Dezentrale Systeme für die Marktinfrastruktur (20. August)