Kapitalpuffer

Aufseher fordern Mittel für stabiles Finanzsystem

Zur Stabilisierung des Finanzsystems müssen Banken künftig präventiv mehr Kapital vorhalten. Die Aufseher verordnen präventive Maßnahmen.

Aufseher fordern Mittel für stabiles Finanzsystem

wf Berlin

Ein stabileres deutsches Finanzsystem versprechen sich die makroprudenziellen Aufseher von zusätzlichen Kapitalauflagen für die Kreditwirtschaft. Die Finanzaufsicht BaFin werde zusätzliche Kapitalpuffer festsetzen, kündigte BaFin-Präsident Mark Branson vor der Presse in einer Videokonferenz an. Dazu seien Analysen des Ausschusses für Finanzstabilität (AFS) und des European Systemic Risk Board (ESRB) berücksichtigt worden. Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch sagte, das Finanzsystem habe während der Krise gut funktioniert. Auch die Realwirtschaft könne zuversichtlich in das laufende und in das nächste Jahr – mit erwarteten Zuwachsraten von 4% und 3% des Bruttoinlandsprodukts – blicken. Die Lage des Finanzsystems sei aber ähnlich wie 2019, als der antizyklische Kapitalpuffer erstmals aktiviert worden sei. Im Vergleich dazu hätten die Verwundbarkeiten sogar noch zugenommen, sagte Buch. „Daher ist wichtig, präventiv zu handeln und die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken“, erklärte die Vizepräsidentin. Dem AFS gehören Bundesfinanzministerium, Bundesbank und BaFin an. Das Gremium war 2013 nach der Finanzkrise für die makroprudenzielle Finanzaufsicht über den Finanzsektor als Ganzes – und nicht nur über einzelne Institute – eingeführt worden.

Branson zufolge sollen die Kapitalpuffer zeitnah aktiviert werden. Konkret ist geplant, den antizyklischen Kapitalpuffer von derzeit null auf 0,75% der risikogewichteten Aktiva festzusetzen. Zusätzlich und kumulativ wird im heißer laufenden Immobilienkreditmarkt ein sektoraler Puffer von 2% für Kredite eingeführt, die mit Wohneigentum gesichert sind. Insgesamt führe dies zu 22 Mrd. Euro Kapital, erläuterte Branson. Rund 17 Mrd. Euro entfielen auf den allgemeinen Kapitalpuffer, rund 5 Mrd. Euro auf den sektoralen Puffer für Wohnimmobilien. Das Kapital sei nahezu vorhanden in der Kreditwirtschaft. Nur wenige Institute müssten noch rund 200 Mill. Euro aufbauen. Damit genügend Zeit bleibe, müsse die Vorgabe erst bis 1.Februar 2023 erfüllt sein.

Vergabestandards im Fokus

Vorgaben zu Kreditvergabestandards gibt es derzeit noch nicht. Branson stellte aber in Aussicht, die Aufsicht über die Kreditvergabepraxis zu intensivieren. In einem Markt, in dem Immobilien immer weniger erschwinglich werden, bestehe ganz klar der Risiko, dass Kreditvergabestandards nach und nach sänken, sagte er. Die BaFin werde die Entwicklung in den kommenden Monaten beobachten. „Wenn wir Anzeichen haben, dass Kreditvergabestandards erodieren, würden wir auch dazu verbindliche Vorgaben erwägen“, sagte Branson.

Der BaFin-Chef kündigte eine intensive Kommunikation in der Aufsichtspraxis mit den Kreditinstituten an, die Vergabestandards nicht aufzuweichen und nicht lax vorzugehen. Zu diesem Zeitpunkt des Finanzzyklus sei dieses weder im Interesse der Kreditgeber noch der Kunden. Die Aufsicht wolle eine konservative Bewertungspraxis und Kredit­ver­gabepraxis sehen. Eine solide und dauerhafte Schuldentragfähigkeit der Kreditnehmer sei nötig – auch bei steigenden Zinsen und in Stressphasen. Finanzierungen mit einem sehr hohen Loan-to-Value, also einem hohen Fremdfinanzierungsgrad, sollen restriktiv behandelt werden, verlangte Branson.

Finanzstaatssekretär Carsten Pillath stellte sich hinter die Entscheidung. Die wirtschaftlich Erholung sei durch die Omikron-Variante des Coronavirus gebremst. Es sei aber richtig mit Blick auf die Stabilität des Finanzsystems, nun wieder präventiv zu handeln. Buch nannte verschiedene Aspekte der Verwundbarkeit im deutschen Finanzsystem. „Wir haben zunehmend Hinweise darauf, dass Kreditrisiken unterschätzt werden“, sagte die Vizepräsidentin. Zudem hätten Zinsänderungsrisiken zugenommen. Schließlich spreche einiges dafür, dass Vermögenswerte und Kreditsicherheiten in Teilen überbewertet sind.

Laxerer Umgang

Die Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen und -krediten seien teilweise niedriger als vor der Pandemie, konstatierte Buch. Zudem hätten sich Kredite der deutschen Banken hin zu relativ riskanteren Unternehmen verschoben. Überdies deuteten die internen Modelle der Banken auf gesunkene Ausfallwahrscheinlichkeiten hin – auch bei Unternehmen, deren bilanzielle Kennzahlen sich kaum verbessert hätten. Bei steigenden Zinsen würden die Refinanzierungskosten un­mittelbar zunehmen, die Erträge aber nur langsam steigen. Bei Wohnimmobilien lägen die Preise bereits seit einigen Jahren um 10 bis 30% oberhalb der Werte, die durch Fundamentaldaten gerechtfertigt seien, sagte Buch. Im dritten Quartal des vergangenen Jahres seien die Preise für Wohnimmobilien mit einem Plus von 12% erneut stark gestiegen; die Kredite in dem Sektor legten mit 7% ebenfalls überdurchschnittlich zu.

Anhörung der BaFin

Die BaFin hat zu dem Maßnahmenpaket eine Anhörung gestartet, die bis zum 26. Januar läuft. Für die Deutsche Kreditwirtschaft kommt die Aktivierung der Kapitalpuffer „zur Unzeit“. Positive Reaktionen gab es aus dem Bundestag. Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP, hält es bei solchen Risikoentwicklungen für „unabdingbar“, dass die BaFin schnell und gezielt reagiere. „Ich bin froh, dass sofort vorausschauende Maßnahmen eingeleitet wurden, mit denen die aktuelle Risikolage angemessen adressiert wird“, erklärte Herbrand. Die Vizevorsitzende der Grünen-Fraktion, Lisa Paus, bezeichnete es als „sinnvoll“, Finanzstabilität mit einem höheren Kapitalpuffer und einem zusätzlichen Puffer für Immobilienkredite zu fördern. Sie befürchtet zwar höhere Zinsen für Immobilienkreditkunden, allerdings sei Deutschland schon 2019 vom ESRB aufgefordert worden, die Immobilienkreditvergabe wegen überhöhter Preise einzuschränken.

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