BaFin wendet neue ESG-Regeln vorzeitig an
Von Silke Stoltenberg, Frankfurt
Die deutsche Finanzaufsicht BaFin wendet ihre in Vorbereitung befindliche Richtlinie für nachhaltige Fonds schon vor der offiziellen Veröffentlichung an und hat bereits erste Produkte nach den neuen Bestimmungen zugelassen. Nach Angaben einer Behördensprecherin betraf dies fast jeden zweiten der rund 40 neu zugelassenen Fonds seit Anfang August, als die Konsultationsfassung der Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen veröffentlicht worden war. Es sei bereits im Sommer darauf hingewiesen worden, dass die Konsultationsfassung in der Praxis zur Anwendung kommen werde, sagte die Sprecherin. Die Fondsanbieter dagegen wurden von der vorzeitigen Anwendung überrascht, da er vollendete Fakten schafft, obwohl der Vorstoß der BaFin von den Gesellschaften und insbesondere vom Fondsverband BVI harsch kritisiert worden war.
Reaktion auf Greenwashing
Immerhin war die im August veröffentlichte Konsultationsfassung von der BaFin schon abgeschwächt worden, nachdem es schon im Mai zu überschäumenden Protesten der Assetmanager nach einem ersten Entwurf dieser Richtlinie gekommen war (vgl. BZ vom 17.5.2021 und 2.8.2021). Mit ihrem Vorhaben reagiert die BaFin auf die zunehmenden Debatten über Greenwashing, also überzogene Aussagen der Anbieter zur Nachhaltigkeit ihrer Fonds.
Die Richtlinie macht daher konkrete Vorgaben dazu, wie Kapitalverwaltungsgesellschaften Publikumsinvestmentvermögen ausgestalten müssen, die sie als nachhaltig bezeichnen oder als explizit nachhaltig vertreiben. Sie können dabei zwischen drei Varianten wählen: eine Mindestinvestitionsquote einhalten, eine nachhaltige Anlagestrategie verfolgen oder einen nachhaltigen Index abbilden. Denn es gebe trotz der mannigfaltigen EU-Regulierung zur Nachhaltigkeit der Finanzbranche weder auf dieser Ebene noch auf nationaler Ebene Regeln dazu, „wann sich ein Investmentvermögen im Namen als nachhaltig bezeichnen oder als explizit nachhaltig vertrieben werden darf“, hatte es zur Begründung geheißen. Die Lücke vergrößere die Gefahr von Greenwashing.
Wettbewerbsnachteil
Trotz des Entgegenkommens der BaFin in vielen Punkten – unter anderem auch durch die abgeschwächte Mindestinvestitionsquote von 75% statt zuvor 90 % des Portfolios – hatte es nach Veröffentlichung der Konsultationsfassung weiter Kritik gehagelt. Vor allem die Tatsache, dass nur deutsche Fonds davon betroffen sind, wurde vom BVI als Wettbewerbsnachteil gegenüber der europäischen Konkurrenz moniert. Auch aus der Wissenschaft kam Kritik. Eine zusätzliche nationale Vorschrift schaffe durch ein weiteres aufsichtsrechtliches Label für grüne Investmentprodukte mehr Verwirrung als Klarheit, hatte das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung (SAFE) moniert (vgl. BZ vom 4.11.2021).
Jetzt haben sich die Wogen geglättet. Denn seit die Richtlinie in der Praxis angewandt wird und der erste Sand aus dem Getriebe entfernt wurde, scheint sich eine eher pragmatische Anwendung der Aufseher herauszukristallisieren, ist in der Branche zu vernehmen. Die Fondsgesellschaften konstatieren, dass die Vorgaben der BaFin ihnen weiterhin Gestaltungsspielraum bei nachhaltigen Fonds lassen. Ohnehin gelten die Vorgaben nur für Publikumsfonds, die im Namen einen Nachhaltigkeitsbezug durch Begriffe wie „nachhaltig“, „sustainable“ oder „ESG“ (Environment, Social, Governance) tragen oder im Vertrieb als explizit nachhaltig vermarktet werden und dabei Nachhaltigkeitskriterien das bestimmende Merkmal im Fondsmanagement sind und nicht eines von vielen.
Dass die Branche mit der Richtlinie leben kann, zeigt sich auch darin, dass es zwar im Rahmen der Zulassung zwischen der BaFin und den Anbietern bei den unter die Richtlinie fallenden Fonds Diskussionen gab, aber nach Anpassungen der Anlagebedingungen durch die Gesellschaften alle Produkte genehmigt wurden. „Die BaFin hat in Genehmigungsprozessen bereits interveniert. Eingereichte Neuanträge mussten abgeändert werden und wurden erst nach entsprechender Anpassung genehmigt“, erklärte die BaFin-Sprecherin.
Eigentlich sollte die Richtlinie bis Ende 2021 veröffentlicht werden. Warum sich die Veröffentlichung verzögert hat, erklärte die BaFin-Sprecherin nicht. Wesentliche Änderungen sind wohl aber nicht mehr zu erwarten, ist angesichts der schon eingeübten Praxis zu vermuten. Im Laufe des Januars soll die Richtlinie nun voraussichtlich veröffentlicht werden, kündigte die Sprecherin an.