Bankenabwicklung nicht auf die lange Bank schieben
Banken werden auch in Zukunft in ernste Schieflagen geraten und in Insolvenz gehen oder gezwungen sein, in einem schmerzhaften Prozess verlustbringende Vermögenswerte abzustoßen, um sich gerade so noch zu retten. Die nächste Krise kommt bestimmt. Und daran werden auch verschärfte Kapitalvorschriften und eine noch so aufmerksame Aufsicht kaum etwas ändern.
Zu groß ist der Druck auf die Finanzbranche, zu rapide der Wandel. Fehlentscheidungen in der Führung, etwa im Risikomanagement, der extreme Margendruck, neue und starke Konkurrenz durch innovative Fintechs prägen das äußerst anspruchsvolle Wettbewerbsumfeld. Altbewährte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr. Und die Digitalisierung mit ihren teuren, aber unabdingbaren Investitionen in die IT-Infrastruktur überfordern schon heute die Leistungskraft vieler Institute. Diesen disruptiven Wandel der Branche wird nicht jedes kleine und große Finanzinstitut meistern.
Steile Lernkurve
Seit der Finanzkrise hat die Branche beim Thema Abwicklung eine steile Lernkurve nehmen müssen. In Deutschland bestand mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz die Möglichkeit, eine in Schieflage geratene Bank aufzuspalten: in eine Good Bank, die auf Dauer fortgeführt werden soll, und in eine Bad Bank, auf die problematische Vermögenswerte übertragen werden konnten, um diese dort möglichst wertschonend abzuwickeln. Bei der verstaatlichten Hypo Real Estate hat das gut funktioniert. Die Bad Bank, die FMS Wertmanagement, wickelt weiterhin erfolgreich Altlasten ab, bezüglich der Good Bank, der PBB Deutsche Pfandbriefbank, hat die Bundesregierung kürzlich angekündigt, dass sie ihre letzten Anteile verkaufen wird, sie also wieder vollständig privatisiert. Von den zahlreichen internen Bad Banks, die bei praktisch allen Großbanken nach der Finanzkrise als Restrukturierungseinheit eingerichtet worden waren oder eingerichtet werden mussten, hört man naturgemäß weniger. Und wenn doch, dann in der Regel nichts Gutes. Sie belasten immer noch viele Bilanzen und hinterlassen rote Bremsspuren in der Ergebnisrechnung.
Eines haben alle an Abwicklungsprojekten Beteiligten schmerzhaft lernen müssen: Die Auflösung solcher Einheiten und die Verwertung der dort ausgelagerten kritischen Vermögenswerte dauert viel länger, als ursprünglich erhofft oder von interessierten Kreisen zunächst in Aussicht gestellt wurde. Zudem ist die Komplexität vieler Konstruktionen, die vor der Finanzkrise noch als Innovationen in der Branche bejubelt worden waren, beim Projekt Abwicklung oft ein kaum zu überwindendes Hindernis. Verworrene Verflechtungen von Krediten und langlaufenden Derivaten mit komplexen Nebenbedingungen in buchdicken Prospekten erschweren Demontage und Verwertung. Etwas weniger kompliziert sieht es bei Abwicklungsprojekten wie aktuell der Wirecard Bank AG aus, wo es in erster Linie nicht um Problem-Assets geht, sondern um die Abwicklung der Kundenbeziehungen.
Aber worauf kommt es bei der Abwicklung eines Portfolios oder einer ganzen Bank tatsächlich an? Was sind die Erfolgsfaktoren? Wie holt man im Interesse der Stakeholder das Maximum heraus?
Erfolgsfaktor People: Die erste und wichtigste Aufgabe bei der Einrichtung einer Abwicklungseinheit besteht darin, die richtigen Leute für das Projekt zu finden. Das klingt trivial, ist aber bei näherem Hinsehen die zentrale Herausforderung. Denn die Experten, die sich mit den kritischen Assets am besten auskennen, sind oft genau jene, die sie sich ausgedacht haben, die möglicherweise sogar Boni dafür kassiert haben, als die Sache noch lief. Sie tun sich oft schwer damit, Fehler einzugestehen. Neue, unbelastete Personen ohne persönliche Agenda gewinnen schneller einen klaren, nüchternen Blick auf die Problemfälle.
Erfolgsfaktor Mindset: Für die Führungskräfte einer Bad Bank muss es darum gehen, in der gesamten Truppe eine spezielle Einstellung zur Aufgabe zu entwickeln – in der aktuellen Managementdiskussion würde man diesen neudeutsch als „Purpose“ bezeichnen. Bei den staatlichen Abwicklungsinstitutionen FMS und EAA ging es darum, den Mitarbeitern zu vermitteln, dass es unsere Aufgabe war und ist, für den Steuerzahler, der das Desaster ausbaden musste, noch das meiste herauszuholen. Ich denke, das ist gut gelungen, gefeiert wurden Mitarbeiter für besondere Abwicklungserfolge nur intern – etwa mit einer speziellen Würdigung im Intranet. Das ist so ziemlich das Gegenteil der bei Banken tief verwurzelten Bonuskultur.
Überoptimistische Pläne
Erfolgsfaktor Analyse: Nächster Schritt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme. Es geht darum, möglichst schnell einen realistischen Überblick zu gewinnen. Die Erfahrung bei der FMS hat gezeigt, dass zuvor erstellte Abwicklungspläne oft zu optimistisch waren oder Problemfälle unterschätzt wurden, etwa extrem langlaufende Assets oder komplexe Finanzkonstruktionen. In nicht ausgelagerten Abwicklungseinheiten scheint zudem die Neigung zu bestehen, kritische Assets, die bei schneller Verwertung hohe Verluste verursachen würden, erst einmal aus dem Fokus zu manövrieren. Der Spielraum, den Bewertungsmodelle liefern, lässt dies in der Regel zu. Die Versuchung, bei der Abwicklung erst einmal die niedrig hängenden Früchte zu pflücken, ist groß. Doch die wirklichen Probleme werden dadurch nicht gelöst, sondern nur verschoben und dadurch meist noch größer.
Erfolgsfaktor Governance: Bereits parallel dazu sollte alles unternommen werden, um die Komplexität in der Organisation und den Abläufen so weit wie möglich zu reduzieren. Eine klare Führungsstruktur, kurze Entscheidungswege, klare Kompetenzen sind der Schlüssel, um einen schnellen und validen Überblick zu gewinnen. Eine transparente und offene Kommunikation bildet die Grundlage für nachhaltiges Vertrauen bei allen Stakeholdern. Eine Bad Bank als Black Box ist das Rezept für einen anhaltend schlechten Nachrichtenfluss.
Dazu zählen vor allem aber unabhängige, mutige und beschlussfähige Entscheidungsgremien mit hoher individueller Fachkompetenz. Sind die Mitglieder solcher Gremien nicht unabhängig, drohen Interessenkonflikte. Sitzt der CFO einer Bank in dem Ausschuss, der über die Verwertung von Assets der internen Bad Bank entscheidet, könnte er eine an sich vernünftige Entscheidung verhindern, wenn ihm dadurch Verluste die Gewinn-und-Verlust-Rechnung verhageln. Mut ist erforderlich, um schwierige und unerfreuliche Entscheidungen durchzufechten, um gegebenenfalls noch größere Verluste in der Zukunft zu verhindern. Es bringt nichts, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Dazu gehört bei Meinungsverschiedenheiten auch die Bereitschaft zu konträren Diskussionen und notfalls zu Kampfabstimmungen. Der Wunsch oder gar die Vorgabe zur Einstimmigkeit der Gremienentscheidungen führt bei der Abwicklungsarbeit nur zu Stillstand.
Diese vier Erfolgsfaktoren sind eng miteinander verflochten, sie bedingen einander. Das Fehlen einer Voraussetzung führt zwingend dazu, dass es auch an anderer Stelle haken wird. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn das nächste Mal eine Bad Bank eingerichtet werden muss. Denn das Thema Bankenabwicklung wird uns mit Sicherheit schneller wieder beschäftigen, als wir uns das wünschen.