Bankenregulierung: Ausbau auf halber Strecke
Fünf Jahre nach dem Lehman-Kollaps heißt auch: fünf Jahre regulatorisch getriebener Umbau der Bankenindustrie. Ob grundlegende Kapitalausstattung, Regulierung des OTC-Derivatehandels, Bankentestament oder zuletzt die Diskussion um den Schattenbankensektor – viele Maßnahmen der Politik zeigen bereits Wirkung, andere befinden sich nicht einmal auf halbem Weg. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die umfassende Regulierung noch nicht im gesamten Finanzsektor angekommen ist.Zu Recht haben sich die Regulierer mit Basel III zunächst auf die Erhöhung der Eigenkapitalquote fokussiert. Die Chance einer globalen Regelung und eines einheitlichen “Spielfelds” wurde allerdings verspielt. Im politischen Einigungsprozess wurden zudem die langfristige Liquiditätskennziffer und die Verschuldungsquote auf die lange Bank geschoben. Doch gerade Letztere stellt erst sicher, dass Risiken von Geschäftsmodellen, in denen langlaufende Kredite kurzfristig refinanziert werden, adressiert werden können. Darüber hinaus wäre eine harmonisierte Verschuldungsquote auf Basis standardisierter Zahlen ein eindeutiger Hebel, um größere Unterschiede durch bankinterne Modelle einzudämmen. Ebenfalls zügig vorangetrieben wurde die Regulierung monetärer Anreizsysteme mittels pauschaler Begrenzung variabler Gehaltsbestandteile. Die gewünschte Streckung von Boni über längere Zeit wurde ebenfalls umgesetzt. Allerdings ist die Grundidee – einen Zusammenhang zwischen Bonuszahlung und Risikoentscheidungen zu schaffen – nicht zur Realität geworden. Eine Chance verpasstMit Emir haben sich die Regulierer der Intransparenz und Ineffizienz bilateraler Beziehungen im Markt angenommen. Basierend auf den G 20-Beschlüssen von 2009 sollte das zentrale Clearing von OTC-Derivaten einen Großteil der Risiken adressieren. Eine Clearing-Pflicht besteht jedoch nach wie vor nicht. Des Weiteren wird sich erst zeigen müssen, dass der zentrale Clearer nicht selbst zum Konzentrationsrisiko wird. Europa hat hier gegenüber den USA eine Chance verpasst, die in Dodd Frank ein “systemrelevantes Clearinghaus” definieren.Auf halber Strecke befinden wir uns auch beim Reporting an ein von der Aufsicht zugelassenes Transaktionsregister. Auch wenn der Grundgedanke richtig ist, jederzeit die Risikopositionen im Markt identifizieren zu können, werden allein schon die weitreichende und schwer auszuwertende Datenbasis problematisch sein. Des Weiteren wird auch hier der Termin für die verbindliche Umsetzung fortlaufend in die Zukunft geschoben. Für die Derivateregulierung stellt sich damit insgesamt die Frage, ob nicht Produkte wie Zins-Swaps in standardisierter Form besser über die effiziente und transparente Marktinfrastruktur von Börsen gehandelt statt erst nachträglich zentral abgewickelt werden sollten, sodass nur noch komplexe Geschäfte OTC vollzogen werden und aufgrund der geringeren Transparenz stärker mit Kapital unterlegt werden müssen.Ein konsistentes Regelwerk lassen auch die sogenannten Schattenbanken vermissen. Statt für jede Finanztransaktion von jedem Marktteilnehmer an jedem Markt die gleichen Regularien anzuwenden, wurde der Fokus auf den ohnehin schon stark regulierten Bankenmarkt gelegt. Die Folge: Schätzungsweise 30 % des klassischen Bankgeschäfts sind in den Schattensektor geflossen. Auch wenn eine Regulierung hier schwieriger ist, so ist eine globale Lösung unumgänglich, um die Verschiebung der Risikopositionen innerhalb des Finanzsystems zu stoppen.Noch am Anfang stehen daneben aber auch die Bankenabwicklung und das Bankentestament. Je nachdem in welchen Ländern Großbanken arbeiten, greifen hier verschiedenste Systeme. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die beste Vorbereitung die Arbeit an der grundsätzlichen Trennungsfähigkeit über die Entflechtung von Geschäftsmodellen ist. Ein Weg: die Bankorganisation nach Services aufzustellen. Eine Servicegesellschaft erbringt dabei gebündelt Dienstleistungen für die verschiedenen Institutsbereiche. Damit kann dann bei einer Schieflage eines Segments “gutes Geschäft” ohne Probleme weiterbestehen. Bisher besteht das Thema Bankenabwicklung stattdessen primär aus der Erstellung von Dokumenten für die Schublade. Umsetzung statt SteuerungGrundsätzlich haben sich Banken – vor allem kleinere Institute – bislang fast ausschließlich auf die Einhaltung der Regularien fokussiert und lassen sich von diesen treiben. Das greift zu kurz, denn die ausgelösten Marktveränderungen erfordern eine integrierte Steuerung. Und dennoch haben Banken inzwischen riesige Reporting-Silos für einzelne Bereiche wie Markt- und Kreditrisiko auf der einen Seite und Finanzen und Treasury auf der anderen aufgebaut. In diesen fehlt die Fähigkeit, wesentliche Steuerungsdaten zusammenzuführen, und damit der Überblick über wechselseitige Effekte.Gerade die verschiedenen Basel-III-Kennziffern sind nicht alle gleichgerichtet – ein übergreifendes Risk-Management-Cockpit ist unumgänglich. Und auch organisatorisch müssen Banken umdenken. Oft gehen regulatorische Eingriffe entlang der ganzen Prozesskette. Linienverantwortliche in den Instituten sind dieser Aufgabe kaum noch gewachsen. Notwendig ist daher eine gruppenweite Funktion, die schon früh Diskussionen in der Regulatorik prüft, dabei die Interessen der Bank vertritt, Auswirkungen abschätzt und frühzeitig Geschäftsauswirkungen und Änderungen im Geschäftsmodell durchspielt. Was das Business-Modell anbetrifft, so ist die nachhaltigste Reaktion auf die Finanzkrise und regulatorische Eingriffe, die Reduzierung der Komplexität, noch nicht in den Häusern angekommen. Eine klare Fokussierung wird nicht nur die Geschäftsmodelle und nachgelagerte Prozesse vereinfachen, sondern Kosten wie Risiken reduzieren. Perspektivisch wird es spezialisierte Boutiquen geben, die komplexe Produkte herstellen. Andere Player werden sich auf Kernkunden und Differenzierungsmerkmale im Markt konzentrieren. Problem der UmsetzungZusammenfassend haben die Regulatoren rund fünf Jahre nach dem Lehman-Kollaps die richtigen Maßnahmen erkannt. Allein in der operativen Umsetzung der Anforderungen ergeben sich jedoch erhebliche praktische Probleme und deutliche Verzögerungen.Auch die Institute haben ihre regulatorischen Hausaufgaben nur zum Teil gemacht. Die tatsächliche Risikosteuerung und die Konsequenzen in Hinblick auf das Geschäftsmodell stecken noch in den Kinderschuhen. Nach der reinen Pflichterfüllung im Sinne der Compliance muss daher nun die Kür auf strategischer Ebene folgen. Erst dann werden die Institute in der neuen Normalität der Bankenlandschaft ankommen.—-Daniel Kapffer, Geschäftsführer Risikomanagement in Banken, Accenture