Brexit lässt Arbeitsmarkt vibrieren

Frankfurt wird "neue Verknappung" des Personals in Risikomanagement und Compliance prophezeit

Brexit lässt Arbeitsmarkt vibrieren

In Frankfurts Bankentürmen geht die Angst vor einem Personalengpass in den so wichtigen Bereichen des Risikomanagements, der Compliance sowie der IT-Infrastruktur um. Denn infolge des Brexit wird der Bedarf an entsprechenden Spezialisten am Finanzplatz deutlich anziehen, wie erwartet wird. Der Verband der Auslandsbanken rechnet mit einer vierstelligen Zahl zu besetzender Stellen.Von Bernd Neubacher, FrankfurtNachdem die britischen Wähler am 23. Juni vorvergangenen Jahres für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union gestimmt hatten, machte sich in Frankfurt jenseits der ob der politischen Großwetterlage vergossenen Krokodilstränen Freude breit. Stand der Metropole am Main nicht eine ungeheure Aufwertung als Finanzplatz bevor? Und konnten sich die Banken an Deutschlands Finanzplatz Nummer 1 nicht glücklich schätzen, bereits dort eine Präsenz aufgebaut zu haben, wohin viele ausländische Spieler erst noch kommen würden? Schattenseiten des ZuzugsGut anderthalb Jahre später lernen Frankfurts Banken verstärkt die Schattenseiten des Brexit kennen. Denn in den Türmen geht die Angst vor Engpässen am Arbeitsmarkt um. Dafür sorgt nicht zuletzt die Finanzaufsicht: Die Europäische Zentralbank sowie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) haben frühzeitig klargestellt, was sie von im Zuge des Brexit nach Deutschland strebenden Instituten vor allem erwarten: die Ansiedlung ausreichender Risikomanagementaktivitäten und der zugehörigen Infrastruktur. Mit einem Briefkasten und der Entsendung einer Vertriebsmannschaft werde es nicht getan sein, stellte die BaFin schon Anfang vergangenen Jahres nach einem Workshop mit Repräsentanten von Auslandsbanken klar.Was Wunder, dass die Nachfrage nach Risikomanagern, IT-Fachleuten und Compliance-Experten in Frankfurt also anziehen dürfte. Auch Mitarbeiter für die Bereiche Interne Revision, Back und Middle Office sowie Recht und Steuern sollten vermehrt gefragt sein, wie prognostiziert wird. “Da wird der Wettbewerb sicher steigen”, sagt Oliver Wagner, Geschäftsführer des Verbands der Auslandsbanken, der Börsen-Zeitung. Er geht davon aus, dass in den entsprechenden Abteilungen eine vierstellige Zahl von Positionen zu besetzen sein wird. Seiner Rechnung zufolge sollen im Zuge des Brexit 15 bis 20 Banken mit jeweils rund 150 bis 200 Mitarbeitern an den Main kommen. Der Großteil der dortigen Stellen dürfte demnach auf Bereiche wie Risikomanagement, IT, IT-Sicherheit sowie Compliance entfallen. Wagner: “Ich denke, dass wir einen großen Wettbewerb sehen werden.” “Mehr umworben”Ins selbe Horn stößt Markus Hamprecht, der bei Accenture das Financial-Services-Geschäft im deutschsprachigen Raum leitet: “Wir werden da eine neue Verknappung sehen, und die entsprechenden Leute werden mehr umworben werden.” In Frankfurt ansässige Banken sind alarmiert und befürchten, dass die Neuankömmlinge ihnen Mitarbeiter abspenstig machen werden. Im Auge haben Headhunter dem Vernehmen nach neben der Deutschen Bank sowie der Commerzbank unter anderem Adressen wie die Helaba oder die DZ Bank. Doch auch größere Sparkassen oder Volksbanken könnten Leute verlieren, wie es im Markt heißt. Dabei müsse sich die Suche keineswegs auf das Rhein-Main-Gebiet beschränken. So könnten auch Ex-Mitarbeiter der früheren WestLB interessant sein. Der eine oder andere Mitarbeiter dürfte die verstärkte Nachfrage auch deshalb zu einem Wechsel nutzen, weil die Stimmung im eigenen Hause “nicht so gut ist”, wird nicht zuletzt mit Blick auf die Deutsche Bank kolportiert. Deutschlands größtes Kreditinstitut wird dann freilich an Beschäftigte im Konzern herantreten können, deren Arbeitsplatz im Zuge der Zusammenführung der Deutschen Postbank mit dem eigenen Massengeschäft zur Disposition steht.Eine Hürde im Wettrennen um die besten Leute sieht Accenture-Manager Hamprecht dabei in der Vergütung. Die zunehmende Konkurrenz bedeutet für ihn, “dass Banken hierzulande weiter in der Debatte darüber stehen werden, dass sie Mitarbeitern zu hohe Boni zahlen. Ausländische Institute kennen diese Debatte nicht.” Zwar werden auch die an den Main strebenden Institute der Institutsvergütungsverordnung unterliegen. Im Gegensatz zu den alteingesessenen Adressen aber könnten sie lukrative Expatriate-Pakete für von ihnen entsandte Mitarbeiter schnüren, wird im Markt argumentiert. Erst vor dem Wochenende hat die Deutsche Bank am Markt und in der Öffentlichkeit herbe Kritik für ihre Pläne geerntet, ungeachtet des dritten Jahresverlusts in Folge für 2017 wieder milliardenschwere Boni zu zahlen.Weitaus gelassener beurteilt die Entwicklung Klaus Biermann. “Ich sehe keine massiven Suchen im Markt”, sagt der Gründer des in Frankfurt und Zürich ansässigen Headhunter-Hauses Biermann Neff der Börsen-Zeitung. Zwar seien japanische und vereinzelt auch andere Institute bereits am Arbeitsmarkt aktiv geworden. “Aber da geht es wirklich um wenige Fälle und nicht um Hundertschaften”, erklärt er.Zwei Argumente führt Biermann für seine Prognose an, dass der große Run aufs Personal und damit verbunden ein Wettlauf um die Vergütungen nicht stattfinden wird. So hätten die Banken ihre Rechts- und Compliance-Abteilungen bereits in den vergangenen Jahren erheblich aufgebaut und auch die Vergütung dort deutlich verbessert. Biermann: “Eine weitere Erhöhung der Gehälter wäre nicht gesund, und ich sehe ein solches Szenario auch nicht.” Und zudem prognostiziert er: “Wir werden in drei bis fünf Jahren durch die Digitalisierung eher eine Entwicklung in die andere Richtung bekommen.” Einmal hin und zurückEs gibt noch andere Faktoren, welche den Effekt des Brexit auf den Arbeitsmarkt begrenzen sollten. So dürften gerade hochrangige Manager zumindest fürs Erste zwischen ihrem Wohnort London und ihrem Arbeitsplatz in Frankfurt pendeln. Auch wurde der Arbeitsplatz manchen deutschen Mitarbeiters in den vergangenen Jahren vom Main an die Themse verlegt. Wird eine Stelle nun zurückverlagert, heißt das nicht, dass eine Bank sie deshalb neu besetzen muss. “Selbst wenn es nur um 100 Experten gehen sollte, wird es schwer”, beurteilt Accenture-Manager Hamprecht die Chancen der in Frankfurt ansässigen Banken, ihren personellen Bedarf in diesen Feldern zu decken, gleichwohl skeptisch. Planspiele im BankenturmIn Frankfurts Bankentürmen haben daher entsprechende Planspiele Konjunktur. So räsonierte das Vorstandsmitglied eines deutschen Instituts jüngst im kleinen Kreis über die Gefahr einer Gehälterspirale, welche alle Spieler im Markt belasten werde, und dachte laut über eine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Frankfurt nach, um sich diesem Vergütungswettlauf zu entziehen.Accenture-Manager Hamprecht meint dazu: “Diesen Ausweg sehe ich nicht, denn diese Leute sind sehr fungibel, und es ist fraglich, ob es deren Traum ist, etwa in der Provinz zu arbeiten, und zwar gerade zu einem Zeitpunkt, wenn der Arbeitsmarkt in Frankfurt anzieht.”