Bürokratieabbau

Brüssel will Lieferketten-Vorgaben erheblich lockern

Die EU-Kommission möchte einem Entwurf zufolge die Regeln für Lieferketten und Nachhaltigkeitsberichte weitreichend korrigieren. Sorgfaltspflichten sollen enger definiert werden. Firmen unter 1000 Beschäftigten sollen Nachhaltigkeitserklärungen erlassen werden.

Brüssel will Lieferketten-Vorgaben erheblich lockern

Brüssel will Lieferketten-Vorgaben erheblich lockern

Entwurf sieht Begrenzung der Sorgfaltspflichten auf „direkte“ Geschäftspartner vor – Überprüfungen nur noch alle 5 Jahre

fed Frankfurt

Die Korrekturen, die die EU-Kommission an den Regelwerken für Lieferketten-Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeits-Berichterstattung vornehmen möchte, sind weitreichend - zumindest wenn es bei den Vorschlägen bleiben sollte, die einem Entwurf für eine EU-Richtlinie zu entnehmen sind, der der Börsen-Zeitung in großen Teilen vorliegt.

In dem unveröffentlichten Papier ist vorgesehen, dass künftig nur noch Unternehmen ab 1000 Beschäftigte und mit einem Umsatz von mindestens 450 Mill. Euro Nachhaltigkeitserklärungen abgeben müssen. Die EU-Behörde will zudem auf sektorspezifische Standards per delegierten Rechtsakten verzichten, damit die Zahl der vorgeschriebenen Datenpunkte, die von Unternehmen zu melden sind, nicht noch weiter steigt. Was das EU-Lieferkettengesetz angeht, so soll der Anwendungsbereich der Sorgfaltspflichten deutlich eingeengt werden, nämlich auf Tochtergesellschaften und „direkte“ Geschäftspartner. Unternehmen sollen nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre ihre Due-Diligence-Maßnahmen überprüfen müssen. Und schließlich sieht der Entwurf des Gesetzesvorschlags Lockerungen bei den haftungsrechtlichen Vorgaben vor.

Bürokratieabbau-Paket

Der Richtlinien-Vorschlag ist Kern des so genannten „Omnibus“-Pakets, das nach bisheriger Planung am Mittwoch vorgestellt werden soll. Erklärtes Ziel des Vorstoßes ist es, bürokratischen Aufwand und Melde- und Berichtspflichten abzubauen. Zu diesem Zweck nimmt sich die EU-Kommission in diesem ersten Schritt die nicht-finanzielle Berichterstattung, also das Nachhaltigkeits-Reporting, vor, das von vielen Unternehmen als übermäßig aufwändig und kleinteilig kritisiert wird.

Damit aus dem am Wochenende öffentlich gewordenen Entwurf tatsächlich europäisches Recht wird, müssen noch zahlreiche und erhebliche Hürden überwunden werden. Hindernis Nummer eins: Noch ist nicht klar, ob die EU-Kommission am Mittwoch genau den jetzt zirkulierenden Entwurf vorstellen wird. Denn innerhalb des Kollegiums der EU-Kommissare ist mit Vorbehalten zu rechnen, insbesondere seitens der für den Übergang zu einer kohlestoffärmeren Wirtschaft zuständigen EU-Vizepräsidentin Teresa Ribera. Eine zweite Hürde stellen die Beratungen des Richtlinienvorschlags in EU-Parlament und im Rat dar. Im Rat, so berichten Diplomaten, seien einzelne Regierungen, die die Reporting-Richtlinie bereits umgesetzt haben, wenig willens, nun quasi eine Rolle rückwärts zu machen.

Widerstände im EU-Parlament

Unterdessen formiert sich in den Fraktionen von Sozialdemokraten und Grünen – und auch darüber hinaus – bereits Widerstand gegen die „Omnibus“-Initiative, da damit entscheidende Elemente der vom EU-Parlament mühsam ausverhandelten und verabschiedeten Gesetze wegfallen sollen. Aus der sozialdemokratischen Parteienfamilie gab es die Forderung, das EU-Lieferkettengesetz komplett aus der „Omnibus“-Initaitive herauszuhalten.

Zustimmung der Konservativen

Andererseits gibt es auch Unterstützung. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber begrüßt den Vorstoß der EU-Kommission. Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung, so argumentiert der Finanzexperte, sei in den vergangenen Jahren einiges aus den Fugen geraten. Auf Unternehmen rolle mit europäischem Lieferkettengesetz und Nachhaltigkeitsberichterstattung eine „riesige Bürokratiewelle“ zu. „Die EU-Kommission tut gut daran, hier nun aufzuräumen“, betont Ferber. Es handele sich um sehr substantielle Vorschläge, die nun nicht im Gesetzgebungsprozess zerrieben werden dürften.

Nur „direkte“ Geschäftspartner

In Bezug auf das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) dürfte die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Sorgfaltspflichten zu den wichtigsten Korrekturen zählen. Als „generelle Regel“ schlägt die EU-Kommission laut Entwurf die Beschränkung von Sorgfaltsmaßnahmen auf die eigenen operativen Tätigkeiten des Unternehmens, auf Aktivitäten von Tochtergesellschaften und die ihrer „direkten Geschäftspartner" vor. Nur für sie sollen Unternehmen umfassende Bewertungen vornehmen müssen. Für den Fall, dass es augenscheinliche Hinweise auf negative Auswirkungen des geschäftlichen Treibens anderer Zulieferer gibt, sind Ausnahmen von der allgemeinen Konzentration auf die direkten Geschäftspartner vorgesehen. Gestrichen werden soll in diesem Zusammenhang die Pflicht, eine Lieferbeziehung zu beenden, wenn Verstöße gegen Umweltschutz oder Arbeitsregeln auftreten. Nun wird eine „Aussetzung“ der Lieferbeziehung vorgeschlagen, bei gleichzeitigen Verhandlungen mit dem Zulieferer. Die Anforderung, dass Unternehmen sich gegenüber den Stakeholdern engagieren sollen, wird ebenfalls begrenzt – und zwar auf Personen und Gemeinschaften, die „direkt“ von Produkten, Diensten oder dem Betrieb eines Unternehmens betroffen sind, etwa Anrainer.

Haftungsrechtliche Lockerungen

Was die Haftung der Unternehmen angeht, so plädiert die EU-Kommission in dem Entwurf dafür, den Passus zu streichen, dass eine Geldbuße in angemessenem Verhältnis zum Umsatz stehen muss. Auch soll die spezifische Anforderung eines EU-weiten Haftungsregimes aufgehoben werden. Die EU-Kommission verweist hier auf die sehr unterschiedlichen Vorschriften und Traditionen auf nationaler Ebene, etwa mit Blick auf die Zulassung von Vertretungsklagen. Verzichten will die EU-Kommission auf die Nutzung einer Revisionsklausel: Eigentlich stand schon für nächstes Jahr eine Ergänzung der Sorgfaltspflichten in einem speziellen Zuschnitt für Finanzdienstleister auf dem Programm.

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