Brüssel gibt Fondsbranche mehr Zeit

Kommission verschiebt Geltung von Detailregeln zur Offenlegungsverordnung - Nachhaltigkeits-Taxonomie kommt Schritt für Schritt

Brüssel gibt Fondsbranche mehr Zeit

Nach Kritik aus der Fondsbranche hat die EU-Kommission die Umsetzung nachhaltigkeitsbezogener Offenlegungspflichten verschoben. Zwar wird die neue EU-Verordnung wie geplant am 10. März 2021 in Kraft treten, zugehörige Details greifen aber erst später. Der deutsche Fondsverband BVI zeigt sich zufrieden.ahe/jsc Brüssel/Frankfurt – Die EU-Kommission verschiebt die detaillierte Umsetzung der neuen nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten auf zunächst unbekannte Zeit. Dies geht aus einem Schreiben der für die Finanzmärkte zuständigen Generaldirektion Fisma an den deutschen Fondsverband BVI sowie den italienischen Verband Assogestioni hervor, das der Börsen-Zeitung vorliegt. “Um den Finanzmarktteilnehmern und Finanzberatern sowie den Aufsichtsbehörden Zeit für die Umsetzung zu geben, werden die technischen Regulierungsstandards zu einem späteren Zeitpunkt anwendbar”, heißt es in dem Brief. Die neue EU-Verordnung soll dennoch unverändert am 10. März 2021 in Kraft treten. An das Regelwerk knüpft auch das EU-Vorhaben der sogenannten Taxonomie an, also eines Klassifizierungssystems für nachhaltige Wirtschaftszweige.Die Fondsbranche hatte sich im Sommer in Brüssel für eine Verschiebung starkgemacht, da die Unternehmen bis zum 10. März 2021 nicht nur die prinzipienorientierten Vorgaben der Verordnung, sondern auch detaillierte Informationen zur Nachhaltigkeit in ihre Verkaufsprospekte aufnehmen sollten. Die entsprechenden Vorlagen hierfür, die von den europäischen Finanzaufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA im Verbund entwickelt werden, dürfte nach Prognosen des BVI frühestens Ende Januar 2021 fertig sein. Aufschub bis Anfang 2022?Damit blieben nur noch wenige Wochen, die Standards zu analysieren und die Anlegerinformationen Tausender Fonds anzupassen. Die EU-Kommission räumte jetzt ein, dass es aufgrund der Corona-Pandemie zu Verzögerungen bei der öffentlichen Konsultation gekommen war. “Wir verstehen, dass sowohl Assogestioni als auch der BVI durch die regulatorischen technischen Standards mehr Rechtssicherheit anstreben”, heißt es in dem Brief.Der BVI zeigte sich in einer Stellungnahme zufrieden und prognostizierte, dass die Aktivierung der technischen Standards wohl erst ab Anfang 2022 erfolgen werde. Ein drohender Vertriebsstopp für nachhaltige Fonds sei abgewendet worden, erklärte BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter.An dem Start der eigentlichen Verordnung hält die EU-Kommission allerdings fest, weil dieser nicht von der Anwendung der technischen Regulierungsstandards abhängig sei. Die Generaldirektion Fisma verweist in dem Brief zugleich auf die Dringlichkeit des Dossiers aufgrund der Herausforderungen wie durch den Klimawandel. Diese erforderten “starke Maßnahmen und verstärkte Anstrengungen aller Akteure” – einschließlich des Finanzdienstleistungssektors. Die Glaubwürdigkeit nachhaltiger Anlagen und das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsrisiken müssten gestärkt werden.Die Offenlegungsverordnung und die zugehörige Taxonomie sind ein Kernstück des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen. Die Taxonomie soll detailliert auflisten, welche Geschäftsfelder konkret als nachhaltig definiert werden. Unternehmen müssen künftig offenlegen, inwiefern sie die Kriterien der Taxonomie erfüllen. Das soll es auch Investoren und Fondsgesellschaften ermöglichen, für ihr Portfolio konkrete Kennzahlen auszuweisen.Der Teufel steckt dabei im Detail: Über mehrere Hundert Seiten hat eine Expertengruppe der EU, die Technical Expert Group, im März im Anhang ihrer Empfehlungen konkrete Werte für zahlreiche Branchen vorgeschlagen. Das Dokument schlüsselt etwa Schwellenwerte für CO2-Emissionen und weitere Größen auf, in der Industrie zum Beispiel für Zement, Eisen und Stahl, anorganische und organische Chemikalien, für Dünger und für Plastik. Auch die Bauwirtschaft, Transportwirtschaft, Landwirtschaft, Strom-, Gas- und Wasserversorger sowie Informationstechnikbranche erhalten Segment für Segment genaue Vorgaben. Weitere Kriterien sieht das Papier für Maßnahmen vor, die eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen.Angesichts der Komplexität des Vorhabens werde die Taxonomie nicht auf einen Schlag, sondern nach und nach Einzug in der Praxis finden, sagt Dustin Neuneyer, der für die Investoreninitiative Principles for Responsible Investment (PRI) für Deutschland und Österreich verantwortlich ist. Weite Teile der Taxonomie müssten noch im Detail erarbeitet werden, die EU-Aufsichtsbehörden hätten mit ersten Vorschlägen zum Teil Verwirrung gestiftet, viele Unternehmen, tendenziell kleinere Adressen, dürften zunächst unzureichende Daten bereitstellen. Zugleich zeigt sich der Fachmann optimistisch: Das Projekt werde Investoren die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in allen Branchen erheblich erleichtern. Das Projekt sei wesentlich, um Kapital in nachhaltige Zweige der Wirtschaft zu lenken.