Coronakrise zwingt Fonds zum Umsteuern

Gesellschaften arbeiten mit Hochdruck an neuen Liquiditätsinstrumenten - Schutz vor Anlegerflucht - Systemrisikorat in Sorge

Coronakrise zwingt Fonds zum Umsteuern

Das Kursgemetzel wegen Corona hat die Aufseher aufgeschreckt und ihnen lange Versäumtes in Erinnerung gerufen: Die Liquiditätssteuerung von Fonds ist nicht überall krisenfest. Sie machen den Anbietern Dampf, neue Puffer einzusetzen. Die Regulierer wollen auch eine bessere Überwachung.Von Silke Stoltenberg, FrankfurtDie dringliche Aufforderung der Finanzaufsicht BaFin, die neuen Liquiditätswerkzeuge zu nutzen, hat die Fondsbranche in Bewegung gebracht. “Wir arbeiten zusammen mit unseren Mitgliedsgesellschaften, den depotführenden Stellen, Verwahrstellen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht daran, die neue Liquiditätsmanagementtools zügig umzusetzen”, berichtet Peggy Steffen. Die Abteilungsdirektorin Recht vom Fondsverband BVI (Bundesverband Investment und Asset Management) ist zuständig für das Thema, das im Zuge der Coronapandemie und der damit einhergehenden Börsenturbulenzen an Brisanz gewonnen hat. Sie zeigt sich zuversichtlich, dass zwei der drei neuen Steuerungsinstrumente noch in diesem Jahr Einzug in die Anlagebedingungen der Investmentfonds halten können. Auch der europäische Systemrisikorat ESRB hat dieser Tage die Fondsanbieter aufgefordert, die Liquiditätspuffer zu nutzen.Seit Ende März erlaubt das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) Wertpapierfonds, auf drei neue Weisen auf Krisen zu reagieren: Rückgabefristen, Rücknahmegrenzen (Redemption Gates) und atmende Fondspreise (Swing Pricing). Denn krachen die Börsenkurse ein, ziehen Anleger zuhauf Mittel aus Fonds ab. Diese haben im Extremfall nicht genügend Geld, um alle Anteile zurückzunehmen. Denn die Wertpapiere im Portfolio lassen sich in Krisenzeiten, in denen die Kapitalmärkte nicht mehr richtig funktionieren, nicht so schnell versilbern.Wegen des Coronakursdebakels sah sich die oberste Wertpapieraufseherin der BaFin, Elisabeth Roegele, unlängst genötigt, den Fondsverwaltern auf die Finger zu klopfen. Denn horrende Kursverluste und Mittelabflüsse hatten die deutschen Aufseher aufgeschreckt. Zwar waren Fondsschließungen hierzulande kein Thema, und die Anbieter versicherten, dass die flüssigen Mittel in den Fonds nicht unter kritische Schwellen gefallen seien. Doch um für künftige Kurseinbrüche gewappnet zu sein, und zur Sicherung der Finanzstabilität legte die BaFin den Fondsgesellschaften unmissverständlich nahe, in die Puschen zu kommen (vgl. BZ vom 17. April).Für den Anleger bedeutet dies einen Paradigmenwechsel. Sie können mit ihren Wertpapierfonds künftig nicht mehr so frei und flexibel agieren wie gehabt. Doch die für Anleger weitaus katastrophaleren Fondsschließungen – siehe offene Immobilienfonds – sollen mit den neuen Instrumenten vermieden werden. Sie waren auf Betreiben der internationalen Wertpapieraufsicht Iosco, aber auch der deutschen Fondsbranche selbst in das Fonds-Grundgesetz KAGB aufgenommen worden. Damit ist Deutschland gegenüber anderen Ländern aber vergleichsweise spät dran. In Bewegung geratenDoch obwohl die deutschen Fondsmanager solche Liquiditätswerkzeuge für Wertpapierfonds einst herbeigesehnt hatten, war wenig unternommen worden, um die neue Angebote des Gesetzgebers zu nutzen. Es sei lange nicht mehr über die technische Umsetzung gesprochen worden, räumt Steffen ein. Insofern sorgte die “freundliche” Nachhilfe der BaFin nun dafür, dass die Dinge in Bewegung gerieten. “Wir begrüßen die neuen Werkzeuge und sind intensiv bemüht, praxistaugliche Lösungen zur Einführungen der Liquiditätstools zu finden”, versichert Steffen.Die technische Umsetzung hat es im Falle der Redemption Gates in sich. Insbesondere für das Massengeschäft mit Publikumsfonds braucht es automatisierte Lösungen, die über die Schnittstellen zwischen Fondsgesellschaften, Vertrieb, depotführender Stelle und Verwahrer schnell abgewickelt werden können. Bislang gibt es etwa in Luxemburg Redemption Gates bei institutionellen Produkten. Diese begrenzte Anzahl an Investoren erlaubt eine manuelle Abwicklung im Falle von Rücknahmeeinschränkungen. Bei Kleinanlegerprodukten ist dies angesichts der Masse nicht handelbar.Die Rücknahmebeschränkungen können künftig greifen, sobald die Anlegerrückgaben eine vom Anbieter selbst festgelegte Schwelle überschreiten. Es geht also darum, einen möglichen Anlegeransturm abzumildern und Notverkäufe im Portfolio zu vermeiden. Während einer solchen Maßnahme, die maximal 15 Tage lang gelten darf, werden entweder gar keine Anteile zurückgenommen oder von jedem Anleger nur ein bestimmtes Kontingent. Wie informieren?”Ein Arbeitskreis mit mehr als 30 Teilnehmern, an dem alle Verbände der Deutschen Kreditwirtschaft, Vertreter von Depotbanken, den Kapitalverwaltungsgesellschaften und der BaFin mitwirken, arbeitet unter unserer Koordination an einer technischen Umsetzung der Redemption Gates”, erläutert Steffen. Alle zwei Wochen trifft sich das Gremium. Das Thema ist tatsächlich so komplex, dass Steffen nicht vor dem kommenden Jahr mit einer praktischen Umsetzung in Fonds rechnet. Denn nicht selten reichen die Verwahrketten bis ins Ausland.Neben der Komplexität der technischen Umsetzung ist aber auch die Kundeninformation ein heikles Thema. Den Bestimmungen des KAGB zufolge reicht es, wenn die Fondsgesellschaft die Aktivierung eines Redemption Gate auf der Internetseite verkündet. “Aufsichtsrechtlich ist die Information auf der Internetseite der Kapitalverwaltungsgesellschaften über aktivierte Redemption Gates hinreichend, da die Anleger über diese Möglichkeit dann bereits vorher in den Verkaufsunterlagen informiert wurden – aus Sicht der Vertriebsstelle bedarf es voraussichtlich dennoch einer besonderen Kommunikation, gerade am Anfang, weil das Instrument im deutschen Markt noch nicht bekannt ist”, erläutert Steffen. Eine aktive Mitteilung an die betroffenen Kunden wird daher von den Akteuren im Fondsgeschäft bevorzugt.Weniger kompliziert als Redemption Gates sind die anderen beiden Tools. Anbieter von Wertpapierfonds haben damit künftig die Möglichkeit, mit Vorankündigung eine Rückgabefrist einzuführen, die maximal einen Monat betragen darf. Das heißt, wenn der Anleger seine Anteile verkaufen will, muss er bis zu einen Monat auf sein Geld warten. Dieses Instrument erinnert an die Mindesthalte- und Kündigungsfristen der Immobilienfonds, die seit 2013 nach mehreren Fondsabwicklungen gelten. Insofern ist der Prozess in der Fondsbranche schon etabliert und kann nach Aussage Steffens noch dieses Jahr für die Wertpapierprodukte in die Praxis umgesetzt werden.Die atmenden Fondspreise sind die dritte neue Möglichkeit. Swing Pricing soll quasi die Anleger mit Strafgebühren von überstürzten Verkäufen oder auch Käufen abhalten. Die Transaktionskosten des Fonds, die durch die notwendigen Verkäufe oder Zukäufe im Portfolio entstehen, sollen hiermit verursachergerecht umgelegt werden, wirken sich also auf An- und Verkaufspreise aus. Dieses Rechenverfahren ist in den USA oder Luxemburg bereits etabliert, so dass auch dieses Tool noch in diesem Jahr in die Realität umgesetzt werden kann.Nach Darstellung Steffens ist unklar, wie viele Fonds hierzulande von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen werden. Allen voran Fondsmanager von Produkten, die sich auf Unternehmensanleihen schlechterer Bonität konzentrieren, dürften starkes Interesse haben. In diesem Segment trocknen die Märkte am schnellsten in Krisenzeiten aus.Gerade erst hat der Systemrisikorat ESRB unter dem Vorsitz von EZB- Präsidentin Christine Lagarde auf die jüngsten Mittelabflüsse bei Fonds mit High-Yield-Unternehmensanleihen oder Immobilienfonds hingewiesen (siehe Grafik) und dringt auf Schutzmaßnahmen auf europäischer Ebene. Unter anderem wurde die europäische Wertpapieraufsicht ESMA aufgefordert, Fonds mit Unternehmensanleihen und Immobilien speziell auf ihre Krisentauglichkeit hin zu überprüfen. Zugleich mahnt der ESRB die Fondsanbieter, die neuen Liquiditätswerkzeuge einzusetzen. Kein Favorit erkennbarEin Favorit unter den neuen Liquiditätstools lasse sich nicht erkennen, meint Steffen. “Einige unserer Mitglieder haben Interesse, Swing Pricing zeitnah als Lösung einzuführen. Allerdings ist dieses Verfahren, da es in die Berechnung der Anteilswerte eingreift, nicht für jedes Produkt geeignet und abhängig von der Anlagestrategie und der Anlegerstruktur.” Mit Blick auf Rücknahmefristen weist Steffen darauf hin, “dass diese sehr wirksam und dauerhaft sind, das werden sich die Gesellschaften wohl überlegen”. Die Redemption Gates hingegen “sind flexibel und setzen eine doppelte Ermessensausübung voraus”. Grundsätzlich beklagt der ESRB ein Aufsichtsdefizit bei Fonds, das im Interesse der Finanzstabilität beseitigt werden müsse. Den Aufsehern fehlt der Überblick wie auch der richtige Werkzeugkasten, um eine ausreichende Makroaufsicht über die Investmentprodukte im Interesse der Finanzstabilität zu gewährleisten (vgl. BZ vom 25. April). Hier tut sich nun auf verschiedenen Ebenen etwas, erzählt Steffen. Die EU-Kommission will im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie AIFM, die die Fondsmanager der alternativen Fonds reguliert, das Problem der mangelnden Datenverfügbarkeit für Aufseher anpacken. “Es geht jetzt darum zu schauen, welche Daten gibt es bereits über Fonds, sind diese werthaltig für eine ausreichende Makroaufsicht und wo kann ein verbesserter Datenaustausch unter Aufsichtsbehörden die Bewertung von Finanzmarktrisiken sinnvoll bündeln”, führt Steffen aus. Es gibt durchaus nationale Meldesysteme für die alternativen Produkte wie auch für die Publikumsfonds; nationale Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sammeln also Daten. Es fehlen allerdings gemeinsame Standards, auch wenn allen gemeinsam die EU-Richtlinien AIFM und Ucits als Basis dienen. “Wir würden es bevorzugen, wenn für die Makroüberwachung die bestehenden Meldesysteme für Fonds besser ausgewertet und effizient gebündelt würden, statt dass weitere Reportings eingeführt werden”, so Steffen.Des Weiteren konsultiert die EU-Wertpapieraufsicht ESMA, in welchen Situationen nationale Aufseher das Leverage bei Fonds begrenzen sollten, also die Kreditaufnahme und den Einsatz der Derivate. Der bestehende Artikel 25 der AIFM-Richtlinie, der eine Begrenzung bei Bedrohung der Finanzstabilität erlaubt, ist noch nie zum Einsatz gekommen. Hier fehlen indes auch konkrete Vorgaben, wann ein solches Risiko gesehen wird und wie konkret dann vorgegangen werden soll.