Das Gefühl ist ein schlechter Ratgeber

Von Jan Schrader, Paris Börsen-Zeitung, 4.6.2016 Wie leicht kann ein Anleger doch seinem eigenen Gefühl auf den Leim gehen: Er wähnt sich sicher, wenn er eine Aktie kauft, schließlich kann dieser Titel doch nur noch an Wert gewinnen, oder etwa...

Das Gefühl ist ein schlechter Ratgeber

Von Jan Schrader, ParisWie leicht kann ein Anleger doch seinem eigenen Gefühl auf den Leim gehen: Er wähnt sich sicher, wenn er eine Aktie kauft, schließlich kann dieser Titel doch nur noch an Wert gewinnen, oder etwa nicht? Er hat nach einem Kursrutsch das Gefühl, schnell handeln zu müssen, denn Verluste sind bekanntlich schmerzhaft. Und er kann unerwartete Ereignisse im Nachhinein leicht erklären, denn das Resultat war doch absehbar, nicht wahr?Fehler wie diese seien typisch für menschliche Wesen, sagt der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman, als er am Freitag in Paris vor die versammelte Investorengemeinde tritt. Auf dem World Investment Forum der französischen Fondsgesellschaft Amundi warnt er die Zuhörer vor typischen Fehlgriffen. Neu ausgewählte Aktien entwickeln sich oft schlechter als gerade verkaufte Papiere, Gewinnchancen sind in der menschlichen Wahrnehmung nur ungefähr halb so viel wert wie Verlustrisiken in ähnlicher Höhe. Und auch intelligente und informierte Personen sehen demnach tiefgreifende Veränderungen meistens nicht kommen, wie die Finanzkrise zeigt. Das Gefühl von Kontrolle sei also trügerisch, schlussfolgert der bekannte Experte.Seine Vorredner nährten am Tag zuvor noch ein anderes Bild: die Vorstellung von einem besonders vorausschauenden Investor, der einen Trend frühzeitig sieht. Der Ökonom und Wirtschaftstrendforscher Jeremy Rifkin etwa erklärte, die Industrie durchlaufe derzeit eine weitere Revolution. Anleger müssen demnach begreifen, dass die zunehmende Vernetzung im Zuge der Digitalisierung die Wirtschaft tiefgreifend verändert. Ressourcen und Güter werden laut Rifkin künftig viel effizienter genutzt. Investoren sollten also nach Unternehmen Ausschau halten, die diesen Wandel vorantreiben, wie er betont.Der US-Investor Jim Rogers, der bereits vor einigen Jahrzehnten ein Vermögen angehäuft hatte und heute außerdem für seine Weltreisen bekannt ist, zeigte sich auf der Konferenz ebenfalls selbstbewusst. Geld anlegen sollten Investoren heutzutage in China, betont er und begründet seinen Rat damit, dass das Riesenland trotz möglicher Rückschläge unaufhaltsam an die Weltspitze strebe, so wie einst Großbritannien und später die USA. Er selbst investiere nicht nur in China, sondern lasse seine beiden jungen Töchter Mandarin lernen, um sie auf den Wandel einzustellen. Auch Länder wie Nigeria und Kasachstan hält er für chancenreich. Wie aber Anleger mit Unsicherheit umgehen sollten, lassen Rogers und Rifkin offen. “Ideen kosten Geld”Das Gefühl von Sicherheit könne täuschen, warnt nun Kahneman. Die beiden Redner vom Vortag erwähnt er nicht, doch lässt er Distanz erkennen. “Es kostet Leute Geld, Ideen zu haben”, sagt er mit Blick auf ein allzu häufiges Handeln von Aktien. Das Börsengeschehen sei zu unregelmäßig, um verlässliche Erfahrungen sammeln zu können. Besonders wichtig sei es daher, Anleger vor den bekannten menschlichen Fehlern zu bewahren. Während die Börsen laut Kahneman kein klares Muster erkennen lassen, ist dies für die menschliche Psychologie sehr wohl der Fall. Finanzprofis sollten daher nicht so sehr darauf aus sein, stets die beste Aktie für ihre Kunden zu finden, sondern sich viel mehr als Strategen und Erzieher der Sparer begreifen, wie er nahelegt.Ob der Psychologe dabei an auch die Masse der Kleinanleger dachte, die von Aktien und Fonds lieber ganz die Finger lassen? Die Verlustangst ist bekanntlich groß, so dass viele Menschen ihr Geld lieber nullverzinst auf dem Bankkonto lassen. Das Gefühl führt sie in die Irre. Für Finanzberater bleibt also viel zu tun. ——–An der Börse neigen Sparer zu Trugschlüssen. Finanzprofis müssen gegensteuern, so der Rat.——-