SERIE: ZEHN JAHRE FINANZKRISE (TEIL 10) - GASTBEITRAG

Der SRB - vorhersehbar beschäftigungslos

Börsen-Zeitung, 9.5.2017 Einen maßgeblichen Anteil an den hohen realisierten Kosten der europäischen Finanzkrise hatte die unzureichende und mit den Anreizen der Gläubiger inkompatible Architektur der Bankenaufsicht. Zu dem trat das grundsätzlich...

Der SRB - vorhersehbar beschäftigungslos

Einen maßgeblichen Anteil an den hohen realisierten Kosten der europäischen Finanzkrise hatte die unzureichende und mit den Anreizen der Gläubiger inkompatible Architektur der Bankenaufsicht. Zu dem trat das grundsätzlich stärker auf Bankbonds fokussierte Refinanzierungsmodell im Vergleich zu den USA, das dazu geführt hatte, dass in Europa explizite und implizite Sicherungssysteme oft neben Einlagen auch Bonds mit versicherten. Das US-Sicherungsmodell seinerseits hatte bereits seit 1934 (Glass-Steagall Act) Kundeneinlagen gegenüber Bonds klar priorisiert.Daraus folgte, dass Europa auf nationaler Ebene einerseits entweder gar keine oder nur nominelle Einlagensicherer mit entsprechend geringer politischer Durchschlagskraft entwickelte und andererseits die bestehenden Sicherungssysteme mit der zusätzlichen Absicherung von Bonds viel zu hohe Risiken übernahmen. Diese erhielten überdies keine oder keine ausreichende versicherungsmathematische Bepreisung bzw. Kapitalisierung.Wegen des hohen Anteils von in der Kapitalaufnahme am Markt beschränkter, oft öffentlicher Banken und der weit verbreiteten Distribution an Kleinanleger und politisch bedeutsame lokale Institutionelle verfügten in Europa sogar oft nominell nachrangige Bondgläubiger, ja zum Teil dem Eigenkapital zuzurechnende Hybridkapitalgeber, über ein implizites Sicherungsversprechen.In der Krise trat dann als De-facto-Retter von Bankgläubigern vor allem die Zentralbank auf, die jedoch ihrerseits stets nur gesicherte Forderungen eingeht. Die Zentralbankforderungen wuchsen in der Krise sprunghaft an, solange noch Sicherheiten in den Banken verfügbar waren.Dies geschah zum Vorteil vieler kurzfristig investierter ungesicherter und auch vielfach nachrangiger Bondgläubiger, deren Forderungen planmäßig abgelöst wurden. Mit Hilfe von Passivtauschaktionen oder Rückkäufen, unter Mithilfe nationaler Aufseher, konnten aber selbst langfristig investierte Bondgläubiger gerettet werden. Es wurden, wie der Autor in einer Studie für das CFS der Goethe-Universität Frankfurt gezeigt hat, Rangveränderungen und Gläubigerrotationen begünstigt, die wegen der hohen Absicherung der Zentralbank selbst aufgrund des Sicherheitenentzugs und der Rettung des Puffers der Nachränge in einer zunehmenden Risikokonzentration bei den verbliebenen ungesicherten Gläubigern mündete, vor allem bei Einlegern. Dies führte dazu, dass umfassende Rekapitalisierungen und Garantien durch den Staat als notwendig angesehen wurden, “um Einleger zu retten”, während doch in Wirklichkeit ungesicherte und nachrangige Bondgläubiger die großen Nutznießer waren.Die hohen und destabilisierenden Fiskalkosten dieser Dynamik führten nach einiger Zeit, analog zu den Entwicklungen in der Spätphase der Sparkassenkrise in den USA nach 1990, zu einem Umdenken in Richtung Gläubigerbeteiligung, zunächst 2012 in Spanien (Nachrang) und dann 2013 auf Zypern (ungesichert/Gleichrang). Der Autor war an beiden Operationen als finanzpolitischer Berater beteiligt.Die Konsequenz aus dem Wunsch nach geringeren Fiskalkosten konnte nur eine Gleichrichtung der nominellen Haftungskaskade verschiedener Gläubigerpositionen bei Insolvenz mit der tatsächlichen Haftung bei vermiedener Insolvenz, dem bevorzugten Interventionsmodell, sein. Diese wurde, trotz vieler Ausnahmeregelungen zur Ermöglichung staatlicher Rettungen durch die Hintertür, mit der BRRD-Direktive 2016 erreicht. In den USA waren 1992 staatliche Rettungen von Sparkassengläubigern mit einem ähnlichen Regularium eingeschränkt worden.Leider bleibt aber die institutionelle Architektur in Europa, die die oben beschriebenen Prozesse definiert, weiter hinter dieser zumindest in Teilen modernisierten rechtlichen Kulisse weit zurück. Denn es wurde 2015 mit dem Single Resolution Board (SRB) kein Einlagensicherer, sondern lediglich ein Abwickler als faktisch der Zentralbank nachgeordnete Behörde eingerichtet.Ohne einen proaktiv zulasten ungesicherter Einleger aufgestellten Einlagensicherer wiederholt sich auch in Zukunft das Spiel, in dem der gesicherte Gläubiger Zentralbank solange seine Forderungen ausweitet und damit andere Gläubiger aus der Haftung befreit und Sicherheiten entzieht, bis eine staatliche Rettung der verbliebenen Einleger faktisch unvermeidlich wird. Intervention vorverlegtIm US-amerikanischen System hingegen muss die Zentralbank als potenziell großer gesicherter Gläubiger vor einer Ausweitung der Forderungen an Banken in Liquiditätsschwierigkeiten oder gar Insolvenzgefahr die Zustimmung des Einlagensicherers Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) einholen. Der Interventionszeitpunkt der Einlagensicherung und damit einer Abwicklung ist in den USA im Vergleich zur Konstruktion des SRB deutlich vorverlegt. Insbesondere können dort die geschilderten Rettungen nachrangiger Bondgläubiger kaum stattfinden, weil diese bei frühzeitiger Abwicklung oder Bilanzsanierung im Regelfall durch den Einlagensicherer zur Deckung des Kapitalbedarfs herangezogen werden.Ein derart proaktiv tätiger Einlagensicherer hat sowohl ein Eigeninteresse als auch die Verpflichtung, als voll funktionsfähiger Sekundäraufseher aufzutreten, das heißt neben der Zentralbank aus seiner spezifischen, ungesicherten Risikoperspektive heraus die Banken zu überwachen. Die EZB verfügt als gesicherter Kreditgeber trotz umfassender Investitionen in ihren 2014 gegründeten Aufseher SRM nur über sehr geringe Anreize, die Aufsicht auch effizient aus der Perspektive ungesicherter Gläubiger durchzuführen. Damit sind auch in Zukunft Gläubigerrotationen zum Nachteil von Einlegern wahrscheinlich.Durch diese politisch zur Stärkung der Zentralbank in der Eurozone gewollten Asymmetrien ist selbst die minimalistische Abwicklungsfunktion des SRB bisher in der Praxis stark eingeschränkt. Denn der SRB verfügt weder über zeitnahe Informationen bezüglich einer Abwicklungsindikation, noch kann er eine Abwicklung verteuernde Gläubigerrettung verhindern, solange die Zentralbank die Bank nicht an ihn übergibt. Die Zentralbank kann insbesondere über Bad Banks, das sind Aktivtauschgeschäfte, bei denen dubiose Aktiva gegen werthaltige Aktiva getauscht werden, sowie durch eigene Liquiditätszufuhr, solange Sicherheiten verfügbar sind, Gläubiger bevorteilen und eine Abwicklung auf lange Zeit hinausschieben.Die Voraussetzung hier ist die Existenz eines willigen Stillhalters der Bad Bank, in der Regel ein Nationalstaat, der seine fiskalpolitischen Restriktionen übersieht oder die Kosten der Bad Bank verschleiert und damit Gläubigerrettung durch die Hintertür betreibt. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind italienische Banken, die oft Nachrangkapital an Kleinanleger vertrieben haben, das der italienische Staat aus politischen Gründen schützen möchte. Italien ist hier keineswegs ein Sonderfall, ähnliche Motive führten zum Beispiel in Griechenland und Deutschland zur Nachrangrettung. Eine Bad-Bank-Konstruktion verführt dazu, Nachränge oder andere Passiva zu pari oder hohen Kursen entweder auf Kosten der Einleger oder der Steuerzahler auszuzahlen. Eine Reihe von italienischen Banken konnten derart verhindern, den Abwicklungszustand und damit den SRB zu erreichen. Mit diesem Abwicklungsvermeidungsinstrumentarium konfrontiert, das in jüngster Zeit auch noch von EBA-Chef Enria auf den Vorschlag einer europäischen Bad Bank ausgeweitet wurde, bleibt der SRB vorhersehbar beschäftigungslos. Keine sinnvolle BepreisungZur Förderung frühzeitiger Interventionen und Verhinderung der dargestellten Aktiv- und Passivtauschgeschäfte wäre zu fordern, den ungesicherten Gläubigern der Bank außerhalb des Eigenkapitals und der Nachränge durch einen mit umfassenden Kompetenzen ausgestatteten Einlagensicherungsfonds Gewicht zu verleihen. Analog zur US-amerikanischen FDIC sollten dies die Versicherungsfunktion, die Aufsichtsfunktion und die Abwicklungsfunktion sein. Diese Dreifachkompetenzen ergänzen und verstärken sich gegenseitig. Ohne Aufsichtsmandat zum Beispiel keine versicherungsmathematisch sinnvolle Bepreisung und frühzeitige Abwicklung, ebenso keine Unterbindung abwicklungsverschleppender und gläubigerrotationsfördernder Zentralbankkredite.Nun hat man sich in Europa, erstaunlicherweise mit Zustimmung Deutschlands, über die BRRD auf ein teures De-facto-Einlagensicherungsmodell verständigt, bei dem 100 000 Euro pro Einleger – ohne Rücksicht auf tatsächliche Einlagen- und Vermögensniveaus von Haushalten (i.d.R. niedriger) oder zu schützende Liquiditätsbedarfe von Unternehmen (i.d.R. höher) – auf europäischer Ebene gesichert sind. Angesichts horrender möglicher Kosten bei diesem Sicherungsniveau sind die Realisierungsaussichten eines voll funktionsfähigen De-jure-Einlagensicherers, bei dem keine juristischen Hintertürchen zur Aushebelung der Forderungen der Einleger offengehalten werden, mehr als ungewiss. Es müsste bei Haushalten über weit niedrigere Sicherungsniveaus gesprochen werden, um die nationalen Widerstände gegen ein umfassendes Sicherungssystem, insbesondere in Deutschland, zu adressieren – eine politische Herkulesarbeit. Vor allem aber müssten Fiskalpolitik und Banken, die gemeinschaftlich über den Bankenfonds des SRB zunächst die Krisenkosten tragen sollen, gemeinsam dazu bereit sein, die institutionelle Bevorzugung der Zentralbank, die aufgrund mangelhafter Aufarbeitung der Krisendynamik zum Retter stilisiert wird, während sie letztlich oft nur einzelne Banken- und Gläubigergruppen bevorzugt und die Interessen von Nationalstaaten bedient hat, zu beenden.—-Zuletzt erschienen:- Es fing schon in den neunziger Jahren an (19. April)- Als die Subprime-Krise in Deutschland ankam (12. April) —-Hans-Joachim Dübel, Gründer Finpolconsult.de, Berliner Kapitalmarktexperte und finanzpolitischer Berater